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"Die Menschen steuern mit instrumenteller Vernunft unaufhaltsam auf die Apokalypse zu" - Der Dramaturg Christian Tschirner im Interview

Posted on 25. August 2022 by Babora Schnelle, Maria Neubert, Alberto Afferni, Timo Daus, Luise Winkler
Am 4. Juni 2022 wurde an der Berliner Schaubühne Karel Čapeks dystopischer Roman "Der Krieg mit den Molchen" als Bühnenadaption von Soeren Voima in der Regie von Clara Weyde uraufgeführt. novinki sprach mit dem Dramaturgen Christian Tschirner über die Entstehung der Inszenierung und die Herausforderungen, Čapeks vielschichtiges Werk zu dramatisieren.

Am 4. Juni 2022 wurde an der Berliner Schaubühne Karel Čapeks dystopischer Roman Der Krieg mit den Molchen als Bühnenadaption von Soeren Voima in der Regie von Clara Weyde uraufgeführt. novinki sprach mit dem Dramaturgen Christian Tschirner über die Entstehung der Inszenierung und die Herausforderungen, Čapeks vielschichtiges Werk zu dramatisieren.

 

novinki: Der Krieg mit den Molchen von Karel Čapek ist 1935 entstanden, vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus und des drohenden Krieges. Was macht den Stoff heute aktuell und wer sind die Molche von heute?

 

Christian Tschirner: Man ist verblüfft, wie viele verschiedene Rollen die Molche im Roman einnehmen. Mal sind sie die Kolonialisierten, dann die Arbeiter_innen und zunehmend ähneln sie den Faschist_innen, die die Macht übernehmen. Das ist auch die große Stärke des Romans. Man kann nie sagen: Aha, so ist es jetzt also. Weil sich einem immer neue Perspektiven eröffnen. Als wir den Roman gelesen haben, dachten wir vor allem an den Klimawandel und die technisierte Moderne, in der wir wie in einer Falle stecken. Das zentrale Thema von Čapek ist die instrumentelle Vernunft der Menschen, mit der sie unaufhaltsam auf die Apokalypse zusteuern. Und das ist heute so aktuell wie damals.

 

novinki: Wie zeichnet sich diese Entwicklung im Roman ab?

 

C.T.: Der Roman zeigt einen historischen Verlauf. Im ersten Teil hat alles noch den Anschein der Harmlosigkeit. Kapitän van Toch treibt Perlenhandel in der Südsee, das könnte man als frühe Phase der Kolonialisierung verstehen. Am Ende des ersten Teils erklärt der Geschäftsmann Bondy diese „Südsee-Romantik“ für endgültig beendet, es beginnt der Aufstieg eines entfesselten Kapitalismus. Da haben wir den Widerspruch zwischen Ausbeutung auf der einen und den Idealen der Aufklärung in der europäischen Gesellschaft auf der anderen Seite. Das lässt sich natürlich nicht vereinbaren, und die instrumentelle Vernunft und der Kapitalismus als Wirtschaftsform setzen sich durch. In der Folge entsteht dann eine totalitäre Macht. Man könnte auch sagen, dass alles außer Kontrolle gerät. Auf der Ebene des Klimawandels wäre es die schonungslos ausgebeutete Natur, die zurückschlägt.

 

novinki: Čapeks Roman hat viele tschechische Bezüge. Van Toch und Bondy kommen beide aus der böhmischen Kleinstadt Jevíčko und die Molche sollen ihrer Meinung nach Tschechisch lernen, obwohl das Land gar keinen Meerzugang hat. Hatte das Tschechische für Euch eine Bedeutung?

 

C.T.: Der Krieg mit den Molchen ist ein sehr universeller, europäischer Roman. In meiner Interpretation steht das Tschechische im Roman als Allegorie für die Mentalität bestimmter Akteur_innen, die angesichts großer Probleme in der Welt weiterhin nur an ihre Eigeninteressen und die ihres kleinen Landes denken. Wir erleben auch heute, wie bei großen Themen, wie dem Klimawandel, in der Politik ein Provinzialismus Einzug hält, sich eine Begrenztheit etabliert, die nicht über ihren lokal-nationalen Kontext hinauskommt. Das erleben wir leider ständig, was erschreckend ist und sprachlos macht.

 

novinki: Die Adaption des Romans stammt von Soeren Voima. Wer verbirgt sich eigentlich hinter diesem Pseudonym?

 

C.T.: Für Soeren Voima haben im Laufe der Jahre verschiedene Menschen geschrieben. Bei diesem Stück bestand Soeren Voima aus meiner Kollegin Lynn Takeo Musiol, Dramaturgin am Düsseldorfer Schauspielhaus, und mir. Der Inszenierungstext entstand im Rahmen unserer Kooperation.

 

novinki: Der Roman ist sehr vielschichtig. Wie funktioniert die Transformation eines Romans in einen Bühnentext, die Umwandlung von Prosa in gesprochene Sprache? Mit welchen Herausforderungen wurdet ihr bei Čapek konfrontiert?

