Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Sind Sie ein Genie? – Zweifellos.

Ein Inter­view mit Kasimir Male­vičs Geist

 

Am 6. März 2007 wurde auf der Aus­stel­lung Dnevnik Chu­dož­nika (Tage­buch des Künst­lers) im Mos­kauer Museum Central’nyj Dom Chu­dož­nika eine Pres­se­kon­fe­renz mit Kasimir Malevič abgehalten.
Mit dem großen rus­si­schen Künstler Kasimir Malevič spra­chen Irina Valdron, Jurij Albert, Eka­te­rina Degot sowie Besu­cher der Ausstellung.

 

malevic

 

Publikum: Geist von Kasimir Seve­ri­novič Malevič, komm zu uns. Geist, bist du unter uns?

Geist: Ja.

P.: Bist du der Geist von Malevič: Ja oder nein?

Geist: Nein.

P.: Bist du Russe?

Geist: Ja.

P.: Bist du viel­leicht Nikolaj Punin?

Geist: Ja.

P.: Naja, eigent­lich wollten wir Malevič spre­chen. Könn­test du ihn nicht zur Unter­re­dung her­bei­rufen? Malevič, komm zu uns.

Kasimir Malevič: Ich bin hier.

P.: Warst du heute schon mal in unserer Runde?

M.: Ich wollte nicht.

P.: Aber du bist wirk­lich Malevič?

M.: Ja.

P.: Kasimir Seve­ri­novič, ich habe gelesen, dass du gegen Ende deines Lebens zahl­reiche Gespräche mit Isaak Israi­levič Brod­skij geführt hast. Setzt ihr eure Unter­hal­tungen im Jen­seits fort?

M.: Ja.

P.: Ich hab’ da mal eine per­sön­liche Frage: Haben Sie ihr Ver­hältnis zu Evgenij Katsman, dem Mit­be­gründer der AChRR (Asso­cia­cija chu­dož­nikov revol­ju­ci­onnoj Rossii), letzten Endes geklärt?

M.: Ja.

P.: Und ihr Ver­hältnis zu Marc Chagall? Haben Sie Ihren Streit bei­gelegt? Hat sich Ihr Ver­hältnis im Jen­seits gebessert?

M.: Ja.

P.: Auch mit Tatlin hatten Sie irgend­welche Pro­bleme. Grund­sätz­liche Dif­fe­renzen. Haben Sie die überwunden?

M.: Nein.

P.: Kasimir Seve­ri­novič, unter Ihren supre­ma­tis­ti­schen Formen fehlt das Dreieck, das nur in den Kom­po­si­tionen auf­taucht. Sind einige Arbeiten viel­leicht ver­loren gegangen?

M.: Ja.

P.: Sie lügen. Ihre Arbeiten haben Sie doch umda­tiert. Lügen Sie?

M.: Ja.

P.: Kasimir Malevič, Ihr „Schwarzes Qua­drat“ haben Sie im Herr­gotts­winkel aus­ge­stellt, wie eine Ikone. Hängt das viel­leicht damit zusammen, dass Ihnen die Idee zum Qua­drat kam als Sie die ver­rußten Ikonen sahen, die durch den Lauf der Zeit geschwärzt wurden?

M.: Ja.

P.: Seve­ri­novič, Sie haben sich sei­ner­zeit für die Ent­wick­lung des Kinos inter­es­siert, haben über das Kino geschrieben. Haben Sie auch Hol­ly­wood-Filme gesehen?

M.: Ja.

P.: Können Sie uns Ihren Lieb­lings-Hol­ly­wood­film nennen?

M.: Nein.

P.: Was meinen Sie, gab es in der Film­kunst eine Katastrophe?

M.: Nein.

P.: Sagen Sie, dass wir Sie hier mit Hilfe einer Unter­tasse beschwören, weckt das in Ihnen irgend­welche Erin­ne­rungen an Ihr Agitprop-Porzellan?

M.: Natürlich.

P.: Kasimir Seve­ri­novič, miss­fällt Ihnen die Situa­tion, in der sich die zeit­ge­nös­si­sche, rus­si­sche Kunst befindet?

M.: Sehr.

P.: Oleg Kulik hat gebeten Sie zu fragen, ob Ihnen die Aus­stel­lung Verju („Ich glaube“) gefällt.

Malevič ant­wortet nicht.

P.: Sie wurden zur Sym­bol­figur anti­re­li­giöser Kunst, stimmt’s?

M.: Nein.

P.: Waren Sie ein reli­giöser Mensch?

M.: Nein.

P.: Kasimir Seve­ri­novič, ist Ihnen bekannt, dass das aller­wich­tigste Avant­garde-Pro­jekt, näm­lich die „Sowjet­macht“, geschei­tert ist?

M.: Ja.

P.: Begrüßen Sie diese Tatsache?

M.: Ja.

P.: Es scheint, Sie haben sich ziem­lich verändert.

M.: Ja.

P.: Kasimir Malevič, führen Sie Ihre Arbeit dort weiter, wo Sie sich jetzt aufhalten?

M.: Ja.

P.: Sie erar­beiten wei­terhin neue Formen der Bil­denden Kunst?

M.: Nein.

P.: Was meinen Sie: Hat sich der Supre­ma­tismus in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst durchgesetzt?

M.: Ja.

