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Die letzte Generation der Fussballromantiker

Posted on 25. Oktober 2012 by Constanze Aka
Vorbei ist die Fußballeuropameisterschaft 2012 in der Ukraine und in Polen. Was ist vom großen Fußballfest geblieben? Neue Stadien, mag der eine oder andere antworten, moderne Flughäfen, ausgebaute Straßen. Doch bleiben auch Geschichten. Geschichten, die Fußballfans von ihren Reisen mitgebracht haben, und Geschichten, die Ukrainer und Polen zur EM erzählen.

Acht Autoren portraitieren die Austragungsorte der Fußballeuropameisterschaft in Polen und der Ukraine
totalniyfutbolVorbei ist die Fußballeuropameisterschaft 2012 in der Ukraine und in Polen. Was ist vom großen Fußballfest geblieben? Neue Stadien, mag der eine oder andere antworten, moderne Flughäfen, ausgebaute Straßen. Doch bleiben auch Geschichten. Geschichten, die Fußballfans von ihren Reisen mitgebracht haben, und Geschichten, die Ukrainer und Polen zur EM erzählen. Diese Geschichten berichten vom Fußball und verraten gleichzeitig so einiges über die gastgebenden Länder. Denn „im Großen und Ganzen ist Fußball keine parallele Wirklichkeit“, sagt Serhij Zhadan, „Fußball selbst ist Wirklichkeit, vielleicht sogar in ihrer besten Erscheinungsform.“
Zhadan, ukrainischer Autor und selbsterklärter Anhänger der „letzten Generation der Fußballromantiker“, trommelte darum im Vorfeld der Europameisterschaft acht Schriftstellerkollegen aus Polen und der Ukraine (u.a. Natasza Goerke, Marek Bieńczyk, Natalka Snjadanko und Juri Andruchowytsch) zusammen, um gemeinsam die Austragungsorte und ihre Bewohner literarisch zu porträtieren. Entstanden ist die Anthologie Totalniy Futbol, die nicht nur auf Polnisch und Ukrainisch, sondern auch, herausgegeben vom Suhrkamp-Verlag, in deutscher Sprache erschienen ist.

 