 

C.T.: Das Prinzip der Bühnenadaption lässt sich nur schwer verallgemeinern, Romane sind ja sehr unterschiedlich. Es gibt einerseits Romane, wie zum Beispiel von Hans Fallada, die sehr dialogisch geschrieben sind und das Theaterstück schon quasi beinhalten. Es gibt andererseits Romane, bei denen man einen anderen, speziellen Zugang braucht, um sie auf die Bühne zu bringen. Čapeks Roman ist auch in dieser Hinsicht sehr speziell, weil er in drei Teile zerfällt. Der erste Abschnitt ist ein Südsee-Roman. Dann kommt ein Mittelteil mit Zeitungsausschnitten und Reportagen, was für einen Roman auch schon ziemlich avantgardistisch ist. Und im letzten Teil kommt am Ende eine Radioansprache, die für unsere Fassung der Ausgangspunkt war: Wir haben beschlossen, drei sehr unterschiedliche Teile herauszuarbeiten. In der Inszenierung wurde mit unserer Idee dann weitergearbeitet, unser ursprünglicher Gedanke war eine Art Vaudeville-Theater, in dem man ein Stück aus der Südsee mit lustigen Szenen und Musik spielt. Die Erzählung wird von dem Portier Povondra übernommen, dessen Figur vervielfältigt wurde und als Chor agiert, und schließlich übernimmt der Obermolch die Kontrolle. Auch Čapeks Sprache ist sehr spannend, er bedient sich ein wenig kolportageartig eines journalistischen Stils, ironisiert ihn aber zugleich. Es wird unser Allgemeinwissen abgerufen, aber immer mit einer Doppeldeutigkeit und einer weiteren Bedeutungsebene. Das haben wir zum Teil verdichtet, viele Passagen stark umgeschrieben und die Sprache rhythmisiert. Sogar Versstrukturen haben wir reingebracht, es kommt tatsächlich auch Blankvers vor. Das gibt der Bühnensprache eine stärkere Kraft und Musikalität.

 

novinki: Es ist klar, dass man nicht den gesamten Roman in seiner Vielschichtigkeit auf die Bühne bringen kann. Wie habt ihr entschieden, was man aus dem Roman für die Bühne verwendet und was nicht? Habt ihr nach besonders performativen Momenten im Text gesucht?

 

C.T.: In unserer Bearbeitung gibt es verschiedene Ebenen. Erstens überlegten wir: Was braucht man, um die Geschichte zu erzählen? Welche Szenen brauche ich jetzt wirklich, um der Geschichte gerecht zu werden? Zweitens fragten wir uns: Welche Szenen machen Spaß, auch wenn man sie nicht unbedingt braucht? Das ist zum Beispiel die Jahrmarkt-Szene oder das Filmset. Das sind Seitenstränge der Hauptgeschichte, die aber ein komisches Potenzial haben und deswegen verwendet wurden. Dann geht es natürlich darum, welche Themen wichtig sind. Generell erzählen wir den gesamten Erzählbogen des Romans, eine Art Aufbruch in eine neue Zeit mit dem Glauben, dass sich jetzt die Welt ändert und besser wird. Und das hat bestimmte Effekte, die für einige Menschen vorteilhaft sind. Für viele andere Menschen, oder auch für die Molche in dem Fall, sind sie aber gar nicht so vorteilhaft, sondern schrecklich. Sehr bald kippt die Geschichte in eine Dystopie.

Im Theater spielt auch die Zeitfrage eine große Rolle: Was soll noch unbedingt vorkommen und auf was müssen wir aus zeitlichen Gründen verzichten? Innerhalb solcher Fragestellungen entsteht die erste Bühnenfassung, die immer noch viel zu lang ist. Dann fällt dem Rotstift im Laufe des Probenprozesses einiges zum Opfer und einige Szenen bekommen mehr Gewicht. So entschied die Regisseurin, die Povondras von Anfang an ins Zentrum der Inszenierung zu setzen, was zu Anpassungen der Bühnenfassung geführt hat. Das Theater ist ein lebender Organismus.

 

novinki: Die Entscheidung, was aus einem Roman in den Text der Inszenierung eingeht, ist mit der Theateradaption nicht abgeschlossen. Die Regie nimmt sich und braucht die Freiheit, bei Inszenierung und Bühnenbild eine eigene Sicht zu entwickeln. Du hast als Beispiele für zentrale Botschaften von Der Krieg mit den Molchen die negativen Auswirkungen eines aggressiven Kolonialismus, Ausbeutung im entfesselten Kapitalismus und die Zerstörung von Lebensraum als Folge des Klimawandels genannt. Wie zeigt sich das im Bühnenbild?

 

C.T.: Die Ausgangsidee ist ein holzgetäfelter Salon zum Ende des 19. Jahrhunderts, ein Herrenclub der Kolonialzeit, eine Metapher für ungebremsten Kolonialismus und ausbeuterischen Kapitalismus. Tatsächlich besteht der Bühnenraum aus Laminat und durch die fehlende Möblierung ist der Salon nicht für jeden erkennbar. Realistische Gegenstände einer Möblierung hätten aber Eindeutigkeit der Interpretation bedeutet und damit einen Widerspruch zur Ambivalenz des Romans aufgemacht. Čapeks Aussagen dazu, wer wen zu welcher Zeit unterdrückt und wie es zu bestimmten Entwicklungen kommt, sind eben nicht eindeutig und das drückt auch das Bühnenbild aus. Ein sehr wichtiges Ausstattungselement ist das Bälle-Bad.

