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Heuschreckenmusik

Posted on 20. August 2010 by Gianna Frölicher
Die Dichterin Valžina Mort ist eine der wenigen Vertreterinnen einer neuen weissrussischen SchriftellerInnengeneration, die international Beachtung findet. Ihre kraftvollen prosanahen Gedichte lassen die oft tot geglaubte weissrussische Sprache lebendiger denn je erscheinen. Morts Gedichtband "Tränenfabrik" liegt in deutscher Übersetzung vor.

Valžyna Morts Gedichtband Tränenfabrik: Eine eindringliche Stimme aus einem unbekannten Land
Wenige Stimmen aus Belarus, dem Land zwischen der Grenze der Europäischen Union und Russland, dringen bis zu uns vor. Eine davon ist Valžyna Mort, deren Gedichtband Tränenfabrik nun in deutscher Übersetzung von Katharina Narbutovič vorliegt. Erstmals veröffentlicht wurden die Gedichte in dieser Zusammenstellung unter dem Titel factory of tears in den USA, dem derzeitigen Wohnort der 1981 in Minsk geborenen Lyrikerin.

Es ist eine starke und eigene Stimme, die auf der Suche nach dem Ausdruck des Lebensgefühls ihrer Generation zu einem Meer von Stimmen anschwillt. Zu hören ist das kollektive ‚Wir’ einer Generation, die noch in die Sowjetära hineingeboren wurde und ihre Jugend in den 1990er-Jahren zubrachte, zur Zeit der Perestrojka und der Unabhängigkeit Weissrusslands, in einer Zeit der Identitätssuche: „welche schmerzen, unter denen unsre jugend uns setzt in die welt/ welche schreie, mit denen wir uns aufrichten aus der stellung des/ fragezeichens/ in die stellung des ausrufezeichens/ die linke lippe polen und die rechte russland öffnen sich/ und zum vorschein kommen unsere köpfe aus .../ doch woraus?“

Doch das kollektive „Wir“ weicht bald einem „Ich“  auf der Suche nach dem ganz persönlichen Augenblick des Glücks im Gedicht „Berlin - Minsk“: „wir fahren durch warschau./ sommer. abend./ das herz verwandelte sich/ in wind/ und weht./ zehn minuten auf dem bahnhof./ abend. sommer./ das herz dreht sich/ wie ein planet/ in meinem innern. “

Identität verbindet Valžyna Mort eng mit Sprache, weshalb die Suche nach den Worten nicht nur eine Metapher fürs Schreiben ist; sie musste zuerst ihre Sprache finden. „Eine Sprache, die der Musik hinterherläuft“, sei das Weissrussische, schreibt sie im Nachwort zur deutschen Ausgabe, bei der sich „die Laute zu Wortakkorden“ fügen. Die Muttersprache der Lyrikerin ist Russisch, wie bei den meisten Menschen in dem von sowjetischer Vergangenheit geprägten Land. In Belarus wird die zweite Landessprache, das Weissrussische, erst in der Schule erlernt und nicht zuletzt wegen der auf Sowjetnostalgie basierenden Politik des repressiven Regimes ist sie zur Sprache einer intellektuellen Opposition geworden. Diese politisch-rebellische Funktion der weissrussischen Sprache spannt den Bogen über den Gedichtband, der jeweils von einem Gedicht eröffnet und beschlossen wird, dessen Gegenstand die weissrussische Sprache selbst ist.

 

Weissrussisch sei zwar nicht ihre Muttersprache, aber ihre „Blutsprache“, meint Mort in einem Interview. Sie habe die Wörter zuerst nur aufgrund des Klanges in ihre Gedichte eingewebt, noch bevor sie deren Bedeutung verstand. Ihre Lyrik besticht durch diesen spürbar sinnlich musikalischen aber auch spielerischen Umgang mit den Worten. Über das Heimweh schreibt sie: „und schon von diesem geschmack nur/ läuft dir das wasser im auge zusammen“. In der Mitte des Gedichtbandes stehen zwei Prosatexte, die den Fluss des Gedichtbands fortführen. In Rhythmus und Melodie, aber auch in der Dichte der Sprache stehen sie den Gedichten, die manchmal beinahe in Prosa übergehen und deren Verse sich fast nie reimen, in nichts nach.

