Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

„Text­wie­der­ver­wer­tung ist für mich ein­fach ganz normal…”

Ein Inter­view mit Barbi Marković

 

Barbi Mar­ković, 2011/2012 Stadt­schrei­berin in Graz, arbeitet zur Zeit an einem lite­ra­ri­schen Pro­jekt mit unge­wissem Aus­gang: Dem Stadt­ab­schreiben. Akri­bisch schreibt sie alles ab, was sie in Berlin, Wien, Sara­jevo, Graz, Zagreb und Bel­grad an Schrift­zügen, Rekla­me­auf­schriften, Ver­bots­hin­weisen, Graf­fitis findet und über­setzt den ent­ste­henden Text ins Bosnisch/Kroatisch/Serbische und Deut­sche. Wie ihr Auf­sehen erre­gender Roman Izlaženje, der ein Bernhard-‚Plagiat‘ und Kon­zept­kunst zugleich dar­stellte, so ist auch das neue Buch-Pro­jekt vor allem ein Expe­ri­ment. Es ist Aus­druck des steten Ver­suchs, unent­deckte Nischen „auf dem großen Text­haufen, der täg­lich pro­du­ziert wird“ für die Lite­ratur aus­findig zu machen.

 

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Illus­tra­tion: Nastasia Louveau

novinki: Barbi, was fällt Dir zum Stich­wort “längst über­fäl­lige Reform der Copy­rights“ ein?

 

Barbi Mar­ković: Ein inter­es­santes Thema. Ich bin mir nicht sicher, worauf sich die Frage genau bezieht? Soll ich frei asso­zi­ieren? Danger Mouse, Goethe, Amazon noire, Crea­tive Com­mons, Zitat­haf­tig­keit, digi­tale Lite­ratur, Cut-up, Tor­rent, E‑Book, Kind of bloop, Tan­tiemen, ACTA etc.

 

novinki: Eine exzel­lente Ant­wort! Lassen wir sie in ihrer Unschuld einmal stehen und fragen weiter. Dein Bern­hard-Remix, der 2006 erschie­nene Roman Izlaženje, lie­fert eine fas­zi­nie­rende Mischung aus Kon­zept­kunst und eigenem flow, ein­zig­ar­tigem Set­ting. Kannst Du uns etwas zur Ent­ste­hungs­ge­schichte sagen, dazu, wie Du den Text zwi­schen akri­bi­scher Vor­la­gen­ori­en­tie­rung und eigener Ästhetik geschaffen hast?

 

Barbi: Das Buch ent­stand aus zwei unter­schied­li­chen Wün­schen. 1) Ich wollte lange schon einmal eine absicht­lich fal­sche Über­set­zung machen, indem ich von vielen mög­li­chen Über­set­zungen eines Wortes immer das fal­sche Wort nehme, das zu dem Kon­text nicht passt. Daraus wollte ich eine neue Geschichte bas­teln. 2) Ich wollte (in der dama­ligen Welle der Pop­li­te­ratur) ein Buch sehen, das die Musik nicht nur benennt, son­dern in seine Form mit hineinnimmt.
So ent­stand die akri­bi­sche Vorlagenorientierung.
Der Rest kam aus dem Bauch heraus als Resultat der jah­re­langen Proust-Lek­türe, seiner Fas­zi­na­tion für Salons (Roland Bar­thes soll auch nicht ganz unschuldig sein) und als ein Gene­ra­ti­ons­schrei der Bel­grader Kids der 90er Jahre.

 

novinki: Izlaženje ist 2009 bei Suhr­kamp auf Deutsch erschienen. Was ist zwi­schen den Über­set­zungen deutsch–serbisch–deutsch Deines Erach­tens pas­siert? Über­haupt, wie ver­hält es sich mit Über­set­zungen, kul­tu­rellen wie sprach­li­chen in deiner Arbeit, aber auch in Deiner Erfahrung?

 

Barbi: Zwi­schen den Über­set­zungen habe ich zum größten Teil ein her­kömm­li­ches Nicht-EU-Ger­ma­nis­tik­stu­den­tinnen-Leben geführt. Bis ich Mascha Dabić, die Über­set­zerin, zufällig getroffen habe. Bis zur deut­schen Über­set­zung habe ich mit den Bel­grader Lite­ra­tur­kri­ti­kern, die über mein Buch geschrieben haben (Tihomir Bra­jović, Teofil Panci, Mica Vujicić) den Ver­dacht geteilt, dass das Buch viel­leicht nicht funk­tio­niert, wenn man die Vor­lage kennt. Die Rezep­tion im deutsch­spra­chigen Raum war daher eine große Freude/Erleichterung für mich.