 

Holger Bülow, Bastian Reiber, Alina Vimbai Strähler, Axel Wandtke, Doğa Gürer, Urheberin der Inszenierung: Schaubühne, Berlin, Der Krieg der Molche nach Karel Capek, Regie: Clara Weyde, Foto: Gianmarco Bresadola

novinki: Dieser Pool mit schwarzen Bällen ist für den Handlungs- und Bewegungsablauf auf der Bühne sehr zentral, oft springen Schauspieler_innen hinein, dort wird sich umgezogen und „unter Wasser“ geschieht Geheimnisvolles. Wofür steht das Bälle-Bad in der Inszenierung, wie ist dieses Element entstanden?

 

C.T.: Der Pool ist eine Fortentwicklung der von Anfang an vorhandenen Grundidee des Clubs, wo Herren mit Backenbart die große Politik bereden und Povondra den Pförtner und Butler gibt. In diese Luxus-Atmosphäre passt ein Swimming-Pool sehr gut, der gleichzeitig eine vielseitig nutzbare Folie liefert: Bälle als Perlen, der Pool als Brutstätte für die Molch-Eier, seine Schwärze als Symbol der Dystopie und natürlich als klamaukig-komisches Element, wenn die Schaupieler_innen hineinspringen oder untertauchen. Dieser Humor in der Darstellung reflektiert die ironische Komponente des Romans, der immer doppeldeutig ist, immer komisch und schrecklich zugleich. Wir sehen gerade in der Komik das Mittel der Wahl, um das Kritische dieses dystopischen Stoffs zu transportieren. Mit tiefem Ernst auszudrücken, dass wir kurz vor dem Kollaps stehen, wäre banal, das weiß schon jeder. Die dynamische Groteske soll zum Nachdenken bewegen, ohne den bitteren Ernst Čapeks zu unterminieren.

 

Bastian Reiber, Urheberin der Inszenierung: Schaubühne, Berlin, Der Krieg der Molche nach Karel Capek, Regie: Clara Weyde, Foto: Gianmarco Bresadola

novinki: Auch die Kostüme haben eine Dynamik, neben den unveränderlichen Dreiteilern im Schwarz-Weiß-Karo entwickeln sie sich vom gemütlichen Strick zur glatten, glänzenden Oberfläche der Molch-Anzüge. Wie ist das zu verstehen?

 

C.T.: Zu Beginn ist völlig unklar, mit welchen Figuren, mit was für einem Phänomen man es zu tun hat. Nur der Kapitän van Toch ist detailliert beschrieben, daneben gibt es irgendwelche tierartigen Wesen, die etwas mit Perlen zu tun haben. Alles bleibt unklar-geheimnisvoll. Das wollen wir mit den Kostümen aus übergroßem Pullover-Strickzeug zeigen: nämlich noch nicht eindeutig definierte Figuren, bei denen man nicht erkennt, wer darunter stecken könnte. Dadurch können sich Mythen und Verschwörungstheorien bilden. Erst als die Molche offiziell in Erscheinung treten, als ihre gesellschaftliche Konstruktion abgeschlossen ist, haben sie ein rotes, schillernd-glänzendes Kostüm, das sich mit der fortschreitenden Anpassung an die Menschen zu einem Business-Anzug entwickelt.

 

 

 

novinki: Parallel verändert sich die Sprache. Zu Beginn van Tochs verständliche, normale Sprache, dann das nachgesprochene Reden des Molchs und später Bastian Reibers Monolog als Molch, von dem man gar nichts versteht, dazwischen mehrere Sprechszenen als Chor. Welche Rolle spielt die Sprache in der Inszenierung?

 

C.T.: Aus dem Roman haben wir in das Stück übernommen, dass der Molch wie ein Papagei Worte nachplappern kann, die er aus der Zeitung kennt, zunächst ein unreflektiertes, hermetisches Wissen. Aber sein Wortschatz erweitert sich kontinuierlich, im Höhepunkt wird er zum Rezitator von Hölderlin. Er brabbelt nicht mehr wie ein Kaspar Hauser, sondern kann in Literatursprache Konversation betreiben. Die Povondras erkennen, dass er auf den Höhen der Hochkultur angekommen ist und ihnen dort gemeinerweise auf Augenhöhe begegnet. Die Molche sind ab diesem Zeitpunkt bereit für die Übernahme der Weltherrschaft.

 

novinki: Besonders beeindruckend ist das Ende des Stücks inszeniert, der Weltuntergang, zumindest für die Menschen. Der über die gesamte Bühne aufgeblasene schwarze Ballon lässt die Schauspieler_innen verschwinden, sie kämpfen gegen seine weitere Ausbreitung, sind aber unterlegen. Fast hat man den Eindruck, es gäbe ein technisches Problem, die Zuschauer_innen in den ersten Reihen wirken etwas beunruhigt. Es wäre auch ein alternatives, sehr aktuelles Szenario möglich gewesen, das den bei der Premiere seit drei Monaten herrschenden Krieg in der Ukraine thematisiert. Warum habt Ihr Euch dagegen entschieden?

 

 

C.T.: In der Theaterfassung gab es noch mehr Kriegsszenen, in der Inszenierung kommen auch entsprechende Meldungen und Kommentare vor. Allerdings wollten wir bewusst ausreichend Spielzeit für die letzte Szene reservieren, um die martialische Apokalypse mit nachhaltigem Effekt zeigen zu können.

