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Den verkannten Attentätern

Posted on 15. Dezember 2014 by Felicitas Claus
1914 – 2014. Es ist wieder Denkmal-Zeit. In ganz Europa gedenken wir des ersten Weltkriegs und des Ereignisses, welches ihn auslöste. Dem Schützen, der in Sarajevo den österreichisch-ungarischen Thronfolger mit zwei Schüssen tötete, werden noch heute in Bosnien und Serbien Denkmäler gebaut. Die serbische Autorin Biljana Srbljanović will sie stürzen – und stellt doch in ihrem Drama "Mali mi je ovaj grob" (dt. Dieses Grab ist mir zu klein) nur weitere auf.

1914 – 2014. Es ist wieder Denkmal-Zeit. In ganz Europa gedenken wir des ersten Weltkriegs und des Ereignisses, welches ihn auslöste. Dem Schützen, der in Sarajevo den österreichisch-ungarischen Thronfolger mit zwei Schüssen tötete, werden noch heute in Bosnien und Serbien Denkmäler gebaut. Die serbische Autorin Biljana Srbljanović will sie stürzen – und stellt doch in ihrem Drama „Mali mi je ovaj grob“ (dt. Dieses Grab ist mir zu klein) nur weitere auf.

 

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Gavrilo Princip. Am 28. Juni 1914 feuert er in Sarajevo zwei Schüsse auf Franz Ferdinand ab, den Thronfolger der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Danach macht er Karriere: Als Auslöser des 1. Weltkriegs, als Freiheitskämpfer für alle Südslawen in Jugoslawien, als Held und Terrorist. Auch heute kann man sich aussuchen, ob man ihn verehrt oder verachtet, je nachdem, ob man mit oder ohne nationalistische Brille aus Serbien, Bosnien-Herzegowina oder aus der Serbischen Entität Bosnien-Herzegowinas auf ihn blickt.
All diesen Darstellungen sagt die serbische Dramatikerin Biljana Srbljanović zunächst den Kampf an. In Mali mi je ovaj grob (dt. Dieses Grab ist mir zu klein) entwirft sie Attentäter, dievor allem Teenager sind. Denn bevor es im Text überhaupt zu den folgenreichen Schüssen kommt, begleitet der Leser „Gavrilein“ und seine Freunde Nedeljko und Ljubica vor einer revolutionär gehaltenen Kulisse erst einmal dabei, jung, ein bisschen verliebt und sehr naiv zu sein.

 

Attentäter als Teenager: Welpen, jung und unschuldig

So beginnt das Stück mit Gavrilo und Nedeljko. Gerade vor den Gendarmen geflüchtet, stolpern sie in der ersten Szene zu einer Wohnungsbesichtigung bei Ljubica hinein. Ljubica, fünfzehnjährig, möchte von den beiden alles über die Proteste in der Innenstadt von Sarajevo wissen. Denn die politischen Unruhen, die sich in Folge der Annexion Bosniens durch Österreich-Ungarn noch verstärkten, sind für sie vor allem nur ein großes Abenteuer: „ Mensch, und meine Mutter hat mich nicht aus dem Haus gelassen“.

Später schaut man dabei zu, wie „Gavro“ und „Nedjo“ Billard spielen, wie sie mit Ljubica an geheimen Versammlungen teilnehmen und mit ihr ins Kino gehen. Nedjo verliebt sich in Ljubica, die sich in Gavrilo verliebt. Der wiederum mag Ljubica, kann es aber nicht zugeben. So, zwischen Langeweile und Politik, revolutionären Ambitionen, Eifersüchteleien und Selbstdarstellung entwickelt Biljana Srbljanović im ersten Teil des Dramas ihre Charaktere. Wie in einer Soap-Opera stehen die Beziehungen der Protagonisten im Vordergrund.

 

Wer kann verantwortlich gemacht werden?