Totalniy Futbol ist weder Reisehandbuch noch Sportalmanach. In den acht Kapiteln über Breslau, Krakau, Danzig und Warschau, über Lemberg, Kiew, Donezk und Charkiw verknüpfen die Autoren auf 242 Seiten den Fußball mit der Literatur und machen ihn dabei zum Spiegel der Gesellschaft. Für die deutschsprachige Leserschaft stellt die Anthologie ein Gegengewicht zur allgemeinen Presseberichterstattung dar. Diese kontrastierte im Vorlauf der Europameisterschaft gerne die Erfolgsgeschichte eines demokratisierten und in Europa aufstrebenden Polens mit Skandalmeldungen über einen semiautoritären ukrainischen Staatsapparat. In Totalniy Futbol hingegen wird bewusst die kulturelle Zusammengehörigkeit der beiden Länder artikuliert: „Die Ukraine ist Polens Halbschwester, und auch wenn sie bisher nicht zur EU gehört, im Zuge der Familienzusammenführung wird sie vielleicht doch noch irgendwann aufgenommen“, schreibt Natasza Goerke.
Stimmungsvolle Fotografien des in Deutschland lebenden Ukrainers Kirill Golovchenko geben den Kapiteln einen optischen Rahmen. Die in schwarz-weiß gehaltenen Bilder fangen Momente ein, in denen sich der Fußball wie selbstverständlich in alltägliche Landschaften und Lebenswelten einfügt, die jedoch meist eine Note des Heruntergekommenen und Verwahrlosten tragen. In dieser Hinsicht untermalt das Fotoessay die Texte, die sich bisweilen ebenfalls des Klischees des wilden Ostens bedienen: „Beim Zoo steigt man in die Straßenbahn und rumpelt über löchrige Boulevards, über unzählige Brücken durch eine Landschaft des stockenden Rhythmus: Platz – Altbau – leerer Platz. Bis Berlin sind es drei Autostunden, bis Prag zweieinhalb. Bis zur Hauptstadt, nach Warszawa – fünf und mehr, auf miserabler Fahrbahn, verstopft von litauischen LKW. Endlos weit“, so wird Breslau von Piotr Siemion verortet.
In den teils dokumentarischen und teils fiktionalen Texten singen die Autoren bei weitem keine verklärte Lobeshymne auf die beiden Gastgeberländer, sondern überraschen mit einer Sammlung von Essays, in denen sie die (Fußball-)Geschichten ihrer Städte schildern. Sie geben nicht nur Einblick in die Fußballkultur Polens und der Ukraine, sondern vor allem in Lebens- und Denkweisen, lokale Kuriositäten und Mentalitäten. Nicht in allen Beiträgen jedoch entpuppt sich der Sport als literarische Muse. Dort aber, wo man den Autoren echte Fußballliebe anmerkt und dort, wo die Fußballvernarrten der einzelnen Städte selbst zu Wort kommen, überzeugen die Texte.
„Fußball spielen, Schreiben, Tore schießen, Erzählen, all das hat sich zu einem ganzen Abschnitt in unserem Leben verwoben“, heißt es beispielsweise in Marek Bieńczyks Beitrag Der letzte Elfmeter, in dem er eine Gruppe von Warschauer Freunden über ihre gemeinsamen Fußballvergangenheit befragt. In ihren Erzählungen sind es die Nebensätze und beiläufigen Details, die so viel über das Leben, den Fußball und die Stadt verraten. „Ja, die Erinnerungen, ich hab mir eine Karte für das Eröffnungsspiel gekauft, ach was, woher denn, nicht offiziell, sondern wie sich es gehört, damit Sie nur nicht denken, im Kapitalismus wär verdammt noch mal alles anders als früher, naja, jedenfalls hab ich jetzt eine, die Kumpel, mit denen ich `90 vorm Kulturpalast Sachen auf Feldbetten verkauft hab, sitzen heute an besseren Stellen…“ Durch die verschiedenen Stimmen, die Bieńczyk zu Wort kommen lässt, entsteht vor dem Auge des Lesers ein facettenreiches Bild der polnischen Hauptstadt, in dem das neue Nationalstadion einmal als „Korb“ und „Haufen Scheiße“ und später als „unbekanntes Flugobjekt“ erscheint.
Juri Andruchowytschs Essay Lobans Rechenkünste ist zwar in der deutschen, jedoch nicht in der ukrainischen Version der Anthologie erschienen (dort ist es der Text Bälle von Evhen Polozhij). Der Autor, der sich hierzulande einen Namen als literarischer Botschafter der pro-europäischen Ukraine machte, thematisiert jedoch nicht den innerukrainischen Identitätskonflikt zwischen West und Ost, zwischen Europa und Russland. Vielmehr widmet er sich der Hauptstadt Kiew und beschreibt Höhenflüge und Abstürze des Fußballklubs Dynamo sowie der sowjetischen Nationalmannschaft. Andruchowytsch beschwört die Welt der ukrainischen Fußballlegenden der 1960er bis 1980er Jahre herauf. „Jetzt weiß Europa, auch wir können spielen!“, schreibt der Autor und erklärt, wie der Rote Loban (Valeri Lobanowskyj) und sein Freund Basyl (Oleh Basylewytsch) den totalen Fußball (Totalniy Futbol) aus den Niederlanden in die Ukraine brachten und ihrem Verein damit europaweit einen Namen machten.
In der Mehrzahl der Texte gibt die Sehnsucht nach den guten alten Zeiten den Ton an, als die Jungs noch in den Hinterhöfen kickten und abends nicht vom Platz zu jagen waren. Durch den Titel Schwarzes Gold der Hoffnung, den man als Anspielung auf den ersten Vers der „Todesfuge“ Paul Celans verstehen kann, gibt auch Zhadan seinem Essay einen historischen Bezugsrahmen. Doch führt er diese Linie im Text nicht weiter fort, sondern stürzt sich vielmehr ins Hier und Jetzt der Donezker Fußballwelt. In diesem Zusammenhang erinnert die Metapher „schwarzes Gold“ an die Tradition des Kohlebergbaus, der der Verein Schachtar seinen Namen verdankt.
Zhadan schildert seine Begegnungen mit den Ultras des Fußballklubs und betrachtet Hooligans dabei nicht „als ständige Quelle von Aggression und Destabilisierung“, sondern stellt sie dem Leser als Menschen vor, die überraschenderweise „untereinander ziemlich verschieden sind“. Er erklärt, wie das Geld der Oligarchen mit dem Erfolg der Vereine verquickt ist und wie das neue Stadion, die „Perle des Donbas“, als Ersatz für mangelnde Theater und Museen die Menschen in Scharen anzieht. Kurzum, in seinem kurzweiligen Text gelingt es dem Schriftsteller, das Paradox des ukrainischen Fußballs zu offenbaren: Einerseits ist Sport in der Ukraine nicht ohne Politik zu denken, andererseits dient den Menschen der Besuch im Stadion als apolitischer Rückzugsort.
Dort, „wo man sich noch nicht einmal über die eigenen Probleme, Wünsche und Stereotypen im klaren ist“, schreibt Zhadan im Vorwort, habe Fußball das Potential, die Menschen miteinander zu vereinen. In seinen einleitenden Worten tritt der Herausgeber selbst als Botschafter seines Landes auf und fordert den Leser dazu auf, während des Turniers „Stereotype gegen Informationen und Vorurteile gegen Sympathie, ja Liebe“ einzutauschen. Über das Ansehen Polens macht er sich hingegen wenig Sorgen, da das EU-Land dem Leser „vermutlich nicht nur geographisch nähersteht“.

