Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Club der pol­ni­schen Versager

Inte­gra­ti­ons­ar­beit mal anders

 

Beim Gespräch mit einem inter­es­santen Men­schen begrüßt Adam Gusowski wöchent­lich seinen Kol­legen Piotr Mordel und wendet sich dabei an die Zuschauer: “…und dank modernster Über­tra­gungs­technik auch bei Ihnen zu Hause” – als wäre er erstaunt, was heute tech­nisch mög­lich ist. Sieht man sich diese Gespräche an, so ist man geneigt, dem manchmal bieder, manchmal komisch wir­kenden Son­der­ling sein Erstaunen abzu­nehmen. Moment mal, wie kommt es dann aber, dass diese pol­ni­schen Hin­ter­wäldler einen eigenen You­tube-Channel haben? Hat irgendein fin­diger Geschäfts­mann bei einer seiner Ein­kaufs­touren nach Polen einen Rie­cher gehabt und will diese son­der­baren Gestalten medial in Deutsch­land ver­markten? Bei Paul Potts, dem über­ge­wich­tigen, etwas dümm­lich wir­kenden Opern­sänger aus der Fern­seh­sen­dung Britain’s Got Talent hat es ja auch geklappt. Ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Piotr Mordel und Adam Gusowski sind zwei der Grün­dungs­mit­glieder des Clubs der pol­ni­scher Ver­sager, der 2001 von in Berlin lebenden pol­ni­schen Künst­lern gegründet wurde, und dessen selbst­er­nanntes Ziel der deutsch-pol­ni­sche Kul­tur­aus­tausch ist.

Klub_Versager

Nach inzwi­schen fast 10 erfolg­rei­chen Jahren ist ein mul­ti­me­diales Gesamt­kunst­werk aus dem Club geworden. Neben dem Ber­liner Lokal des Clubs in der Acker­straße 170, in dem regel­mäßig Lesungen, Kon­zerte, Thea­ter­stücke, Film­vor­füh­rungen und Par­ties statt­finden, hat der Club auch eine eigene Radio­sen­dung im WDR Kanal Funk­haus Europa, eine feste Sparte in der RBB-Sen­dung Kowalski trifft Schmidt und begeis­tert auch außer­halb Ber­lins mit Live-Ver­an­stal­tungen wie der Leut­nant Show. Im Internet findet man nicht nur zahl­reiche Artikel über den Club, aber auch seine eigene Web­prä­senz und den erwähnten You­tube-Channel, auf dem die Mit­glieder des Clubs regel­mäßig neues Mate­rial ver­öf­fent­li­chen. Mit Frau Selke und der Hass ist erst kürz­lich eine monat­liche Stumm­film Soap auf Sen­dung gegangen. Ja, eine monat­liche Stumm­film Soap. Den geneigten Freund der Ver­sager irri­tieren sol­cherlei Wort­ge­bilde eigent­lich gar nicht mehr, ist man sie doch schon längst gewohnt. Schließ­lich geht der Kenner seit geraumer Zeit regel­mäßig in den Club, um sich die Schi­zo­na­tio­nale, eine Sati­re­show des Clubs der pol­ni­schen Ver­sager anzu­schauen, und kann sich an Zeiten erin­nern, als Kolano (dt. Knie), das “unkul­ti­vierte und halb­li­ter’a­ri­sche Organ des Bundes der pol­ni­schen Ver­sager” erschien.