Man kann dann auf den ersten 65 Seiten auch fast vergessen, dass Gavrilo Princip und Nedeljko Čabrinović ein Attentat begehen werden, dass sie Mörder sind – trotz aller politischen Gespräche und geheimen Versammlungen. Das liegt nicht zuletzt an Apis, auf den in Srbljanovićs Stück die gesamte Verantwortung für den 28. Juni 1914 abgeschoben wird.
Dessen historisches Vorbild Dragutin Dimitrijević trat als Gründungsmitglied der geheimen Organisation „Einheit oder Tod“ für einen von Österreich-Ungarn unabhängigen großserbischen Staat ein und damit für eine Form des serbischen Nationalismus, wie ihn die serbienkritische Serbin Biljana Srbljanović immer wieder kritisiert hat.
Ein dementsprechend unangenehmer Zeitgenosse ist Apis dann auch im Stück. Hochgradig manipulativ und intrigant bringt er Ljubicas älteren Bruder Danilo dazu, sich „Einheit oder Tod“ unter Eid zu verpflichten. Dann macht er Danilo zum Spion und lässt ihn aus seiner Umgebung alles berichten, von geheimen Versammlungen und Protesten bis zur Idee Nedjos und Gavrilos „etwas Großes machen. Etwas Heldenhaftes.“ Diesen Wunsch nutzt er für seine Ziele und versorgt die späteren Attentäter mit Waffen.
Nun ist Apis, im Gegensatz zu allen anderen Figuren im Stück, mehr als 20 Jahre älter, erwachsen und reif. Wen kann man also für das Attentat von Sarajevo verantwortlich machen? Eher den erwachsenen Anstifter oder die jugendlichen Träumer? Der Kontrast zu den sich ihrer selbst nur halb bewussten Schülern Nedeljko und Gavrilo jedenfalls könnte größer nicht sein.

Damit wäre das serbisch-nationalistische Denkmal „Gavrilo Princip“ zum Ende des ersten Teils dann auch schon gestürzt. Kaum hält man es für möglich, dass dieser Teenager überhaupt jemals zu einer Ikone werden konnte. Denn Srbljanović tritt der noch heute verbreiteten Glorifizierung Gavrilo Princips als Freiheitskämpfer für die serbische Nation überzeugend, mitreißend und mitunter komisch in den Weg.

 

Attentäter als Sympathieträger oder: Dieses Grab ist mir zu klein

Bedauernswert jedoch ist, dass sie das nicht schafft, ohne ihn auf andere Art zu verklären. Besonders deutlich wird das im zweiten Teil, in dem der Unterschied zwischen den Figuren weiter herausgearbeitet wird. Hier geht es bereits nicht mehr um einen einfachen Denkmalsturz, es geht um Sympathien. Und die Gleichung ist einfach: Gut sind die „Jungs“, böse ist Apis.
Danilo, der kurz nach dem Attentat hingerichtet wurde, erscheint als Todesengel, der nacheinander Nedeljko, Apis und Gavrilo beim Sterben begleitet. Gavrilo und Nedjo, die vermeintlich Unreifen, treten dem Boten gefasst und mit Würde entgegen. Sie sterben reinen Gewissens, weil sie an ihre Tat glauben. In Gedanken sind sie bei ihrer Familie, ihren Freunden und ihren Träumen. Bei Apis verhält es sich anders. Der erst so Erwachsene folgt Danilo wie ein kleines Kind, quengelnd und ängstlich: „Wohin gehen wir jetzt? Gehen wir weit weg? Wann kommen wir an? Wo ist das denn?“ „Nur ein, zwei Minuten“, versucht er Zeit zu schinden, plädiert auf unschuldig und verflucht alle, die er an sich für schuldig hält. Als er schließlich vor dem Erschießungskommando steht, ist es deshalb kein Zufall, dass Srbljanović ihm den titelgebenden Satz in den Mund legt: „Dieses Grab ist mir zu klein.“
„Dieses Grab ist mir zu klein.“ – Wie anders könnte dieser Satz verstanden werden als ein Rollentausch? An dieser Stelle des Stücks werden Jugendliche zu Erwachsenen und der Erwachsene wird zum Kind. Das Gute wird groß, das Böse lächerlich gemacht. Denn hätten, wenn es ans Sterben geht, nicht eigentlich Gavro und Nedjo das größere Recht zu klagen? Gegen ihr Grab, ihren Missbrauch durch Apis und vielleicht auch gegen ihre Reduzierung auf die Rolle der Attentäter von Sarajevo?
So erscheint der Titel im ersten Moment provokant und hintergründig. Er hebt noch einmal hervor, dass Gavrilo Princip interessenabhängig Eigenschaften angedichtet werden, insbesondere in Serbien.