 

Totalniy Futbol nicht nur einen anregenden Einblick in die Welt des ukrainischen und polnischen Fußballs, sondern auch in die Gegenwartsliteratur der beiden Länder. Denn die Suche nach der eigenen Identität, die Probleme der Transformation oder das Erbe der Sowjetunion stehen hier einmal nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern schwingen in den Geschichten über das runde Leder mit.

 

Totalniy Futbol. Eine polnisch-ukrainische Fußballreise. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2012.

Die letzte Generation der Fussballromantiker - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Die letzte Gene­ra­tion der Fussballromantiker

Acht Autoren por­trai­tieren die Aus­tra­gungs­orte der Fuß­ball­eu­ro­pa­meis­ter­schaft in Polen und der Ukraine

totalniyfutbolVorbei ist die Fuß­ball­eu­ro­pa­meis­ter­schaft 2012 in der Ukraine und in Polen. Was ist vom großen Fuß­ball­fest geblieben? Neue Sta­dien, mag der eine oder andere ant­worten, moderne Flug­häfen, aus­ge­baute Straßen. Doch bleiben auch Geschichten. Geschichten, die Fuß­ball­fans von ihren Reisen mit­ge­bracht haben, und Geschichten, die Ukrainer und Polen zur EM erzählen. Diese Geschichten berichten vom Fuß­ball und ver­raten gleich­zeitig so einiges über die gast­ge­benden Länder. Denn „im Großen und Ganzen ist Fuß­ball keine par­al­lele Wirk­lich­keit“, sagt Serhij Zhadan, „Fuß­ball selbst ist Wirk­lich­keit, viel­leicht sogar in ihrer besten Erscheinungsform.“
Zhadan, ukrai­ni­scher Autor und selbst­er­klärter Anhänger der „letzten Gene­ra­tion der Fuß­ball­ro­man­tiker“, trom­melte darum im Vor­feld der Euro­pa­meis­ter­schaft acht Schrift­stel­ler­kol­legen aus Polen und der Ukraine (u.a. Nat­asza Goerke, Marek Bieńczyk, Natalka Snja­danko und Juri Andrucho­wytsch) zusammen, um gemeinsam die Aus­tra­gungs­orte und ihre Bewohner lite­ra­risch zu por­trä­tieren. Ent­standen ist die Antho­logie Totalniy Futbol, die nicht nur auf Pol­nisch und Ukrai­nisch, son­dern auch, her­aus­ge­geben vom Suhr­kamp-Verlag, in deut­scher Sprache erschienen ist.

 