Die Über­set­zung, die Ver­mitt­lungs­ar­beit zwi­schen zwei Seiten, die sich nicht ver­stehen, und kleine und große Bedeu­tungs­ver­schie­bungen bei der Umfor­mu­lie­rung von Sätzen scheinen mich schon immer inter­es­siert zu haben.

 

novinki: Das ist inter­es­sant. Dein Buch über­setzt zwi­schen den Loca­tions (Wien–Belgrad), zwi­schen den Kul­turen und Spra­chen (bisher ist ja Bern­hards „Gehen“ nicht einmal ins Ser­bi­sche über­setzt – und dann aus­ge­rechnet die ‚Über­set­zung‘ „Aus­gehen“!), aber auch zwi­schen den Künsten (Literatur–Musik), zwi­schen Hoch- und Popu­lär­kul­tu­rellem (was auch immer beides sein mag), sagen wir auch zwi­schen Gene­ra­tionen. Du sagst, die beiden Seiten der Über­set­zung ver­stehen ein­ander nicht. Heißt „über­setzen“ in Deinem Ver­ständnis vor allem, Bedeu­tungs­ver­schie­bungen aus­findig zu machen und best­mög­lich zu kom­pen­sieren oder das kleine Klaffen zwi­schen den Seiten für sich, für die eigene Bot­schaft zu nutzen?

 

Barbi: Oh, das gefällt mir. Stimmt beides. Je nach Kon­text und Laune. Und es hängt auch sehr von den Gesprächs­part­nern ab, welche Posi­tion ich in der Hin­sicht ein­nehme. Es ist ein stän­diges Hin-und-her-Übersetzen.

 

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Foto Nastasia Louveau

novinki: Kannst Du uns noch mehr zur Form von Izlaženje sagen? Bern­hards Sätze sind kunst­voll (um)geformt und über­tragen worden. Dann aber hast Du die End­los­schleife seines Textes auch noch struk­tu­riert: durch Absätze, durch ein­ge­scho­bene Musik­da­tei­titel … Welche Idee steckt dahinter?

 

Barbi: Die Musik­da­tei­titel habe ich ein­ge­schoben, um das im Buch beschrie­bene Musik­ge­schmack­ver­halten – das post­mo­derne Alles­fres­sertum – zu illus­trieren. Das war selbst­kri­tisch. Es han­delt sich um die Musik, die in dem Moment auf meiner Fest­platte zu finden war. Gleich­zeitig konnte/wollte ich die Bern­hard­sche Härte dem Leser gegen­über nicht tragen. Ich habe uns kleine Pausen im Text gegönnt.
Die Absätze und Unter­titel im ser­bi­schen Text waren die Inter­ven­tion des Lek­tors. Ich habe in der Dis­kus­sion um Unter­titel nach­ge­geben und mit der Zeit ein­ge­sehen, warum das wichtig war. Dann kam aber die deut­sche Über­set­zung, und der andere Lektor hat mich über­zeugen müssen, dass es ohne Absätze (also wie ursprüng­lich) viel besser sei. Ich bin wie ein Blatt im Wind.

 

novinki: Du bist gegen­wärtig Stadt­schrei­berin in Graz. Wann und warum hast Du beschlossen, den Avatar aus dem ursprüng­lich geplanten Pro­jekt – zumin­dest vor­erst – zu deak­ti­vieren? Per Avatar sollte eine völlig neue Art des Stadt­füh­rers entstehen.

 

Barbi: Als soge­nannte Stadt­schrei­berin muss ich bis März ein gelun­genes Pro­jekt lie­fern, das in Buch­form erscheint. Der Avatar wurde mir zu unsi­cher. In anderen Worten: Ich war zu feig und habe beschlossen, statt­dessen Stadt­ab­schrei­berin zu sein.

 

novinki: Was genau macht eine Stadtabschreiberin?