Bisweilen mischen sich Zorn, Ohnmacht und Schrecken in den Ton: „das lockenwicklereinzugsprinzip/ war die basis des nationalen mähdrescherbaus - / und meine erste metapher/ die ich wutentbrannt wiederkäute/ als hätte ich einen schwanensee verschluckt“. Valžyna Mort scheut den Bruch von in Belarus geltenden Tabus nicht und benutzt Bilder, die sich nicht in den offiziellen Kanon der meist folkloristischen weissrussischen Lyrik einreihen lassen. 2001 hat sie sich mit anderen postsowjetischen Schriftstellern in Minsk zur radikalen Künstlergruppe Schmerzwerk zusammengeschlossen, die sich – wie im Namen angedeutet – den Schmerz zum Programm gemacht hat. In ihrem Manifest Recycling des Schmerzes kann man lesen: „Wir schliessen uns Čechovs Meinung an, dass die bürgerliche Pflicht des Schriftstellers darin bestehe, nicht Arzt, sondern Schmerz der Gesellschaft zu sein. Gerade deshalb gibt es in unseren Texten so viele hässliche, giftige, höhnische Bilder. Wir schmeicheln den Lesern und den Gönnern nicht, wir fordern sie, im Unterschied zum Reklameslogan der Firma Philips, nicht auf, das Leben zum Besseren hin zu verändern; wir sagen einfach das, was wir denken, wir ‚kneten zu Worten jenes ungehorsame Plastilin, das im Kopf erstarrt’.“ Der Schmerz zieht sich wie ein roter Faden in pathetischer Leidenschaft und oft drastischen Bildern durch den Gedichtband: „und die hände ertasten/ einen körper, der erblüht in lindgrünem schmerz.“ Im Gedicht „Utopia“ heisst es: „könnte man das herz herausreissen wie einen zahn/ und die erinnerung erschlagen/ liesse sich unter der gelben limonadenfahne/ sehr glücklich leben“

Doch das rebellische Image allein wird der jungen Autorin aus Europas ‚unbekannter Mitte’ nicht gerecht. Vor allem wenn es um die Liebe geht, kippt die Sprache oft in leisere Töne und bezaubert durch zärtliche Metaphern, wie in folgendem kurzen Gedicht: „dein körper ist so weiss/ dass ich liege auf ihm wie schnee/ jede nacht ist bei uns – winter“. Oder in Versen aus einem  anderen Gedichts: „und es ist unmöglich mit diesem mann einzuschlafen/ mit ihm wird der körper nachts/ heuschreckenmusik“.

Valžyna Mort findet in den Gedichten eine aufrüttelnde und bisweilen rücksichtslose Sprache, die bizarre Bilder erzeugt und durch plötzliche Tonwechsel hinüber in leise und zärtliche Lagen überrascht. Schade, dass in der Ausgabe von Suhrkamp das Belarussische (eine Sparmassnahme?) auf der Strecke geblieben ist: Nur die ersten beiden Gedichte wurden zweisprachig abgedruckt. Ein Glück, dass die Übersetzungen sich auch unabhängig von den Originalen wunderbar lesen. Sie bleiben sehr nah am Wort und am Inhalt, wobei der Klang der Worte nicht im Einzelnen transportiert werden kann, aber doch ein gewisser Fluss und Rhythmus gewahrt wird. Gut, dass klang- und sprachinteressierte Leser im Internet fast alle Gedichte aus Tränenfabrik auf Weissrussisch finden können, teilweise mit Hörfassung (www.lyrikline.org) – was sich alleine aufgrund des Klangerlebnisses lohnt. Wie Valžyna Mort im Nachwort zur deutschen Ausgabe schreibt, ist „die Musik der weissrussischen Sprache für diese Worte nicht nur einfach ein verbales Gewand, sondern ihr eigentlicher Sinn.“

 

Valžyna Mort: Tränenfabrik. Gedichte. Aus dem Weissrussischen von Katharina Narbutovič. Frankfurt am Main 2009.