Totalniy Futbol ist weder Rei­se­hand­buch noch Spor­tal­ma­nach. In den acht Kapi­teln über Breslau, Krakau, Danzig und War­schau, über Lem­berg, Kiew, Donezk und Charkiw ver­knüpfen die Autoren auf 242 Seiten den Fuß­ball mit der Lite­ratur und machen ihn dabei zum Spiegel der Gesell­schaft. Für die deutsch­spra­chige Leser­schaft stellt die Antho­logie ein Gegen­ge­wicht zur all­ge­meinen Pres­se­be­richt­erstat­tung dar. Diese kon­tras­tierte im Vor­lauf der Euro­pa­meis­ter­schaft gerne die Erfolgs­ge­schichte eines demo­kra­ti­sierten und in Europa auf­stre­benden Polens mit Skan­dal­mel­dungen über einen semi­au­to­ri­tären ukrai­ni­schen Staats­ap­parat. In Totalniy Futbol hin­gegen wird bewusst die kul­tu­relle Zusam­men­ge­hö­rig­keit der beiden Länder arti­ku­liert: „Die Ukraine ist Polens Halb­schwester, und auch wenn sie bisher nicht zur EU gehört, im Zuge der Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung wird sie viel­leicht doch noch irgend­wann auf­ge­nommen“, schreibt Nat­asza Goerke.
Stim­mungs­volle Foto­gra­fien des in Deutsch­land lebenden Ukrai­ners Kirill Golov­chenko geben den Kapi­teln einen opti­schen Rahmen. Die in schwarz-weiß gehal­tenen Bilder fangen Momente ein, in denen sich der Fuß­ball wie selbst­ver­ständ­lich in all­täg­liche Land­schaften und Lebens­welten ein­fügt, die jedoch meist eine Note des Her­un­ter­ge­kom­menen und Ver­wahr­losten tragen. In dieser Hin­sicht unter­malt das Foto­essay die Texte, die sich bis­weilen eben­falls des Kli­schees des wilden Ostens bedienen: „Beim Zoo steigt man in die Stra­ßen­bahn und rum­pelt über löch­rige Bou­le­vards, über unzäh­lige Brü­cken durch eine Land­schaft des sto­ckenden Rhythmus: Platz – Altbau – leerer Platz. Bis Berlin sind es drei Auto­stunden, bis Prag zwei­ein­halb. Bis zur Haupt­stadt, nach Wars­zawa – fünf und mehr, auf mise­ra­bler Fahr­bahn, ver­stopft von litaui­schen LKW. Endlos weit“, so wird Breslau von Piotr Sie­mion verortet.
In den teils doku­men­ta­ri­schen und teils fik­tio­nalen Texten singen die Autoren bei weitem keine ver­klärte Lobes­hymne auf die beiden Gast­ge­ber­länder, son­dern über­ra­schen mit einer Samm­lung von Essays, in denen sie die (Fußball-)Geschichten ihrer Städte schil­dern. Sie geben nicht nur Ein­blick in die Fuß­ball­kultur Polens und der Ukraine, son­dern vor allem in Lebens- und Denk­weisen, lokale Kurio­si­täten und Men­ta­li­täten. Nicht in allen Bei­trägen jedoch ent­puppt sich der Sport als lite­ra­ri­sche Muse. Dort aber, wo man den Autoren echte Fuß­ball­liebe anmerkt und dort, wo die Fuß­ball­ver­narrten der ein­zelnen Städte selbst zu Wort kommen, über­zeugen die Texte.
„Fuß­ball spielen, Schreiben, Tore schießen, Erzählen, all das hat sich zu einem ganzen Abschnitt in unserem Leben ver­woben“, heißt es bei­spiels­weise in Marek Bieńc­zyks Bei­trag Der letzte Elf­meter, in dem er eine Gruppe von War­schauer Freunden über ihre gemein­samen Fuß­ball­ver­gan­gen­heit befragt. In ihren Erzäh­lungen sind es die Neben­sätze und bei­läu­figen Details, die so viel über das Leben, den Fuß­ball und die Stadt ver­raten. „Ja, die Erin­ne­rungen, ich hab mir eine Karte für das Eröff­nungs­spiel gekauft, ach was, woher denn, nicht offi­ziell, son­dern wie sich es gehört, damit Sie nur nicht denken, im Kapi­ta­lismus wär ver­dammt noch mal alles anders als früher, naja, jeden­falls hab ich jetzt eine, die Kumpel, mit denen ich ‘90 vorm Kul­tur­pa­last Sachen auf Feld­betten ver­kauft hab, sitzen heute an bes­seren Stellen…“ Durch die ver­schie­denen Stimmen, die Bieńczyk zu Wort kommen lässt, ent­steht vor dem Auge des Lesers ein facet­ten­rei­ches Bild der pol­ni­schen Haupt­stadt, in dem das neue Natio­nal­sta­dion einmal als „Korb“ und „Haufen Scheiße“ und später als „unbe­kanntes Flug­ob­jekt“ erscheint.