 

Gut und Böse

Allerdings ist der Gavrilo Princip Srbljanovićs selbst beileibe nicht eigenschaftslos. Im Gegenteil: Außer seinem Teenager-Dasein führt er im Drama noch eines als überzeugter Jugoslawe. Nicht umsonst paraphrasiert die Autorin im zweiten Teil des Stücks Gavrilo Princips Selbstaussagen vor Gericht: „Er stellt sich als Serbokroate vor, der Kroatisch-Serbisch spricht. Er ist der Meinung, dass die Jugoslawen ein Volk sind und eine Sprache sprechen.“ Durch die Überzeichnung der Rollen und die klare Bestimmung von Gut und Böse treffen so letzten Endes nicht nur Apis und Gavrilo, sondern auch böser serbischer Nationalismus einerseits und gutes Jugoslawentum andererseits aufeinander.

Diese Gegenüberstellung zweier Ideologien wäre nun bei weitem nicht so brisant, wenn es nur um eine vergessene Figur in einer historischen Randepisode vor hundert Jahren ginge. Aber wie in fast jeder Veröffentlichung zu Gavrilo Princip geht es auch in diesem Drama um mehr, nämlich darum, die unmittelbare serbische Vergangenheit und Gegenwart zu thematisieren.

 

Lehrstück über Attentate als legitime politische Mittel

Nicht umsonst bietet die Dramatikerin eine Verbindung zwischen dem Attentat von Sarajevo 1914 und dem Attentat auf Zoran Đinđić 2003 an. In beiden Fällen vermutete man serbische Nationalisten als Täter bzw. Anstifter. In beiden Fällen wurden Verbindungen in höchste Regierungskreise und zum serbischen Geheimdienst ignoriert. Der historische Apis opponierte 1903 nicht nur als Putschist gegen den serbischen König Aleksandar Obrenović, er war auch 1913, ein Jahr vor dem Attentat von Sarajevo, serbischer Militärgeheimdienstchef. Es ist deshalb sicherlich kein Zufall, dass er in Srbljanovićs Drama als Anstifter und Kopf der Teenager in Erscheinung tritt.
Wenn nun Srbljanović diese Verbindung zwischen den beiden Attentaten herstellt, dann wirft sie Apis und damit letzten Endes auch der Idee des serbischen Nationalismus vor, Attentate als Mittel zur politischen Zielerreichung einzusetzen.
Diese Kritik ist durchaus legitim. Angreifbar macht sich die Autorin jedoch, indem sie Gavrilos Jugoslawienliebe positiv hervorhebt und mit der Aufforderung an ihr junges Publikum verknüpft, ebenfalls etwas „Positives“ aus dem eigenen Leben (und Jugoslawien) zu machen. Zum einen kann das leicht als Verklärung des titoistischen Jugoslawien missverstanden werden. Zum anderen bleibt beim Lesen ein unangenehmer Beigeschmack zurück: Dass Srbljanović Mord als politisches Mittel des serbischen Nationalismus einerseits verurteilt, eine Absolution für ihre durchaus politischen Teenies Gavrilo, Nedeljko und Danilo andererseits zumindest andeutet, steht in einem unerträglichen Spannungsverhältnis. Leichtfertig wirkt davor auch ihre Aussage anlässlich der Uraufführung des Stücks: „Hätte ich damals gelebt, wäre ich eine von ihnen geworden.“ Gavrilo Princip wird durch Biljana Srbljanović am Ende nur erneut zu einem Denkmal – wenn auch zu einem jugoslawischen.