Heuschreckenmusik - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
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Unter den Linden 6
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Heu­schre­cken­musik

Valžyna Morts Gedicht­band Trä­nen­fa­brik: Eine ein­dring­liche Stimme aus einem unbe­kannten Land

Wenige Stimmen aus Belarus, dem Land zwi­schen der Grenze der Euro­päi­schen Union und Russ­land, dringen bis zu uns vor. Eine davon ist Valžyna Mort, deren Gedicht­band Trä­nen­fa­brik nun in deut­scher Über­set­zung von Katha­rina Nar­bu­tovič vor­liegt. Erst­mals ver­öf­fent­licht wurden die Gedichte in dieser Zusam­men­stel­lung unter dem Titel fac­tory of tears in den USA, dem der­zei­tigen Wohnort der 1981 in Minsk gebo­renen Lyrikerin.

Es ist eine starke und eigene Stimme, die auf der Suche nach dem Aus­druck des Lebens­ge­fühls ihrer Gene­ra­tion zu einem Meer von Stimmen anschwillt. Zu hören ist das kol­lek­tive ‚Wir’ einer Gene­ra­tion, die noch in die Sowjetära hin­ein­ge­boren wurde und ihre Jugend in den 1990er-Jahren zubrachte, zur Zeit der Pere­strojka und der Unab­hän­gig­keit Weiss­russ­lands, in einer Zeit der Iden­ti­täts­suche: „welche schmerzen, unter denen unsre jugend uns setzt in die welt/ welche schreie, mit denen wir uns auf­richten aus der stel­lung des/ fragezeichens/ in die stel­lung des ausrufezeichens/ die linke lippe polen und die rechte russ­land öffnen sich/ und zum vor­schein kommen unsere köpfe aus …/ doch woraus?“

Doch das kol­lek­tive „Wir“ weicht bald einem „Ich“  auf der Suche nach dem ganz per­sön­li­chen Augen­blick des Glücks im Gedicht „Berlin – Minsk“: „wir fahren durch warschau./ sommer. abend./ das herz ver­wan­delte sich/ in wind/ und weht./ zehn minuten auf dem bahnhof./ abend. sommer./ das herz dreht sich/ wie ein planet/ in meinem innern. […]“

Iden­tität ver­bindet Valžyna Mort eng mit Sprache, wes­halb die Suche nach den Worten nicht nur eine Meta­pher fürs Schreiben ist; sie musste zuerst ihre Sprache finden. „Eine Sprache, die der Musik hin­ter­her­läuft“, sei das Weiss­rus­si­sche, schreibt sie im Nach­wort zur deut­schen Aus­gabe, bei der sich „die Laute zu Wort­ak­korden“ fügen. Die Mut­ter­sprache der Lyri­kerin ist Rus­sisch, wie bei den meisten Men­schen in dem von sowje­ti­scher Ver­gan­gen­heit geprägten Land. In Belarus wird die zweite Lan­des­sprache, das Weiss­rus­si­sche, erst in der Schule erlernt und nicht zuletzt wegen der auf Sowjet­nost­algie basie­renden Politik des repres­siven Regimes ist sie zur Sprache einer intel­lek­tu­ellen Oppo­si­tion geworden. Diese poli­tisch-rebel­li­sche Funk­tion der weiss­rus­si­schen Sprache spannt den Bogen über den Gedicht­band, der jeweils von einem Gedicht eröffnet und beschlossen wird, dessen Gegen­stand die weiss­rus­si­sche Sprache selbst ist.

 

Weiss­rus­sisch sei zwar nicht ihre Mut­ter­sprache, aber ihre „Blut­sprache“, meint Mort in einem Inter­view. Sie habe die Wörter zuerst nur auf­grund des Klanges in ihre Gedichte ein­ge­webt, noch bevor sie deren Bedeu­tung ver­stand. Ihre Lyrik besticht durch diesen spürbar sinn­lich musi­ka­li­schen aber auch spie­le­ri­schen Umgang mit den Worten. Über das Heimweh schreibt sie: „und schon von diesem geschmack nur/ läuft dir das wasser im auge zusammen“. In der Mitte des Gedicht­bandes stehen zwei Pro­sa­texte, die den Fluss des Gedicht­bands fort­führen. In Rhythmus und Melodie, aber auch in der Dichte der Sprache stehen sie den Gedichten, die manchmal bei­nahe in Prosa über­gehen und deren Verse sich fast nie reimen, in nichts nach.