 

Mit: Holger Bülow, Bastian Reiber, Alina Vimbai Strähler, Axel Wandtke, Doğa Gürer, Urheberin der Inszenierung: Schaubühne, Berlin, Der Krieg der Molche nach Karel Capek, Regie: Clara Weyde, Foto: Gianmarco Bresadola

novinki: Obwohl Čapek und andere tschechische Autor_innen universell hoch aktuelle Themen verhandeln, sind sie in Deutschland kaum bekannt. Warum wissen wir hier eigentlich so wenig über osteuropäische Literatur bzw. denken vor allem an russische Literatur und an Namen wie Puškin oder Dostojevskij statt an polnische, tschechische oder ukrainische Literat_innen? Denkst Du als Čapek-Kenner, dass man auch vermehrt andere osteuropäische Autor_innen auf die Bühne bringen und ihnen damit mehr Präsenz einräumen sollte?

 

C.T.: Auf jeden Fall! Und woran es liegt? Vielleicht an einer gewissen Faulheit. Ich würde sogar sagen, in der DDR gab es eine wesentlich stärkere Verbindung nach Osteuropa und zur osteuropäischen Literatur. Heute existiert eine große Übermacht des Angelsächsischen. Aber nicht nur osteuropäische Literatur ist hier unterrepräsentiert, auch zum Beispiel die afrikanischen Literaturen. Die sind hier den meisten Menschen vollkommen unbekannt und es scheint leider auch kein großes Interesse daran zu bestehen, das zu ändern. Höchstens vorübergehend, zum Beispiel, wenn es eine Buchmesse gibt, wo eins dieser Länder Gastgeber_innenland ist. Im Theater wird natürlich auch immer nach dem sowieso schon Bekannten geschielt, weil man damit mehr Zuschauer*innen anlockt. Man inszeniert lieber den Dostojewski oder den Arthur Miller. Das kennen die Leute schon, das Haus ist voll, lange bevor man eine Erkundungstour beendet hätte, auf der man fragt: Was gibt es denn noch so auf der Welt?

 

novinki: Denkst du, dass es auch ein Problem ist, dass viele Literaturen nicht übersetzt und nicht zugänglich für ein deutsches Publikum oder einen deutschen Dramaturgen sind?

 

C.T.: Nein, das glaube ich nicht. Die Verlage sind ja rührig und gut unterwegs. Es gibt viele Menschen, die private Verbindungen haben und mich immer wieder auf Neues aufmerksam machen. Zumindest das Hauptproblem bleibt, dass die Häuser und auch die Regisseu_innen auf die großen Namen setzen. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt. Die Literatur insgesamt bzw. der Stellenwert der Literatur im Theater ist zurückgegangen. Die Regisseur_innen sind heute oft selbst die Autor_innen. Oder sie nehmen einen bekannten Stoff und haben weniger Interesse, unbekannte Autor_innen zu entdecken. Es ist für sie einfacher zu sagen: Ich mache jetzt den Idiot von Dostojevskij und interpretiere ihn total neu. Das Buch kennt jeder und viel mehr Zuschauer_innen fühlen sich angesprochen. Wenn ich aber sage, ich habe da einen ungarischen Autor wie zum Beispiel László Krasznahorkai, den zwar keiner kennt, der aber ein tolles Buch geschrieben hat, dann muss ich es erst vielen Menschen schmackhaft machen, was natürlich viel umständlicher ist. Ich selbst als Čapek-Fan bin natürlich an aktueller tschechischer Literatur sehr interessiert und wenn Ihr als Expert_innen für osteuropäische Literatur Stücke kennt, die ihr gut findet, sagt Bescheid!

 

 

Das Interview fand am 24. Juni 2022 via Zoom statt und war Teil des Seminars Tschechisches Gegenwartstheater, seine Übersetzung und Vermittlung, geleitet von Dr. Barbora Schnelle.

 

Der Krieg mit den Molchen nach Karel Čapek, in einer Bearbeitung von Soeren Voima, Regie: Clara Weyde, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin, Premiere am 4. Juni 2022,  https://www.schaubuehne.de/de/produktionen/der-krieg-mit-den-molchen.html, zuletzt abgerufen am 02.07.2022.

Beitragsbild: © Christian Tschirner.

"Die Menschen steuern mit instrumenteller Vernunft unaufhaltsam auf die Apokalypse zu" - Der Dramaturg Christian Tschirner im Interview - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

“Die Men­schen steuern mit instru­men­teller Ver­nunft unauf­haltsam auf die Apo­ka­lypse zu” – Der Dra­ma­turg Chris­tian Tschirner im Interview

Am 4. Juni 2022 wurde an der Ber­liner Schau­bühne Karel Čapeks dys­to­pi­scher Roman Der Krieg mit den Mol­chen als Büh­nen­ad­ap­tion von Soeren Voima in der Regie von Clara Weyde urauf­ge­führt. novinki sprach mit dem Dra­ma­turgen Chris­tian Tschirner über die Ent­ste­hung der Insze­nie­rung und die Her­aus­for­de­rungen, Čapeks viel­schich­tiges Werk zu dramatisieren.

 

novinki: Der Krieg mit den Mol­chen von Karel Čapek ist 1935 ent­standen, vor dem Hin­ter­grund des Natio­nal­so­zia­lismus und des dro­henden Krieges. Was macht den Stoff heute aktuell und wer sind die Molche von heute?