 

Srbljanović, Biljana: Mali mi je ovaj grob. Beograd 2013.
Deutsche Übersetzung (unveröffentlicht): Srbljanović, Biljana: Dieses Grab ist mir zu klein. Aus dem Serbischen von Aleksandra Pejović und Vukan Mihailović de Deo. o. A. Beziehbar über theatertexte.de


Weiterführende Links zum Buch und zur Aufführung:

Artikel zum Erscheinen des Buches auf b92.net (auf Serbisch)
Inszenierung in der Schaubühne Berlin
Trailer aus dem Schauspielhaus Wien
Rezension zur Uraufführung im Schauspielhaus Wien und Rezensionsrundschau
Trailer der Schaubühne Graz

 

Zur Autorin: Biljana Srbljanović, 1970 in Stockholm geboren. Ihre Stücke für Theater wurden mehrfach übersetzt und unter anderem im deutschen Sprachraum ausgezeichnet. Besonders bekannt ist ihr Kriegstagebuch „Belgrader Trilogie“ aus dem Jahr 1999, das auch in deutscher Übersetzung erschienen ist. In Serbien steht die Dramatikerin wegen ihrer vermeintlich serbienfeindlichen Haltung häufig in der öffentlichen Kritik.

 

Weitere Informationen zur Autorin:
Interview mit Biljana Srbljanović in der Wiener Zeitung vom 15.10.2013: „Gewalt ist und bleibt falsch“.

Den verkannten Attentätern - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Den ver­kannten Attentätern

1914 – 2014. Es ist wieder Denkmal-Zeit. In ganz Europa gedenken wir des ersten Welt­kriegs und des Ereig­nisses, wel­ches ihn aus­löste. Dem Schützen, der in Sara­jevo den öster­rei­chisch-unga­ri­schen Thron­folger mit zwei Schüssen tötete, werden noch heute in Bos­nien und Ser­bien Denk­mäler gebaut. Die ser­bi­sche Autorin Bil­jana Srblja­nović will sie stürzen – und stellt doch in ihrem Drama „Mali mi je ovaj grob“ (dt. Dieses Grab ist mir zu klein) nur wei­tere auf.

 

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Gavrilo Princip. Am 28. Juni 1914 feuert er in Sara­jevo zwei Schüsse auf Franz Fer­di­nand ab, den Thron­folger der Dop­pel­mon­ar­chie Öster­reich-Ungarn. Danach macht er Kar­riere: Als Aus­löser des 1. Welt­kriegs, als Frei­heits­kämpfer für alle Süd­slawen in Jugo­sla­wien, als Held und Ter­ro­rist. Auch heute kann man sich aus­su­chen, ob man ihn ver­ehrt oder ver­achtet, je nachdem, ob man mit oder ohne natio­na­lis­ti­sche Brille aus Ser­bien, Bos­nien-Her­ze­go­wina oder aus der Ser­bi­schen Entität Bos­nien-Her­ze­go­winas auf ihn blickt.
All diesen Dar­stel­lungen sagt die ser­bi­sche Dra­ma­ti­kerin Bil­jana Srblja­nović zunächst den Kampf an. In Mali mi je ovaj grob (dt. Dieses Grab ist mir zu klein) ent­wirft sie Atten­täter, dievor allem Teen­ager sind. Denn bevor es im Text über­haupt zu den fol­gen­rei­chen Schüssen kommt, begleitet der Leser „Gavri­lein“ und seine Freunde Nedeljko und Lju­bica vor einer revo­lu­tionär gehal­tenen Kulisse erst einmal dabei, jung, ein biss­chen ver­liebt und sehr naiv zu sein.

 

Atten­täter als Teen­ager: Welpen, jung und unschuldig

So beginnt das Stück mit Gavrilo und Nedeljko. Gerade vor den Gen­darmen geflüchtet, stol­pern sie in der ersten Szene zu einer Woh­nungs­be­sich­ti­gung bei Lju­bica hinein. Lju­bica, fünf­zehn­jährig, möchte von den beiden alles über die Pro­teste in der Innen­stadt von Sara­jevo wissen. Denn die poli­ti­schen Unruhen, die sich in Folge der Anne­xion Bos­niens durch Öster­reich-Ungarn noch ver­stärkten, sind für sie vor allem nur ein großes Aben­teuer: „[…] Mensch, und meine Mutter hat mich nicht aus dem Haus gelassen“.

