Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Dis­kurs­ge­schichte des Faschismus – Ring­vor­le­sung an der Uni­ver­sität Potsdam

Der 24. Februar 2022 wird in die Geschichte als Zäsur ein­gehen. Die Folgen des rus­si­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukraine für die euro­päi­sche und glo­bale poli­ti­sche Ord­nung lassen sich gegen­wärtig noch schwer ein­schätzen, dagegen wird es heute immer offen­kun­diger, dass der Krieg von einer jah­re­lang unter­schätzen geschichts­po­li­tisch neo­im­pe­rialen, popu­lis­ti­schen Staats­pro­pa­ganda in Putins Russ­land ideo­lo­gisch von langer Hand vor­be­reitet war.

Als Kriegs­pro­pa­ganda treibt jene Ideo­logie ihr Ver­wirr­spiel mit dem immer lauter und viru­lenter wer­denden Argu­ment von der „Ent­na­zi­fi­zie­rung“ der Ukraine als Ziel der rus­si­schen „Spe­zi­al­ope­ra­tion“ auf die Spitze. Der His­to­riker Timothy Snyder loka­li­siert das Auf­treten einer neuen „Vari­ante des Faschismus, die man Schizofa­schismus nennen könnte“ in Russ­land um 2014: „Fak­ti­sche Faschisten nennen ihre Gegner ‚Faschisten‘“ (Snyder 2018: 153). Lew Rubin­stein, Dichter, Ver­treter der ehe­mals inof­fi­zi­ellen Kul­tur­szene und scharf­sin­niger Kolum­nist, spricht heute von einem „Krieg der Sprache“, in dem Begriffe wie „Nazismus“ und „Faschismus“ ihre ursprüng­liche Bedeu­tung längst ver­loren haben und als inhalts­leere rhe­to­ri­sche Über­zeu­gungs­fi­guren instru­men­ta­li­siert werden. Dem rus­si­schen Angriffs­krieg ging der „Krieg der Sprache“ voraus: „Das rus­si­sche Volk war immer geteilt in zwei ungleiche Teile. Der eine – der klei­nere – bezeich­nete hart­nä­ckig Gemein­heiten als Gemein­heiten, Feig­heit als Feig­heit, Dumm­heit als Dumm­heit und Faschismus als Faschismus. Der andere, der grö­ßere, war anfällig für die offi­zi­elle Rhe­torik und bezeich­nete Gemein­heiten als Patrio­tismus, Feig­heit als die Not­wen­dig­keit, den Umständen Rech­nung zu tragen, eine offene Aggres­sion als Schutz der eigenen Sicher­heit, und das Streben von Völ­kern und Gesell­schaften nach Frei­heit und Offen­heit als Nazismus.“ (Rubin­stein in „Echo Moskwy“ am 25.02.2022, zit. nach „dekoder“).

Die Ring­vor­le­sung nimmt den „Krieg der Sprache“ ins Visier und setzt ihn in den Kon­text des jün­geren Nach­den­kens über den Faschismus. Spä­tes­tens seit dem Erscheinen des viel rezi­pierten Essays „Der immer­wäh­rende Faschismus“ von Umberto Eco (1997) gilt Faschismus als ein poli­ti­sches Phä­nomen, das sich nicht auf eine his­to­ri­sche Epoche redu­zieren lässt, son­dern als „Ur-Faschismus“ (so Eco) im poli­ti­schen Denken der gesamten Moderne immer wieder in unter­schied­li­chen Vari­anten auf­tritt. Sein Ort heute ist das glo­bale Netz der radi­kalen Rechten, in dem der Auto­krat Putin als Anführer aner­kannt wird (vgl. Jason Stanley 2022).

Die Ring­vor­le­sung fragt nach faschis­ti­schen Merk­malen der heu­tigen natio­na­lis­ti­schen Popu­lismen und Auto­ri­ta­rismen, nimmt ihren Sprach­ge­brauch unter die Lupe, ana­ly­siert die war­nenden Stimmen aus den letzten Dekaden und befragt die sen­so­ri­schen Poten­ziale von Lite­ratur, Kunst und Publi­zistik, Faschis­ti­sches auf­zu­spüren und auf­zu­zeigen. Dabei soll für pro­to­ty­pi­sche Merk­male des Faschis­ti­schen sen­si­bi­li­siert werden, die mög­li­cher­weise auch quer zu den übli­chen poli­ti­schen Pola­ri­sie­rungen zwi­schen links und rechts kursieren.

Die Rin­vor­le­sung im Vor­le­sungs­ver­zeichnis: https://puls.uni-potsdam.de/qisserver/rds?state=verpublish&status=init&vmfile=no&moduleCall=webInfo&publishConfFile=webInfo&publishSubDir=veranstaltung&veranstaltung.veranstid=95655