 

Chris­tian Tschirner: Man ist ver­blüfft, wie viele ver­schie­dene Rollen die Molche im Roman ein­nehmen. Mal sind sie die Kolo­nia­li­sierten, dann die Arbeiter_innen und zuneh­mend ähneln sie den Faschist_innen, die die Macht über­nehmen. Das ist auch die große Stärke des Romans. Man kann nie sagen: Aha, so ist es jetzt also. Weil sich einem immer neue Per­spek­tiven eröffnen. Als wir den Roman gelesen haben, dachten wir vor allem an den Kli­ma­wandel und die tech­ni­sierte Moderne, in der wir wie in einer Falle ste­cken. Das zen­trale Thema von Čapek ist die instru­men­telle Ver­nunft der Men­schen, mit der sie unauf­haltsam auf die Apo­ka­lypse zusteuern. Und das ist heute so aktuell wie damals.

 

novinki: Wie zeichnet sich diese Ent­wick­lung im Roman ab?

 

C.T.: Der Roman zeigt einen his­to­ri­schen Ver­lauf. Im ersten Teil hat alles noch den Anschein der Harm­lo­sig­keit. Kapitän van Toch treibt Per­len­handel in der Südsee, das könnte man als frühe Phase der Kolo­nia­li­sie­rung ver­stehen. Am Ende des ersten Teils erklärt der Geschäfts­mann Bondy diese „Südsee-Romantik“ für end­gültig beendet, es beginnt der Auf­stieg eines ent­fes­selten Kapi­ta­lismus. Da haben wir den Wider­spruch zwi­schen Aus­beu­tung auf der einen und den Idealen der Auf­klä­rung in der euro­päi­schen Gesell­schaft auf der anderen Seite. Das lässt sich natür­lich nicht ver­ein­baren, und die instru­men­telle Ver­nunft und der Kapi­ta­lismus als Wirt­schafts­form setzen sich durch. In der Folge ent­steht dann eine tota­li­täre Macht. Man könnte auch sagen, dass alles außer Kon­trolle gerät. Auf der Ebene des Kli­ma­wan­dels wäre es die scho­nungslos aus­ge­beu­tete Natur, die zurückschlägt.

 

novinki: Čapeks Roman hat viele tsche­chi­sche Bezüge. Van Toch und Bondy kommen beide aus der böh­mi­schen Klein­stadt Jevíčko und die Molche sollen ihrer Mei­nung nach Tsche­chisch lernen, obwohl das Land gar keinen Meer­zu­gang hat. Hatte das Tsche­chi­sche für Euch eine Bedeutung?

 

C.T.: Der Krieg mit den Mol­chen ist ein sehr uni­ver­seller, euro­päi­scher Roman. In meiner Inter­pre­ta­tion steht das Tsche­chi­sche im Roman als Alle­gorie für die Men­ta­lität bestimmter Akteur_innen, die ange­sichts großer Pro­bleme in der Welt wei­terhin nur an ihre Eigen­in­ter­essen und die ihres kleinen Landes denken. Wir erleben auch heute, wie bei großen Themen, wie dem Kli­ma­wandel, in der Politik ein Pro­vin­zia­lismus Einzug hält, sich eine Begrenzt­heit eta­bliert, die nicht über ihren lokal-natio­nalen Kon­text hin­aus­kommt. Das erleben wir leider ständig, was erschre­ckend ist und sprachlos macht.

 

novinki: Die Adap­tion des Romans stammt von Soeren Voima. Wer ver­birgt sich eigent­lich hinter diesem Pseudonym?

 

C.T.: Für Soeren Voima haben im Laufe der Jahre ver­schie­dene Men­schen geschrieben. Bei diesem Stück bestand Soeren Voima aus meiner Kol­legin Lynn Takeo Musiol, Dra­ma­turgin am Düs­sel­dorfer Schau­spiel­haus, und mir. Der Insze­nie­rungs­text ent­stand im Rahmen unserer Kooperation.

 

novinki: Der Roman ist sehr viel­schichtig. Wie funk­tio­niert die Trans­for­ma­tion eines Romans in einen Büh­nen­text, die Umwand­lung von Prosa in gespro­chene Sprache? Mit wel­chen Her­aus­for­de­rungen wurdet ihr bei Čapek konfrontiert?

 

C.T.: Das Prinzip der Büh­nen­ad­ap­tion lässt sich nur schwer ver­all­ge­mei­nern, Romane sind ja sehr unter­schied­lich. Es gibt einer­seits Romane, wie zum Bei­spiel von Hans Fal­lada, die sehr dia­lo­gisch geschrieben sind und das Thea­ter­stück schon quasi beinhalten. Es gibt ande­rer­seits Romane, bei denen man einen anderen, spe­zi­ellen Zugang braucht, um sie auf die Bühne zu bringen. Čapeks Roman ist auch in dieser Hin­sicht sehr spe­ziell, weil er in drei Teile zer­fällt. Der erste Abschnitt ist ein Südsee-Roman. Dann kommt ein Mit­tel­teil mit Zei­tungs­aus­schnitten und Repor­tagen, was für einen Roman auch schon ziem­lich avant­gar­dis­tisch ist. Und im letzten Teil kommt am Ende eine Radio­an­sprache, die für unsere Fas­sung der Aus­gangs­punkt war: Wir haben beschlossen, drei sehr unter­schied­liche Teile her­aus­zu­ar­beiten. In der Insze­nie­rung wurde mit unserer Idee dann wei­ter­ge­ar­beitet, unser ursprüng­li­cher Gedanke war eine Art Vau­de­ville-Theater, in dem man ein Stück aus der Südsee mit lus­tigen Szenen und Musik spielt. Die Erzäh­lung wird von dem Por­tier Povondra über­nommen, dessen Figur ver­viel­fäl­tigt wurde und als Chor agiert, und schließ­lich über­nimmt der Ober­molch die Kon­trolle. Auch Čapeks Sprache ist sehr span­nend, er bedient sich ein wenig kol­por­ta­ge­artig eines jour­na­lis­ti­schen Stils, iro­ni­siert ihn aber zugleich. Es wird unser All­ge­mein­wissen abge­rufen, aber immer mit einer Dop­pel­deu­tig­keit und einer wei­teren Bedeu­tungs­ebene. Das haben wir zum Teil ver­dichtet, viele Pas­sagen stark umge­schrieben und die Sprache rhyth­mi­siert. Sogar Vers­struk­turen haben wir rein­ge­bracht, es kommt tat­säch­lich auch Blank­vers vor. Das gibt der Büh­nen­sprache eine stär­kere Kraft und Musikalität.