Bis­weilen mischen sich Zorn, Ohn­macht und Schre­cken in den Ton: „das lockenwicklereinzugsprinzip/ war die basis des natio­nalen mäh­dre­scher­baus – / und meine erste metapher/ die ich wut­ent­brannt wiederkäute/ als hätte ich einen schwa­nensee ver­schluckt“. Valžyna Mort scheut den Bruch von in Belarus gel­tenden Tabus nicht und benutzt Bilder, die sich nicht in den offi­zi­ellen Kanon der meist folk­lo­ris­ti­schen weiss­rus­si­schen Lyrik ein­reihen lassen. 2001 hat sie sich mit anderen post­so­wje­ti­schen Schrift­stel­lern in Minsk zur radi­kalen Künst­ler­gruppe Schmerz­werk zusam­men­ge­schlossen, die sich – wie im Namen ange­deutet – den Schmerz zum Pro­gramm gemacht hat. In ihrem Mani­fest Recy­cling des Schmerzes kann man lesen: „Wir schliessen uns Čechovs Mei­nung an, dass die bür­ger­liche Pflicht des Schrift­stel­lers darin bestehe, nicht Arzt, son­dern Schmerz der Gesell­schaft zu sein. Gerade des­halb gibt es in unseren Texten so viele häss­liche, gif­tige, höh­ni­sche Bilder. Wir schmei­cheln den Lesern und den Gön­nern nicht, wir for­dern sie, im Unter­schied zum Rekla­me­slogan der Firma Philips, nicht auf, das Leben zum Bes­seren hin zu ver­än­dern; wir sagen ein­fach das, was wir denken, wir ‚kneten zu Worten jenes unge­hor­same Plas­tilin, das im Kopf erstarrt’.“ Der Schmerz zieht sich wie ein roter Faden in pathe­ti­scher Lei­den­schaft und oft dras­ti­schen Bil­dern durch den Gedicht­band: „und die hände ertasten/ einen körper, der erblüht in lind­grünem schmerz.“ Im Gedicht „Utopia“ heisst es: „könnte man das herz her­aus­reissen wie einen zahn/ und die erin­ne­rung erschlagen/ liesse sich unter der gelben limonadenfahne/ sehr glück­lich leben“

Doch das rebel­li­sche Image allein wird der jungen Autorin aus Europas ‚unbe­kannter Mitte’ nicht gerecht. Vor allem wenn es um die Liebe geht, kippt die Sprache oft in lei­sere Töne und bezau­bert durch zärt­liche Meta­phern, wie in fol­gendem kurzen Gedicht: „dein körper ist so weiss/ dass ich liege auf ihm wie schnee/ jede nacht ist bei uns – winter“. Oder in Versen aus einem  anderen Gedichts: „und es ist unmög­lich mit diesem mann einzuschlafen/ mit ihm wird der körper nachts/ heuschreckenmusik“.

Valžyna Mort findet in den Gedichten eine auf­rüt­telnde und bis­weilen rück­sichts­lose Sprache, die bizarre Bilder erzeugt und durch plötz­liche Ton­wechsel hin­über in leise und zärt­liche Lagen über­rascht. Schade, dass in der Aus­gabe von Suhr­kamp das Bela­rus­si­sche (eine Spar­mass­nahme?) auf der Strecke geblieben ist: Nur die ersten beiden Gedichte wurden zwei­spra­chig abge­druckt. Ein Glück, dass die Über­set­zungen sich auch unab­hängig von den Ori­gi­nalen wun­derbar lesen. Sie bleiben sehr nah am Wort und am Inhalt, wobei der Klang der Worte nicht im Ein­zelnen trans­por­tiert werden kann, aber doch ein gewisser Fluss und Rhythmus gewahrt wird. Gut, dass klang- und sprach­in­ter­es­sierte Leser im Internet fast alle Gedichte aus Trä­nen­fa­brik auf Weiss­rus­sisch finden können, teil­weise mit Hör­fas­sung (www.lyrikline.org) – was sich alleine auf­grund des Klang­er­leb­nisses lohnt. Wie Valžyna Mort im Nach­wort zur deut­schen Aus­gabe schreibt, ist „die Musik der weiss­rus­si­schen Sprache […] für diese Worte nicht nur ein­fach ein ver­bales Gewand, son­dern ihr eigent­li­cher Sinn.“

 

Valžyna Mort: Trä­nen­fa­brik. Gedichte. Aus dem Weiss­rus­si­schen von Katha­rina Nar­bu­tovič. Frank­furt am Main 2009.