Später schaut man dabei zu, wie „Gavro“ und „Nedjo“ Bil­lard spielen, wie sie mit Lju­bica an geheimen Ver­samm­lungen teil­nehmen und mit ihr ins Kino gehen. Nedjo ver­liebt sich in Lju­bica, die sich in Gavrilo ver­liebt. Der wie­derum mag Lju­bica, kann es aber nicht zugeben. So, zwi­schen Lan­ge­weile und Politik, revo­lu­tio­nären Ambi­tionen, Eifer­süch­te­leien und Selbst­dar­stel­lung ent­wi­ckelt Bil­jana Srblja­nović im ersten Teil des Dramas ihre Cha­rak­tere. Wie in einer Soap-Opera stehen die Bezie­hungen der Prot­ago­nisten im Vordergrund.

 

Wer kann ver­ant­wort­lich gemacht werden?

Man kann dann auf den ersten 65 Seiten auch fast ver­gessen, dass Gavrilo Princip und Nedeljko Čab­ri­nović ein Attentat begehen werden, dass sie Mörder sind – trotz aller poli­ti­schen Gespräche und geheimen Ver­samm­lungen. Das liegt nicht zuletzt an Apis, auf den in Srblja­no­vićs Stück die gesamte Ver­ant­wor­tung für den 28. Juni 1914 abge­schoben wird.
Dessen his­to­ri­sches Vor­bild Dra­gutin Dimit­ri­jević trat als Grün­dungs­mit­glied der geheimen Orga­ni­sa­tion „Ein­heit oder Tod“ für einen von Öster­reich-Ungarn unab­hän­gigen groß­ser­bi­schen Staat ein und damit für eine Form des ser­bi­schen Natio­na­lismus, wie ihn die ser­bi­en­kri­ti­sche Serbin Bil­jana Srblja­nović immer wieder kri­ti­siert hat.
Ein dem­entspre­chend unan­ge­nehmer Zeit­ge­nosse ist Apis dann auch im Stück. Hoch­gradig mani­pu­lativ und intri­gant bringt er Lju­bicas älteren Bruder Danilo dazu, sich „Ein­heit oder Tod“ unter Eid zu ver­pflichten. Dann macht er Danilo zum Spion und lässt ihn aus seiner Umge­bung alles berichten, von geheimen Ver­samm­lungen und Pro­testen bis zur Idee Nedjos und Gavrilos „etwas Großes [zu] machen. Etwas Hel­den­haftes.“ Diesen Wunsch nutzt er für seine Ziele und ver­sorgt die spä­teren Atten­täter mit Waffen.
Nun ist Apis, im Gegen­satz zu allen anderen Figuren im Stück, mehr als 20 Jahre älter, erwachsen und reif. Wen kann man also für das Attentat von Sara­jevo ver­ant­wort­lich machen? Eher den erwach­senen Anstifter oder die jugend­li­chen Träumer? Der Kon­trast zu den sich ihrer selbst nur halb bewussten Schü­lern Nedeljko und Gavrilo jeden­falls könnte größer nicht sein.

Damit wäre das ser­bisch-natio­na­lis­ti­sche Denkmal „Gavrilo Princip“ zum Ende des ersten Teils dann auch schon gestürzt. Kaum hält man es für mög­lich, dass dieser Teen­ager über­haupt jemals zu einer Ikone werden konnte. Denn Srblja­nović tritt der noch heute ver­brei­teten Glo­ri­fi­zie­rung Gavrilo Prin­cips als Frei­heits­kämpfer für die ser­bi­sche Nation über­zeu­gend, mit­rei­ßend und mit­unter komisch in den Weg.