 

novinki: Es ist klar, dass man nicht den gesamten Roman in seiner Viel­schich­tig­keit auf die Bühne bringen kann. Wie habt ihr ent­schieden, was man aus dem Roman für die Bühne ver­wendet und was nicht? Habt ihr nach beson­ders per­for­ma­tiven Momenten im Text gesucht?

 

C.T.: In unserer Bear­bei­tung gibt es ver­schie­dene Ebenen. Ers­tens über­legten wir: Was braucht man, um die Geschichte zu erzählen? Welche Szenen brauche ich jetzt wirk­lich, um der Geschichte gerecht zu werden? Zwei­tens fragten wir uns: Welche Szenen machen Spaß, auch wenn man sie nicht unbe­dingt braucht? Das ist zum Bei­spiel die Jahr­markt-Szene oder das Filmset. Das sind Sei­ten­stränge der Haupt­ge­schichte, die aber ein komi­sches Poten­zial haben und des­wegen ver­wendet wurden. Dann geht es natür­lich darum, welche Themen wichtig sind. Gene­rell erzählen wir den gesamten Erzähl­bogen des Romans, eine Art Auf­bruch in eine neue Zeit mit dem Glauben, dass sich jetzt die Welt ändert und besser wird. Und das hat bestimmte Effekte, die für einige Men­schen vor­teil­haft sind. Für viele andere Men­schen, oder auch für die Molche in dem Fall, sind sie aber gar nicht so vor­teil­haft, son­dern schreck­lich. Sehr bald kippt die Geschichte in eine Dystopie.

Im Theater spielt auch die Zeit­frage eine große Rolle: Was soll noch unbe­dingt vor­kommen und auf was müssen wir aus zeit­li­chen Gründen ver­zichten? Inner­halb sol­cher Fra­ge­stel­lungen ent­steht die erste Büh­nen­fas­sung, die immer noch viel zu lang ist. Dann fällt dem Rot­stift im Laufe des Pro­ben­pro­zesses einiges zum Opfer und einige Szenen bekommen mehr Gewicht. So ent­schied die Regis­seurin, die Povon­dras von Anfang an ins Zen­trum der Insze­nie­rung zu setzen, was zu Anpas­sungen der Büh­nen­fas­sung geführt hat. Das Theater ist ein lebender Organismus.

 

novinki: Die Ent­schei­dung, was aus einem Roman in den Text der Insze­nie­rung ein­geht, ist mit der Thea­ter­ad­ap­tion nicht abge­schlossen. Die Regie nimmt sich und braucht die Frei­heit, bei Insze­nie­rung und Büh­nen­bild eine eigene Sicht zu ent­wi­ckeln. Du hast als Bei­spiele für zen­trale Bot­schaften von Der Krieg mit den Mol­chen die nega­tiven Aus­wir­kungen eines aggres­siven Kolo­nia­lismus, Aus­beu­tung im ent­fes­selten Kapi­ta­lismus und die Zer­stö­rung von Lebens­raum als Folge des Kli­ma­wan­dels genannt. Wie zeigt sich das im Bühnenbild?

 

C.T.: Die Aus­gangs­idee ist ein holz­ge­tä­felter Salon zum Ende des 19. Jahr­hun­derts, ein Her­ren­club der Kolo­ni­al­zeit, eine Meta­pher für unge­bremsten Kolo­nia­lismus und aus­beu­te­ri­schen Kapi­ta­lismus. Tat­säch­lich besteht der Büh­nen­raum aus Laminat und durch die feh­lende Möblie­rung ist der Salon nicht für jeden erkennbar. Rea­lis­ti­sche Gegen­stände einer Möblie­rung hätten aber Ein­deu­tig­keit der Inter­pre­ta­tion bedeutet und damit einen Wider­spruch zur Ambi­va­lenz des Romans auf­ge­macht. Čapeks Aus­sagen dazu, wer wen zu wel­cher Zeit unter­drückt und wie es zu bestimmten Ent­wick­lungen kommt, sind eben nicht ein­deutig und das drückt auch das Büh­nen­bild aus. Ein sehr wich­tiges Aus­stat­tungs­ele­ment ist das Bälle-Bad.

 

Holger Bülow, Bas­tian Reiber, Alina Vimbai Strähler, Axel Wandtke, Doğa Gürer, Urhe­berin der Insze­nie­rung: Schau­bühne, Berlin, Der Krieg der Molche nach Karel Capek, Regie: Clara Weyde, Foto: Gian­marco Bresadola

novinki: Dieser Pool mit schwarzen Bällen ist für den Hand­lungs- und Bewe­gungs­ab­lauf auf der Bühne sehr zen­tral, oft springen Schauspieler_innen hinein, dort wird sich umge­zogen und „unter Wasser“ geschieht Geheim­nis­volles. Wofür steht das Bälle-Bad in der Insze­nie­rung, wie ist dieses Ele­ment entstanden?