 

Barbi: „On se pro­teže na otvo­r­enom pro­zoru i pos­matra trg na kome sta­nuje – sve što se na njemu odvija, pacova koji se duž sliv­nika zav­lači u ispust, decu što se igraju, sve to ga zanima sa takvom zivotnom pri­bra­nošću kao neku devo­jčicu od šes­naest godina.”
Eine Stadt­ab­schrei­berin widmet sich allen Schriften auf einem Platz. Sie eignet sich langsam alle Wer­be­sprüche, Ver­bote und hand­ge­schrie­benen Bot­schaften an. Sie (es ist komisch, in dritter Person über sich selbst zu reden) schreibt mona­te­lang, stun­den­lang Schrift­züge ab und über­setzt dadurch eine Stadt in eine Text­datei, die wie­derum in andere Spra­chen über­setzbar ist.

 

novinki: Welche Städte schreibst Du ab? Und in welche Sprache über­setzt Du sie? Wie fallen denn über­haupt Über­set­zungen von Plätzen aus? Werden sie auch unver­ständ­lich? Kommen in der Ori­gi­nal­sprache wenig sicht­bare Aspekte ans Licht? Ich stelle mir eben vor, wie Bel­grad ins Deut­sche über­setzt klingt …

 

Barbi: Im Moment sind Wien, Berlin, Graz, Bel­grad, Sara­jevo und Zagreb geplant und die Über­set­zungen in beide Rich­tungen BKS – Deutsch und umge­kehrt. Wie die Über­set­zungen aus­fallen, kann ich noch nicht sagen. Ich ver­mute, dass der Platz­text in dem Über­set­zungs­pro­zess rei­cher und inter­es­santer wird, da einiges auch erklärt werden muss. Ich habe nicht vor, einen wider­wärtig unver­ständ­li­chen Salat zu pro­du­zieren. Gleich­zeitig wird der Text kaum linear lesbar sein.

 

novinki: Du wirst oft zu Bel­grad und der Club­bing­szene der 1990er, zur der Atmo­sphäre und dem Selbst­ver­ständnis jener Zeit gefragt. Wie ist Dein Ver­hältnis zu Bel­grad heute?

 

Barbi: Ich habe Angst vor Belgrad,

manchmal kann ich kurz­fristig auch eine alte Fas­zi­na­tion mit der Stadt herbeirufen,

ohne Bel­grad hätte ich Identitätsprobleme

und ich denke nicht mehr so viel über Bel­grad nach.

 

novinki: Wow! Vorhin hast Du mit einem Zitat geant­wortet. Welche Rolle spielt Inter­tex­tua­lität für Lite­ratur? Was machen für Dich Texte mit Texten?

 

Barbi: Inter­tex­tua­lität, hm … nennen wir es Text­wie­der­ver­wer­tung. Als Schreib­stra­tegie oder lite­ra­ri­sche Erschei­nung ist das für mich ein­fach ganz normal. Oft gefallen mir die Ergeb­nisse. Ich bin aber keine Textwiederverwertungsaktivistin.

 

novinki: Deine ‚Appro­pria­ti­ons­kunst‘ (Wer­be­text Suhr­kamp), das ‚Kon­zept‘ für Bernhard/Izlaženje, aber auch Deine Idee eines Avatar-Stadt­schrei­bers und des Städ­te­ab­schrei­bens macht deut­lich, dass Du andere Wege für Deine Lite­ratur suchst. Braucht die Lite­ratur Erneue­rung? Wie siehst Du per­sön­lich ihre Zukunft?

 

Barbi: Tat­säch­lich suche ich immer neue Wege, bzw. das sind die Ideen, die ich habe, die ich gut finde und von denen ich denke, dass sie mög­li­cher­weise einen Platz auf dem großen Text­haufen, der täg­lich pro­du­ziert wird, finden könnten. Was das Wahr­sagen betrifft, sehe ich die Ent­wick­lung in viele unter­schied­liche Rich­tungen – eigent­lich ist das nicht die Zukunft. Das ist die Gegen­wart. Was aller­dings tat­säch­lich oft nach Erneue­rung und Erfri­schung schreit, sind die Insti­tu­tionen, die sich mit Lite­ra­tur­ver­mitt­lung beschäf­tigen. Und die Lesungen…

 

novinki: Absolut! Das wird sofort unserer ‚Mut­ter­or­ga­ni­sa­tion’, der Sla­wistik an der Hum­boldt Uni­ver­sität zurück­ge­meldet. Wer aller­dings mit den Ver­lagen und Lite­ra­tur­fes­ti­vals spricht…

 

Danke, Barbi! Wir freuen uns auf die abge­schrie­benen Städte und natür­lich auf die Berlin-Pas­sagen darin.