Neben Piotr Mordel und Adam Gusowski, die mit ihren öffent­li­chen Auf­tritten so etwas wie die visu­ellen Aus­hän­ge­schilder der Ver­sager sind, gehören noch neun wei­tere Per­sön­lich­keiten zu den Grün­dungs­mit­glie­dern des Clubs. Da wäre zum Bei­spiel Joanna Bednarska, die mitt­ler­weile aus dem Club aus­ge­stiegen ist, und mit ihrem Mann Mariusz eine Galerie für pol­ni­sche Poster- und Pla­kat­kunst namens Pigasus in Berlin betreibt. Wei­terhin müssen unbe­dingt noch Wojciech Stamm und Leszek Oświęcimski erwähnt werden, deren Krea­ti­vität sich vor allem lite­ra­risch äußert. In erster Linie wäre hier wohl Oświęcimskis Klub Kiełbo­ludów von 2002 zu nennen. Der Roman erschien auch auf Deutsch unter dem Pseud­onym Leszek Herman als Der Klub der Pol­ni­schen Wurst­men­schen. Die Wurst­men­schen sind unter mys­te­riösen Umständen im Labor gezüch­tete Lebe­wesen aus pol­ni­scher Wurst, die nach Deutsch­land geschmug­gelt werden, um hier­zu­lande in Stücke geschnitten und ver­zehrt zu werden. Letzt­end­lich landen sie in Berlin und gründen einen Club, in dem sie sich mit Kunst befassen wollen, was ihnen jedoch nicht immer Klub_Buchgelingt. Der Roman ist zwi­schen Sci­ence-Fic­tion, Mär­chen und Spio­na­ge­thriller ange­sie­delt, lebt jedoch in erster Linie von seiner gro­tesken Komik und vielen zufäl­ligen Asso­zia­tionen. Allein die Fik­tion vom Wurst­men­schen – also einer Masse aus ver­schieden-artigen Fleisch­resten – macht schon deut­lich, wie sich die Prot­ago­nisten fühlen. Offen­sicht­lich wissen sie nicht genau, woraus sie gemacht sind und wohin sie gehören. So gesehen wäre ein mög­li­cher Ansatz, die pol­ni­schen Ver­sager besser zu ver­stehen, sie psy­cho­lo­gisch-ana­ly­tisch zu unter­su­chen. In “Eng­lishman in New York” singt der ehe­ma­lige Frontman der Band The Police, Sting, vom Dasein als Alien in einer völlig fremden Stadt. Der eine oder andere könnte sich an typi­sche Merk­male der Immi­gran­ten­li­te­ratur erin­nert fühlen, denn nicht selten gibt es eben solche Motive in Büchern von Ein­wan­de­rern: Der Prot­ago­nist ist fremd in einer ihm unbe­kannten Umge­bung, in einer anderen Kultur, er ver­liert die gewohnte Stel­lung inner­halb der Gesell­schaft, es fehlt ihm an Selbst­si­cher­heit und er büßt mög­li­cher-eise an Würde ein. Dieses Dilemma lässt im Grunde genommen nur zwei Mög­lich­keiten zu: ent­weder fällt man in ein psy­chi­sches Tief oder man hilft sich eben mit Humor weiter. Auch könnte man meinen, ein Ver­sager will des­wegen Ver­sager sein, weil er dadurch unan­greifbar wird: Wer will einem Ver­sager schon etwas vorwerfen?

In diesem Zusam­men­hang sei erwähnt, dass keiner der pol­ni­schen Ver­sager es zu großem Reichtum oder sozialem Ansehen gebracht hat, auch die Ver­kaufs­zahlen der Publi­ka­tionen sind weit ent­fernt von Erfolgen der „Vor­zei­ge­im­mi­granten“ wie zum Bei­spiel des eben­falls in Berlin Mitte behei­ma­teten Deutsch­russen Wla­dimir Kaminer. Einige der pol­ni­schen Ver­sager sollen gar von Hartz IV leben. Was also ist denn nun dieser Club der pol­ni­schen Ver­sager, und warum wehrt er sich so stand­haft gegen jeg­liche Ver­suche der Ein­ord­nung und gegen den Erfolg? Will er uns die Wesens­züge west­li­cher kapi­ta­lis­ti­scher Ideo­lo­gien vor Augen führen, deren eine ist, Dinge zwang­haft ein­ordnen zu wollen? Oder sollen wir den Club gar bewun­dern, da er sich frei­willig den Stempel des Ver­sa­gens anheftet? Im Mani­fest des Clubs der pol­ni­schen Ver­sager heißt es:

„Unser­glei­chen gibt es nicht viele in der Stadt.
Ein paar nur, viel­leicht einige zehn.
Der Rest, das sind Men­schen des Erfolgs, kühle und kalt­blü­tige Spe­zia­listen – was immer sie auch tun, das tun sie bestens.
Wir sind geneigt, ihren Vor­rang anzu­er­kennen, den­noch wollen wir Schöpfer bleiben, und zwar nach unseren Mög­lich­keiten, auf einem nied­ri­geren Niveau.“ 

