Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Eine Rose für die Stadt. Joanna Raj­kowskas Ber­liner Kunstprojekte

Im Früh­jahr und Sommer 2012 gab es in Berlin vier ver­schie­dene Pro­jekte der pol­ni­schen Künst­lerin Joanna Raj­kowska zu sehen, u.a. auf der 7. Berlin Bien­nale für zeit­ge­nös­si­sche Kunst. Mał­gorzata Maria Bach ist ihnen für novinki nachgegangen.

 

Rajkowska Born in Berlin Video Still AdK2012Wann beginnt die nächste Pro­jek­tion? Ich weiß nicht – ant­wor­tete die Auf­sichts­person – es ist eine Schleife. Ich trat also in den dunklen Pro­jek­ti­ons­saal der Aka­demie der Künste am Pariser Platz und war sofort von den Bil­dern, die ich sah, scho­ckiert. Gerade lief der dra­ma­tur­gi­sche Höhe­punkt des Films von Joanna Raj­kowska: die Geburt Rosas, ihrer Tochter. Es waren expli­zite Bilder. Die Kamera ver­barg nichts vor dem Zuschauer. Ich selbst jedoch ver­suchte, meine Ver­le­gen­heit zu ver­bergen, so als handle es sich um eine gewöhn­liche All­tags­szene. Und tat­säch­lich wird ja auch jede Sekunde irgendwo ein Kind zur Welt gebracht. Doch nur die wenigsten Frauen erschaffen daraus einen Kunstakt.

Im Ver­lauf des Films beginnt man zu begreifen, dass die Künst­lerin ihre Schwan­ger­schaft  kom­men­tarlos zu doku­men­tieren beab­sich­tigt: Da ist zum Bei­spiel der nackte Körper der Schwan­geren vor dem Hin­ter­grund einer Stadt – Berlin. Sie selbst erläu­tert später, dass nur „eine ganz dünne Schicht gespannter Haut“ ihr Kind von dieser Stadt trennte. Beim Zuschauen stellt sich einem die Frage, ob Joanna Raj­kowska hier ihre Schwan­ger­schaft zur Kunst macht, oder ob es die Kunst ist, die ihren Körper ver­ein­nahmt. Es ist, als wollte sie Fou­cault wider­legen, der vor 30 Jahren bemerkte, „dass Kunst in unserer Gesell­schaft zu etwas geworden ist, das nur Gegen­stände, nicht aber Indi­vi­duen oder das Leben betrifft. Dass Kunst etwas Geson­dertes ist, das von Experten, näm­lich Künst­lern, gemacht wird.“ Wenn Fou­cault weiter fragt: „Aber könnte nicht das Leben eines jeden ein Kunst­werk werden?“, dann gibt Raj­kowska auf seine Frage eine radi­kale Ant­wort: Sogar das Leben eines unge­bo­renen Kindes kann zum Kunst­werk werden.

 