 

C.T.: Der Pool ist eine Fort­ent­wick­lung der von Anfang an vor­han­denen Grund­idee des Clubs, wo Herren mit Backen­bart die große Politik bereden und Povondra den Pförtner und Butler gibt. In diese Luxus-Atmo­sphäre passt ein Swim­ming-Pool sehr gut, der gleich­zeitig eine viel­seitig nutz­bare Folie lie­fert: Bälle als Perlen, der Pool als Brut­stätte für die Molch-Eier, seine Schwärze als Symbol der Dys­topie und natür­lich als kla­maukig-komi­sches Ele­ment, wenn die Schaupieler_innen hin­ein­springen oder unter­tau­chen. Dieser Humor in der Dar­stel­lung reflek­tiert die iro­ni­sche Kom­po­nente des Romans, der immer dop­pel­deutig ist, immer komisch und schreck­lich zugleich. Wir sehen gerade in der Komik das Mittel der Wahl, um das Kri­ti­sche dieses dys­to­pi­schen Stoffs zu trans­por­tieren. Mit tiefem Ernst aus­zu­drü­cken, dass wir kurz vor dem Kol­laps stehen, wäre banal, das weiß schon jeder. Die dyna­mi­sche Gro­teske soll zum Nach­denken bewegen, ohne den bit­teren Ernst Čapeks zu unterminieren.

 

Bas­tian Reiber, Urhe­berin der Insze­nie­rung: Schau­bühne, Berlin, Der Krieg der Molche nach Karel Capek, Regie: Clara Weyde, Foto: Gian­marco Bresadola

novinki: Auch die Kos­tüme haben eine Dynamik, neben den unver­än­der­li­chen Drei­tei­lern im Schwarz-Weiß-Karo ent­wi­ckeln sie sich vom gemüt­li­chen Strick zur glatten, glän­zenden Ober­fläche der Molch-Anzüge. Wie ist das zu verstehen?

 

C.T.: Zu Beginn ist völlig unklar, mit wel­chen Figuren, mit was für einem Phä­nomen man es zu tun hat. Nur der Kapitän van Toch ist detail­liert beschrieben, daneben gibt es irgend­welche tier­ar­tigen Wesen, die etwas mit Perlen zu tun haben. Alles bleibt unklar-geheim­nis­voll. Das wollen wir mit den Kos­tümen aus über­großem Pull­over-Strick­zeug zeigen: näm­lich noch nicht ein­deutig defi­nierte Figuren, bei denen man nicht erkennt, wer dar­unter ste­cken könnte. Dadurch können sich Mythen und Ver­schwö­rungs­theo­rien bilden. Erst als die Molche offi­ziell in Erschei­nung treten, als ihre gesell­schaft­liche Kon­struk­tion abge­schlossen ist, haben sie ein rotes, schil­lernd-glän­zendes Kostüm, das sich mit der fort­schrei­tenden Anpas­sung an die Men­schen zu einem Busi­ness-Anzug entwickelt.

 

 

 

novinki: Par­allel ver­än­dert sich die Sprache. Zu Beginn van Tochs ver­ständ­liche, nor­male Sprache, dann das nach­ge­spro­chene Reden des Molchs und später Bas­tian Rei­bers Monolog als Molch, von dem man gar nichts ver­steht, dazwi­schen meh­rere Sprech­szenen als Chor. Welche Rolle spielt die Sprache in der Inszenierung?

 

C.T.: Aus dem Roman haben wir in das Stück über­nommen, dass der Molch wie ein Papagei Worte nach­plap­pern kann, die er aus der Zei­tung kennt, zunächst ein unre­flek­tiertes, her­me­ti­sches Wissen. Aber sein Wort­schatz erwei­tert sich kon­ti­nu­ier­lich, im Höhe­punkt wird er zum Rezi­tator von Höl­derlin. Er brab­belt nicht mehr wie ein Kaspar Hauser, son­dern kann in Lite­ra­tur­sprache Kon­ver­sa­tion betreiben. Die Povon­dras erkennen, dass er auf den Höhen der Hoch­kultur ange­kommen ist und ihnen dort gemei­ner­weise auf Augen­höhe begegnet. Die Molche sind ab diesem Zeit­punkt bereit für die Über­nahme der Weltherrschaft.

 

novinki: Beson­ders beein­dru­ckend ist das Ende des Stücks insze­niert, der Welt­un­ter­gang, zumin­dest für die Men­schen. Der über die gesamte Bühne auf­ge­bla­sene schwarze Ballon lässt die Schauspieler_innen ver­schwinden, sie kämpfen gegen seine wei­tere Aus­brei­tung, sind aber unter­legen. Fast hat man den Ein­druck, es gäbe ein tech­ni­sches Pro­blem, die Zuschauer_innen in den ersten Reihen wirken etwas beun­ru­higt. Es wäre auch ein alter­na­tives, sehr aktu­elles Sze­nario mög­lich gewesen, das den bei der Pre­miere seit drei Monaten herr­schenden Krieg in der Ukraine the­ma­ti­siert. Warum habt Ihr Euch dagegen entschieden?