Wer jetzt denkt, das alles sei eine große Farce, liegt jedoch nicht gänz­lich richtig. Oder viel­leicht doch? Sicher kann man sich beim Club der pol­ni­schen Ver­sager eigent­lich nie sein. Eines fällt jedoch auf: Die Ver­wir­rung erscheint durchaus gewollt zu sein. Mit den kom­mer­ziell äußerst erfolg­rei­chen Mul­ti­kulti-Come­dy­stars der deut­schen Fern­seh­land­schaft kann man den Club der pol­ni­schen Ver­sager nicht ver­glei­chen. Ein Kaya Yanar macht den Akzent eines Inders nach, und ein Mil­lio­nen­pu­blikum krümmt sich vor Lachen. Dieses ist nicht der Humor der Ver­sager, das wäre ihnen wahr­schein­lich zu platt. Beleh­rend wollen sie aller­dings auch nicht daher­kommen, denn das wäre ihnen wie­derum zu intel­lek­tuell. Einmal gelang es ihnen sogar ganz Deutsch­land zu ver­blüffen: Als die Ver­sager von Alfred Biolek neben Uschi Glas und Britney Spears in seine Talk­show Bou­le­vard Bio im deut­schen Fern­sehen ein­ge­laden wurden, blieben sie ihrer Linie jeden­falls treu. Relativ ein­ge­schüch­tert von so viel Auf­merk­sam­keit wollten sie nichts falsch machen und ant­wor­teten auf so manche Frage des Mode­ra­tors eher zurück­hal­tend und ein­silbig, was so manche nega­tive Reak­tion in den Medien nach sich zog. Fest­zu­halten bleibt jedoch, dass dieser Auf­tritt die Popu­la­rität des Clubs stei­gerte und ihnen Anfragen aus ganz Deutsch­land einbrachte.

Bei meinem Treffen mit Adam Gusowki und Piotr Mordel kam ich oft ins Grü­beln. Meinen die das jetzt ernst, oder sollte das ein Scherz sein? Wenn es jedoch ein Scherz sein sollte, warum lachen die dann jetzt nicht? Wäh­rend wir in einem Moment über das Ver­sagen als einen Angriff auf die west­liche Kultur spra­chen, oder die Zusam­men­stel­lung der Worte “pol­nisch” und “Ver­sager” als span­nungs­las­tiges Rätsel deu­teten, wurde im nächsten Moment Adam Gusowkis Wohn­si­tua­tion inklu­sive feh­lender Vor­hänge the­ma­ti­siert. Als Adam Gusowski dann in Bade­lat­schen kurz den Raum ver­ließ, berich­tete mir Piotr Mordel von Adams unglaub­li­cher Anzie­hungs­kraft auf Frauen, und dass dieser ohne wei­teres im Stande wäre, sich dies­be­züg­lich mit Tiger Woods zu messen.

Letzt­end­lich darf nicht ver­gessen werden, dass Adam Gusowski und Piotr Mordel nahezu in Voll­zeit arbeits­tätig sind. Ers­terer ver­dient sein Geld als Jour­na­list, der Zweite als Gra­fiker und Ver­leger. Beide berichten davon, dass es, wenn sie es gewollt hätten, durchaus Mög­lich­keiten gegeben hätte, mehr Erfolg und Geld aus dem Club der pol­ni­schen Ver­sager zu ziehen. Dieses wollen die Ver­sager aber nicht, und erzählen von ihren Bedenken, was Erfolg dem Club antun könnte.

Wenn man an die unter­schied­li­chen Akti­vi­täten des Clubs denkt und das Ziel, das der Club der pol­ni­schen Ver­sager bei seiner Grün­dung for­mu­lierte, näm­lich den deutsch-pol­ni­schen Kul­tur­aus­tausch, dann scheint es, als hätten die Ver­sager diesmal also gar nicht ver­sagt. In der Acker­straße 170 treffen sich jedes Wochen­ende Men­schen aus Deutsch­land, Polen und vielen anderen Län­dern, um zu dis­ku­tieren, zu feiern und zu trinken, und es fällt schwer, sich des Ein­drucks zu erwehren, dass der Club der pol­ni­schen Ver­sager mehr Inte­gra­ti­ons­ar­beit leistet als so manch eine steife staat­liche Einrichtung.

 

Lite­ratur:
Oświęcimski, Leszek Herman: Klub Kiełbo­ludów. Berlin 2002.
Herman [Oświęcimski], Leszek: Der Klub der pol­ni­schen Wurst­men­schen. Berlin 2004.

 

Wei­ter­füh­rende Links:
Web­seite des Clubs der pol­ni­schen Versager
www.polnischeversager.de/
You­tube-Channel des Clubs der pol­ni­schen Versager
www.youtube.com/user/polnischeversager170