Rajkowska,born in berlin01Die Künst­lerin bringt ihr Kind in Berlin zur Welt und opfert es zugleich der Kunst. Doch schließ­lich arbeitet Raj­kowska immer im öffent­li­chen Raum. Im Inter­view mit Artur Żmi­jewski, dem Kurator der 7. Berlin Bien­nale, sagt sie, dass ihre besten Ideen immer in der Arbeit an einem kon­kreten Ort und mit dem eigenen Körper ent­stehen. Sie geht an einen Ort, beob­achtet dort die eigenen instink­tiven Reak­tionen, hört ihrem Körper auf­merksam zu und ver­sucht dann, die Situa­tion so zu arran­gieren, dass andere sie genauso emp­finden können. Auch ihr Bien­nale-Pro­jekt basiert auf diesem Prinzip: Die Künst­lerin arbeitet mit ihrem Körper im Raum. Kurz vor der Geburt ihrer Tochter beschloss sie, das Kind in Berlin zur Welt zu bringen. „Ich glaube, dass der Geburtsort großen Ein­fluss auf das Schicksal eines Men­schen hat. Man kehrt immer wieder dorthin zurück, wie ein Tier; man denkt an diesen Ort auf ganz beson­dere Weise. Rosa wird Berlin mit einem lebens­schen­kenden Anfang ver­binden, auch wenn sie selbst sich an ihn nicht erin­nern können wird. Der erste Atemzug, den sie tat, der erste Laut, den sie von sich gab, ihr erster Kampf gegen eine Infek­tion: All das wird für immer mit dieser Stadt ver­bunden sein“ – kom­men­tiert die Künst­lerin ihre Entscheidung.
Die Bezie­hung zwi­schen ihr, ihrem Kind und der Stadt führt Raj­kowska auf eine phy­si­sche Ver­bin­dung zurück. Sie wan­dert schwanger durch Berlin: Sie geht zum Bei­spiel zum Reichstag, wo im Unter­ge­schoss noch immer die Krit­ze­leien sowje­ti­scher Sol­daten zu sehen sind, oder nach Mitte, wo sich einst die Regie­rungs­zen­trale des Dritten Rei­ches befand, oder zum Teu­fels­berg, wo die Bäume keine Wur­zeln schlagen können, weil der Boden nur aus Geröll besteht.Sie will auch die Wärme der Erde spüren. Also gräbt sie im Wald ein Loch in den Boden und bleibt eine ganze Nacht lang darin liegen. Am Teu­felssee über­kommt sie die Lust, im Sumpf zu baden: „Nach vielen Monaten – du warst bereits auf der Welt – ver­suchte ich zu ver­stehen, warum ich plötz­lich ins Wasser ein­tauchte. Da fiel mir die Geschichte von meiner Groß­mutter und meinem Vater ein, wie sie dem Trans­port nach Ausch­witz ent­kamen, indem sie sich bei Krzes­zowice in den Sümpfen ver­steckten und zwei volle Tage darin war­teten“ – das erzählt Raj­kowska ihrer Tochter in einem Essay. Als sie auch einmal eine Nacht in einer Zelle des Stasi-Gefäng­nisses Hohen­schön­hausen ver­bringen will, lässt man dies mit der Begrün­dung, sie ver­folge eine „Pri­vat­an­ge­le­gen­heit“, nicht zu. Und genau an dieser Grenze arbeitet die Künst­lerin: Sie macht ihr pri­vates Leben öffent­lich und den öffent­li­chen Raum mit seiner Geschichte zu ihrer und Rosas Pri­vat­an­ge­le­gen­heit. Selbst der Vor­name des Kindes ver­eint diese beiden Sphären: Er bezieht sich einer­seits auf Raj­kowskas Urgroß­mutter, ander­seits auf Rosa Luxemburg.
Doch Raj­kowska ist weit davon ent­fernt, Pri­vates und Öffent­li­ches ein­fach nur inein­ander auf­gehen zu lassen. Wenn man sich ihren Film ansieht, hat man durchaus das Gefühl, dass sie ihr Kind der Kunst opfert. Darin liegt aber noch etwas Tie­feres ver­borgen: Wenn die Künst­lerin ihre Tochter Rosa durch Berlin führt und ihr die schwie­rige Geschichte dieser Stadt erzählt, dann scheint es so, als opfere sie das Kind nicht nur der Kunst, son­dern auch der Stadt. Sie möchte die Wunden der Stadt heilen, indem sie ihr ein neues Leben schenkt. Der Film endet damit, dass Raj­kowska ihren Mut­ter­ku­chen vor dem Reichs­tags­ge­bäude ver­gräbt. Dann ist zu lesen, dass neun Monate nach der Geburt des Kindes die Ärzte bei Rosa Augen­krebs dia­gnos­ti­zierten. Fast könnte man glauben, die Stadt habe das Opfer angenommen.

 

Doch um das alles zu begreifen, musste ich selbst noch einen anderen Ort in der Stadt auf­su­chen. Erst die Aus­stel­lung A letter to Rosa in der Galerie ŻAK|BRANICKA in der Lin­den­straße ließ mich die Zusam­men­hänge ver­stehen. Es sind knapp hun­dert Col­lagen und Pho­to­gra­phien, die chro­no­lo­gisch die Schlüs­sel­mo­mente der Schwan­ger­schaft und der ersten Wochen nach Rosas Geburt dar­stellen. Jedes Bild ist mit einem kurzen Kom­mentar ver­sehen. Diese Kom­men­tare fügen sich zu einem Brief zusammen, der an die erwach­sene Rosa gerichtet ist. In der Galerie wird deut­lich, dass der Film und die Bilder zusammen gehören. Und den­noch sind beide Pro­jekte räum­lich von­ein­ander getrennt. Der Gale­rie­raum ermög­licht näm­lich, so Raj­kowska, eine andere Per­zep­tion als eine öffent­liche Kino­pro­jek­tion. Wäh­rend sich der öffent­liche Kino­raum durch Lärm und viele zufäl­lige Töne aus­zeichne, wirke die Galerie bei­nahe wie ein Mute-Knopf: Die Stör­ge­räu­sche des Kino­saals werden leise gestellt, es gibt nichts als die direkte Bot­schaft der Künstlerin.