P.: Sie haben eine Skizze für den Duft­flakon Kras­naja Moskva („Schönes/Rotes Moskau“) ent­worfen und sind dar­über hinaus für die Supre­ma­ti­sie­rung des Lebens ein­ge­treten. Was meinen Sie, ist die Supre­ma­ti­sie­rung des Lebens zum Design geworden?

M.: Nein.

P.:Übri­gens, vor nicht allzu langer Zeit haben wir uns mit Il’ja Efi­movič Repin unter­halten. Halten Sie sich an dem selben Ort auf wie er?

M.: Ja.

P.: Sind Sie im Paradies?

M.: Nein.

P.: Das heißt also, Sie befinden sich im Museum, genau wie Repin.

M.: Ja.

P.: Und fanden Sie das gut, als Brener eine Dol­lar­note auf Ihr Bild im Ams­ter­damer Stede­lijk-Museum gemalt hat?

Malevič schweigt.

P.:Kasimir Seve­ri­novič, sind Sie davon unter­richtet, dass Alek­sander Brener eine Dol­lar­note auf Ihr Bild gemalt hat?

M.: Nein.

P.: Also, dann hören Sie: Brener hat eine Dol­lar­note auf Ihr Bild gemalt, hat es ver­schan­delt. Heißen Sie dieses Werk von Brenner gut?

M.: Ja.

P.: Wollen Sie, dass er auf jedes Ihrer Bilder eine Dol­lar­note zeichnet? Würden Sie mit ihm in Zukunft zusam­men­ar­beiten wollen?

M.: Nein.

P.: Es ist bekannt, dass Sie die Bilder, die Sie gegen Ende Ihres Lebens gemalt haben, rück­da­tiert haben. Bereuen Sie diese Schummelei?

M.: Nein.

P.: Hätten Sie es gern, wenn alle Toten in supre­ma­tis­ti­schen Särgen bestattet würden?

M.: Natürlich.

P.: Und nach wie vor wollen Sie, dass die ganze Welt supre­ma­tis­tisch wird?

M.: Selbstverständlich.

P.: Ihre späten Werke wirken auf den ersten Blick sehr figu­rativ. War das wirk­lich eine Wei­ter­ent­wick­lung des Suprematismus?

M.: Ja.

P.: Kasimir Seve­ri­novič, hier haben wir eine Post­karte mit der Repro­duk­tion eines Bildes, das ein junger Bel­grader Künstler gemalt hat. Dieses Bild, das sich mit dem Thema „Fuß­ball“ aus­ein­an­der­setzt, greift eines Ihrer Motive wieder auf. Er hat es 70 Jahre nach Ihrem Tod gemalt, als Sie bereits zu so einer Art „Klas­siker“ geworden waren. Können Sie das Bild jetzt sehen?

M.: Ja.

P.: Gefällt es Ihnen?

M.: Nein.

P.: Das heißt, Sie lehnen jede Aneig­nung Ihrer Kunst grund­sätz­lich ab?

M.: Ja.

P.: Was meinen Sie: Haben Sie Nachfolger?

M.: Nein.

P.: Ärgert es Sie, dass Sie keine Nach­folger haben?

M.: Ja.

P.: Kasimir Seve­ri­novič, seien Sie ehr­lich: Sind Sie ein Genie?

M.: Zweifellos.

P.: Meinen Sie, dass es in der zeit­ge­nös­si­schen rus­si­schen Kunst ein Genie gibt?

M.: Nein.

P.: Gibt es irgendwo ein Genie – im Westen, über­haupt, auf der ganzen Welt?

M.: Nein.

P.: Glauben Sie, dass die Kunst ver­fallen ist?

M.: Ich bin davon überzeugt.

P.: Also sind Sie ein Pessimist?

M.: Nein.

P.: Wollen Sie objektiv sein?

M.: Ja.

P.: Und was meinen Sie: Hat das rus­si­sche Volk eine Zukunft?

M.: Nein.

P.: Hat über­haupt irgendein Volk auf der Welt eine Zukunft?

M.: Nein.

P.: Liegt es daran, dass es einst die Assyrer gab und es mit denen jetzt vorbei ist?

M.: Ja.

P.: Kasimir Seve­ri­novič, soll das heißen, das Ende der Welt ist nah?

M.: Ja.

P.: Aber es werden noch Men­schen auf Erden leben?

M.: Ja, werden sie.

P.: Und ist auch das Ende der Kunst nah, mög­li­cher Weise schon eingetreten?

M.: Selbstverständlich!

P.: Kasimir Seve­ri­novič, Ihnen ist schon bewusst, dass sie bereits 1935 gestorben sind?

M.: Ja.

P.: Und Sie wissen, dass Sie bis heute der aller­wich­tigste rus­si­sche Künstler sind?

M.: Natürlich.

P.: Und gefällt Ihnen das Werk von Filonov?

M.: Ja.

P.: Und meinen Sie, dass in der zeit­ge­nös­si­schen Kultur, in der Politik, vor allem der Dada­ismus seinen Nie­der­schlag fand – im Gegen­satz zum Suprematismus?

M.: Nein.

P.: Beginnt in der Kunst viel­leicht eine neue Ära?

Malevič schweigt.

P.: Kasimir Seve­ri­novič, sind Sie noch unter uns?

Malevič schweigt.

P.: Kasimir Seve­ri­novič, vielen Dank, dass Sie sich für dieses Gespräch Zeit genommen haben. Machen Sie’s gut.

 

Aus dem Rus­si­schen von Tamina Kutscher

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