 

Atten­täter als Sym­pa­thie­träger oder: Dieses Grab ist mir zu klein

Bedau­erns­wert jedoch ist, dass sie das nicht schafft, ohne ihn auf andere Art zu ver­klären. Beson­ders deut­lich wird das im zweiten Teil, in dem der Unter­schied zwi­schen den Figuren weiter her­aus­ge­ar­beitet wird. Hier geht es bereits nicht mehr um einen ein­fa­chen Denk­mal­sturz, es geht um Sym­pa­thien. Und die Glei­chung ist ein­fach: Gut sind die „Jungs“, böse ist Apis.
Danilo, der kurz nach dem Attentat hin­ge­richtet wurde, erscheint als Todes­engel, der nach­ein­ander Nedeljko, Apis und Gavrilo beim Sterben begleitet. Gavrilo und Nedjo, die ver­meint­lich Unreifen, treten dem Boten gefasst und mit Würde ent­gegen. Sie sterben reinen Gewis­sens, weil sie an ihre Tat glauben. In Gedanken sind sie bei ihrer Familie, ihren Freunden und ihren Träumen. Bei Apis ver­hält es sich anders. Der erst so Erwach­sene folgt Danilo wie ein kleines Kind, quen­gelnd und ängst­lich: „Wohin gehen wir jetzt? Gehen wir weit weg? Wann kommen wir an? Wo ist das denn?“ „Nur ein, zwei Minuten“, ver­sucht er Zeit zu schinden, plä­diert auf unschuldig und ver­flucht alle, die er an sich für schuldig hält. Als er schließ­lich vor dem Erschie­ßungs­kom­mando steht, ist es des­halb kein Zufall, dass Srblja­nović ihm den titel­ge­benden Satz in den Mund legt: „Dieses Grab ist mir zu klein.“
„Dieses Grab ist mir zu klein.“ – Wie anders könnte dieser Satz ver­standen werden als ein Rol­len­tausch? An dieser Stelle des Stücks werden Jugend­liche zu Erwach­senen und der Erwach­sene wird zum Kind. Das Gute wird groß, das Böse lächer­lich gemacht. Denn hätten, wenn es ans Sterben geht, nicht eigent­lich Gavro und Nedjo das grö­ßere Recht zu klagen? Gegen ihr Grab, ihren Miss­brauch durch Apis und viel­leicht auch gegen ihre Redu­zie­rung auf die Rolle der Atten­täter von Sarajevo?
So erscheint der Titel im ersten Moment pro­vo­kant und hin­ter­gründig. Er hebt noch einmal hervor, dass Gavrilo Princip inter­es­sen­ab­hängig Eigen­schaften ange­dichtet werden, ins­be­son­dere in Serbien.

 

Gut und Böse

Aller­dings ist der Gavrilo Princip Srblja­no­vićs selbst bei­leibe nicht eigen­schaftslos. Im Gegen­teil: Außer seinem Teen­ager-Dasein führt er im Drama noch eines als über­zeugter Jugo­slawe. Nicht umsonst para­phra­siert die Autorin im zweiten Teil des Stücks Gavrilo Prin­cips Selbst­aus­sagen vor Gericht: „Er stellt sich als Ser­bo­kroate vor, der Kroa­tisch-Ser­bisch spricht. Er ist der Mei­nung, dass die Jugo­slawen ein Volk sind und eine Sprache spre­chen.“ Durch die Über­zeich­nung der Rollen und die klare Bestim­mung von Gut und Böse treffen so letzten Endes nicht nur Apis und Gavrilo, son­dern auch böser ser­bi­scher Natio­na­lismus einer­seits und gutes Jugo­sla­wentum ande­rer­seits aufeinander.

Diese Gegen­über­stel­lung zweier Ideo­lo­gien wäre nun bei weitem nicht so bri­sant, wenn es nur um eine ver­ges­sene Figur in einer his­to­ri­schen Rand­epi­sode vor hun­dert Jahren ginge. Aber wie in fast jeder Ver­öf­fent­li­chung zu Gavrilo Princip geht es auch in diesem Drama um mehr, näm­lich darum, die unmit­tel­bare ser­bi­sche Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart zu thematisieren.