Wenn Raj­kowska in einer Stadt arbeitet, dann sucht sie, wie sie selbst sagt, immer die „kranken Orte“ auf. In Berlin gibt es viele solche Orte. Einer davon ist der Schloss­platz, auf dem bis 1945 das Stadt­schloss stand, und später der Palast der Repu­blik –  noch bis 2006 als toxi­sches Gespenst einer ver­gan­genen Epoche.
Heute ist der Schloss­platz eine grüne Fläche. Im Pol­ni­schen Institut in der Burg­straße 27 stoße ich auf eine wei­tere Aus­stel­lung Raj­kowskas, die den Titel Sumpf­stadt trägt. Die unheim­li­chen schwarz-weißen Fotos sind Raj­kowskas Ant­wort auf die strit­tige Frage der Neu­ge­stal­tung des Schloss­platzes. Sie schlägt eine Rück­kehr zur Natur vor, eine Rück­kehr zur Vor­ge­schichte, d. h. zu jenem Zeit­punkt, als die Kräfte der Natur stärker waren als die des Men­schen. Wäre eine solche Rück­kehr zum Ursprung nicht ein wahrer Neu­an­fang, eine voll­kom­mene „Ent­his­to­ri­sie­rung“ des Ortes? Wenn die Künst­lerin eine radi­kale Ver­än­de­rung der Topo­gra­phie vor­schlägt, dann um – wie sie sagt – jene Energie frei­zu­setzen, die es den Men­schen ermög­licht, alle Bezie­hungen zu diesem Ort aus­zu­lö­schen. Dies sei aber kei­nes­wegs ein Ver­fahren des Ver­ges­sens. Eher eines der Katharsis.

 

Rajkowska, Sumpfstadt, 2012, c-print, copyright the artist, courtesy ZAK BRANICKA, comissioned by Polnisches Institut Berlin

Par­allel zum Sumpf­stadt-Pro­jekt, das eine Anre­gung zur Ände­rung der Stadt­land­schaft ist, also des Sicht­baren, wirkt die pol­ni­sche Künst­lerin auch im Namen der­je­nigen, die unsichtbar und ver­gessen sind. In einem wei­teren Ber­liner Pro­jekt Final Fan­ta­sies por­trä­tiert Raj­kowska Men­schen in einem Hospiz, die kurz vor dem Tod stehen. Und sie erfüllt ihnen ihren letzten Wunsch: den Ort und ein Stück weit auch die Art zu wählen, wie sie sterben möchten. Dazu filmt die Künst­lerin für sie die Land­schaften und Orte, nach denen sie sich sehnen. Mit ihren Filmen schenkt sie den Tod­kranken das „in ihrer Vor­stel­lung ideale Ster­be­um­feld“. Dieses Pro­jekt schließt den Kreis zwi­schen Geburt und Tod.

Die Idee der 7. Bien­nale war es zu zeigen, dass Kunst im Zen­trum sozialer und poli­ti­scher Zusam­men­hänge ope­riert und Werk­zeuge lie­fern kann, um in diese zu inter­ve­nieren. Raj­kowska folgt mit ihren Pro­jekten durchaus dieser Idee. In ihrem Ver­ständnis „beginnt jeg­liche Lokal­po­litik damit, wie wir uns zu uns selbst ver­halten und wie wir unsere Ter­ri­to­rien abste­cken.“ Ihre Kunst bringt die Men­schen dazu, den Ort, an dem sie sich befinden, intensiv zu erleben.

 

Wei­ter­füh­rende Links und Literatur:

www.rajkowska.com
www.berlinbiennale.de/blog
www.polnischekultur.de
www.zak-branicka.com
www.palma.art.pl

Raj­kowska. Prze­wodnik Kry­tyki Poli­ty­cznej. Wars­zawa: Wydaw­nictwo Kry­tyki Poli­ty­cznej 2009.

Bra­nicka, Monika, „Wid­zisz córeczko jaka piękna zieleń?”, in: http://www.fwpn.org.pl/etc/_gfi/Born_in_Berlin_esej_Branicka_1.pdf

Michel Fou­cault: „Zur Genea­logie der Ethik“, in: Hubert L. Dreyfus u. Paul Rabinow: Michel Fou­cault. Jen­seits von Struk­tu­ra­lismus und Her­me­neutik, Frankfurt/M. 1987.