 

 

C.T.: In der Thea­ter­fas­sung gab es noch mehr Kriegs­szenen, in der Insze­nie­rung kommen auch ent­spre­chende Mel­dungen und Kom­men­tare vor. Aller­dings wollten wir bewusst aus­rei­chend Spiel­zeit für die letzte Szene reser­vieren, um die mar­tia­li­sche Apo­ka­lypse mit nach­hal­tigem Effekt zeigen zu können.

 

Mit: Holger Bülow, Bas­tian Reiber, Alina Vimbai Strähler, Axel Wandtke, Doğa Gürer, Urhe­berin der Insze­nie­rung: Schau­bühne, Berlin, Der Krieg der Molche nach Karel Capek, Regie: Clara Weyde, Foto: Gian­marco Bresadola

novinki: Obwohl Čapek und andere tsche­chi­sche Autor_innen uni­ver­sell hoch aktu­elle Themen ver­han­deln, sind sie in Deutsch­land kaum bekannt. Warum wissen wir hier eigent­lich so wenig über ost­eu­ro­päi­sche Lite­ratur bzw. denken vor allem an rus­si­sche Lite­ratur und an Namen wie Puškin oder Dos­to­jevskij statt an pol­ni­sche, tsche­chi­sche oder ukrai­ni­sche Literat_innen? Denkst Du als Čapek-Kenner, dass man auch ver­mehrt andere ost­eu­ro­päi­sche Autor_innen auf die Bühne bringen und ihnen damit mehr Prä­senz ein­räumen sollte?

 

C.T.: Auf jeden Fall! Und woran es liegt? Viel­leicht an einer gewissen Faul­heit. Ich würde sogar sagen, in der DDR gab es eine wesent­lich stär­kere Ver­bin­dung nach Ost­eu­ropa und zur ost­eu­ro­päi­schen Lite­ratur. Heute exis­tiert eine große Über­macht des Angel­säch­si­schen. Aber nicht nur ost­eu­ro­päi­sche Lite­ratur ist hier unter­re­prä­sen­tiert, auch zum Bei­spiel die afri­ka­ni­schen Lite­ra­turen. Die sind hier den meisten Men­schen voll­kommen unbe­kannt und es scheint leider auch kein großes Inter­esse daran zu bestehen, das zu ändern. Höchs­tens vor­über­ge­hend, zum Bei­spiel, wenn es eine Buch­messe gibt, wo eins dieser Länder Gastgeber_innenland ist. Im Theater wird natür­lich auch immer nach dem sowieso schon Bekannten geschielt, weil man damit mehr Zuschauer*innen anlockt. Man insze­niert lieber den Dos­to­jewski oder den Arthur Miller. Das kennen die Leute schon, das Haus ist voll, lange bevor man eine Erkun­dungs­tour beendet hätte, auf der man fragt: Was gibt es denn noch so auf der Welt?

 

novinki: Denkst du, dass es auch ein Pro­blem ist, dass viele Lite­ra­turen nicht über­setzt und nicht zugäng­lich für ein deut­sches Publikum oder einen deut­schen Dra­ma­turgen sind?

 

C.T.: Nein, das glaube ich nicht. Die Ver­lage sind ja rührig und gut unter­wegs. Es gibt viele Men­schen, die pri­vate Ver­bin­dungen haben und mich immer wieder auf Neues auf­merksam machen. Zumin­dest das Haupt­pro­blem bleibt, dass die Häuser und auch die Regisseu_innen auf die großen Namen setzen. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt. Die Lite­ratur ins­ge­samt bzw. der Stel­len­wert der Lite­ratur im Theater ist zurück­ge­gangen. Die Regisseur_innen sind heute oft selbst die Autor_innen. Oder sie nehmen einen bekannten Stoff und haben weniger Inter­esse, unbe­kannte Autor_innen zu ent­de­cken. Es ist für sie ein­fa­cher zu sagen: Ich mache jetzt den Idiot von Dos­to­jevskij und inter­pre­tiere ihn total neu. Das Buch kennt jeder und viel mehr Zuschauer_innen fühlen sich ange­spro­chen. Wenn ich aber sage, ich habe da einen unga­ri­schen Autor wie zum Bei­spiel László Kraszn­ahorkai, den zwar keiner kennt, der aber ein tolles Buch geschrieben hat, dann muss ich es erst vielen Men­schen schmack­haft machen, was natür­lich viel umständ­li­cher ist. Ich selbst als Čapek-Fan bin natür­lich an aktu­eller tsche­chi­scher Lite­ratur sehr inter­es­siert und wenn Ihr als Expert_innen für ost­eu­ro­päi­sche Lite­ratur Stücke kennt, die ihr gut findet, sagt Bescheid!

 

 

Das Inter­view fand am 24. Juni 2022 via Zoom statt und war Teil des Semi­nars Tsche­chi­sches Gegen­warts­theater, seine Über­set­zung und Ver­mitt­lung, geleitet von Dr. Bar­bora Schnelle.

 

Der Krieg mit den Mol­chen nach Karel Čapek, in einer Bear­bei­tung von Soeren Voima, Regie: Clara Weyde, Schau­bühne am Leh­niner Platz, Berlin, Pre­miere am 4. Juni 2022,  https://www.schaubuehne.de/de/produktionen/der-krieg-mit-den-molchen.html, zuletzt abge­rufen am 02.07.2022.

Bei­trags­bild: © Chris­tian Tschirner.