Juri Andrucho­wytschs Essay Lobans Rechen­künste ist zwar in der deut­schen, jedoch nicht in der ukrai­ni­schen Ver­sion der Antho­logie erschienen (dort ist es der Text Bälle von Evhen Polozhij). Der Autor, der sich hier­zu­lande einen Namen als lite­ra­ri­scher Bot­schafter der pro-euro­päi­schen Ukraine machte, the­ma­ti­siert jedoch nicht den inne­rukrai­ni­schen Iden­ti­täts­kon­flikt zwi­schen West und Ost, zwi­schen Europa und Russ­land. Viel­mehr widmet er sich der Haupt­stadt Kiew und beschreibt Höhen­flüge und Abstürze des Fuß­ball­klubs Dynamo sowie der sowje­ti­schen Natio­nal­mann­schaft. Andrucho­wytsch beschwört die Welt der ukrai­ni­schen Fuß­ball­le­genden der 1960er bis 1980er Jahre herauf. „Jetzt weiß Europa, auch wir können spielen!“, schreibt der Autor und erklärt, wie der Rote Loban (Valeri Loba­now­skyj) und sein Freund Basyl (Oleh Basy­l­e­wytsch) den totalen Fuß­ball (Totalniy Futbol) aus den Nie­der­landen in die Ukraine brachten und ihrem Verein damit euro­pa­weit einen Namen machten.
In der Mehr­zahl der Texte gibt die Sehn­sucht nach den guten alten Zeiten den Ton an, als die Jungs noch in den Hin­ter­höfen kickten und abends nicht vom Platz zu jagen waren. Durch den Titel Schwarzes Gold der Hoff­nung, den man als Anspie­lung auf den ersten Vers der „Todes­fuge“ Paul Celans ver­stehen kann, gibt auch Zhadan seinem Essay einen his­to­ri­schen Bezugs­rahmen. Doch führt er diese Linie im Text nicht weiter fort, son­dern stürzt sich viel­mehr ins Hier und Jetzt der Donezker Fuß­ball­welt. In diesem Zusam­men­hang erin­nert die Meta­pher „schwarzes Gold“ an die Tra­di­tion des Koh­le­berg­baus, der der Verein Schachtar seinen Namen verdankt.
Zhadan schil­dert seine Begeg­nungen mit den Ultras des Fuß­ball­klubs und betrachtet Hoo­li­gans dabei nicht „als stän­dige Quelle von Aggres­sion und Desta­bi­li­sie­rung“, son­dern stellt sie dem Leser als Men­schen vor, die über­ra­schen­der­weise „unter­ein­ander ziem­lich ver­schieden sind“. Er erklärt, wie das Geld der Olig­ar­chen mit dem Erfolg der Ver­eine ver­quickt ist und wie das neue Sta­dion, die „Perle des Donbas“, als Ersatz für man­gelnde Theater und Museen die Men­schen in Scharen anzieht. Kurzum, in seinem kurz­wei­ligen Text gelingt es dem Schrift­steller, das Paradox des ukrai­ni­schen Fuß­balls zu offen­baren: Einer­seits ist Sport in der Ukraine nicht ohne Politik zu denken, ande­rer­seits dient den Men­schen der Besuch im Sta­dion als apo­li­ti­scher Rückzugsort.
Dort, „wo man sich noch nicht einmal über die eigenen Pro­bleme, Wün­sche und Ste­reo­typen im klaren ist“, schreibt Zhadan im Vor­wort, habe Fuß­ball das Poten­tial, die Men­schen mit­ein­ander zu ver­einen. In seinen ein­lei­tenden Worten tritt der Her­aus­geber selbst als Bot­schafter seines Landes auf und for­dert den Leser dazu auf, wäh­rend des Tur­niers „Ste­reo­type gegen Infor­ma­tionen und Vor­ur­teile gegen Sym­pa­thie, ja Liebe“ ein­zu­tau­schen. Über das Ansehen Polens macht er sich hin­gegen wenig Sorgen, da das EU-Land dem Leser „ver­mut­lich nicht nur geo­gra­phisch nähersteht“.

 

Totalniy Futbol nicht nur einen anre­genden Ein­blick in die Welt des ukrai­ni­schen und pol­ni­schen Fuß­balls, son­dern auch in die Gegen­warts­li­te­ratur der beiden Länder. Denn die Suche nach der eigenen Iden­tität, die Pro­bleme der Trans­for­ma­tion oder das Erbe der Sowjet­union stehen hier einmal nicht im Mit­tel­punkt der Auf­merk­sam­keit, son­dern schwingen in den Geschichten über das runde Leder mit.

 

Totalniy Futbol. Eine pol­nisch-ukrai­ni­sche Fuß­ball­reise. Berlin: Suhr­kamp Verlag, 2012.