 

Lehr­stück über Atten­tate als legi­time poli­ti­sche Mittel

Nicht umsonst bietet die Dra­ma­ti­kerin eine Ver­bin­dung zwi­schen dem Attentat von Sara­jevo 1914 und dem Attentat auf Zoran Đinđić 2003 an. In beiden Fällen ver­mu­tete man ser­bi­sche Natio­na­listen als Täter bzw. Anstifter. In beiden Fällen wurden Ver­bin­dungen in höchste Regie­rungs­kreise und zum ser­bi­schen Geheim­dienst igno­riert. Der his­to­ri­sche Apis oppo­nierte 1903 nicht nur als Put­schist gegen den ser­bi­schen König Alek­sandar Obre­nović, er war auch 1913, ein Jahr vor dem Attentat von Sara­jevo, ser­bi­scher Mili­tär­ge­heim­dienst­chef. Es ist des­halb sicher­lich kein Zufall, dass er in Srblja­no­vićs Drama als Anstifter und Kopf der Teen­ager in Erschei­nung tritt.
Wenn nun Srblja­nović diese Ver­bin­dung zwi­schen den beiden Atten­taten her­stellt, dann wirft sie Apis und damit letzten Endes auch der Idee des ser­bi­schen Natio­na­lismus vor, Atten­tate als Mittel zur poli­ti­schen Ziel­er­rei­chung einzusetzen.
Diese Kritik ist durchaus legitim. Angreifbar macht sich die Autorin jedoch, indem sie Gavrilos Jugo­sla­wi­en­liebe positiv her­vor­hebt und mit der Auf­for­de­rung an ihr junges Publikum ver­knüpft, eben­falls etwas „Posi­tives“ aus dem eigenen Leben (und Jugo­sla­wien) zu machen. Zum einen kann das leicht als Ver­klä­rung des titois­ti­schen Jugo­sla­wien miss­ver­standen werden. Zum anderen bleibt beim Lesen ein unan­ge­nehmer Bei­geschmack zurück: Dass Srblja­nović Mord als poli­ti­sches Mittel des ser­bi­schen Natio­na­lismus einer­seits ver­ur­teilt, eine Abso­lu­tion für ihre durchaus poli­ti­schen Tee­nies Gavrilo, Nedeljko und Danilo ande­rer­seits zumin­dest andeutet, steht in einem uner­träg­li­chen Span­nungs­ver­hältnis. Leicht­fertig wirkt davor auch ihre Aus­sage anläss­lich der Urauf­füh­rung des Stücks: „Hätte ich damals gelebt, wäre ich eine von ihnen geworden.“ Gavrilo Princip wird durch Bil­jana Srblja­nović am Ende nur erneut zu einem Denkmal – wenn auch zu einem jugoslawischen.

 

Srblja­nović, Bil­jana: Mali mi je ovaj grob. Beograd 2013.
Deut­sche Über­set­zung (unver­öf­fent­licht): Srblja­nović, Bil­jana: Dieses Grab ist mir zu klein. Aus dem Ser­bi­schen von Alek­sandra Pejović und Vukan Mihai­lović de Deo. o. A. Beziehbar über theatertexte.de


Wei­ter­füh­rende Links zum Buch und zur Aufführung:

Artikel zum Erscheinen des Buches auf b92.net (auf Serbisch)
Insze­nie­rung in der Schau­bühne Berlin
Trailer aus dem Schau­spiel­haus Wien
Rezen­sion zur Urauf­füh­rung im Schau­spiel­haus Wien und Rezensionsrundschau
Trailer der Schau­bühne Graz

 

Zur Autorin: Bil­jana Srblja­nović, 1970 in Stock­holm geboren. Ihre Stücke für Theater wurden mehr­fach über­setzt und unter anderem im deut­schen Sprach­raum aus­ge­zeichnet. Beson­ders bekannt ist ihr Kriegs­ta­ge­buch „Bel­grader Tri­logie“ aus dem Jahr 1999, das auch in deut­scher Über­set­zung erschienen ist. In Ser­bien steht die Dra­ma­ti­kerin wegen ihrer ver­meint­lich ser­bi­en­feind­li­chen Hal­tung häufig in der öffent­li­chen Kritik.

 

Wei­tere Infor­ma­tionen zur Autorin:
Inter­view mit Bil­jana Srblja­nović in der Wiener Zei­tung vom 15.10.2013: „Gewalt ist und bleibt falsch“.