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VerSuche. Drogen und Rausch im gesellschaftlichen Kontext in Marcin Szczygielskis Berek

Posted on 15. November 2011 by Samanta Gorzelniak
Der kommerzielle Erfolg von Michał Witkowskis Roman Lubiewo (2005) animierte einige Verlage, ihrerseits eine ganze Reihe neuer schwuler Romane polnischer Autoren herauszugeben, so Marcin Szczygielskis Berek (2007). Manche KritikerInnen sprechen geradezu von einem Boom dieses Literaturgenres in Polen, hier geht es jedoch um mehr als nur die Sichtbarmachung schwuler Identitäten oder um die Artikulation homosexuellen Begehrens. Vielmehr sind queere Identitäten markiert von der postkommunistischen Situation, die diese bedingt.

Lubiewo_Witkowski_CoverPostkommunistische Identitäten
Der in Polen 2005 veröffentlichte Roman Lubiewo gilt als der erste schwule Roman der modernen polnischen Literatur schlechthin. Michał Witkowski (* 1975), der Autor von Lubiewo, lebt in Warschau. Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller arbeitet er auch als Journalist und als Herausgeber des polnischen Kulturjournals Ha!art. Witkowski betrachtet sich selbst als homosexuell, lehnt jedoch die Bezeichnung gay/schwul ab, da er diesen Begriff als ein Produkt der kommerzialisierten Massenkultur betrachtet, der einem verengten und stereotypen, d.h. wenig differenzierten und kaum reflektierten Verhältnis zur sexuellen Orientierung entspricht. Der kommerzielle Erfolg Lubiewos animierte einige der Verlage, ihrerseits eine ganze Reihe neuer schwuler Romane polnischer Autoren herauszugeben. Manche KritikerInnen sprechen geradezu von einem Boom dieses Literaturgenres in Polen. In Lubiewo geht es jedoch um mehr als nur die Sichtbarmachung schwuler Identitäten oder um die Artikulation homosexuellen Begehrens. Vielmehr sind queeres Begehren und queere Identitäten, die im Text verhandelt werden, markiert von der postkommunistischen Situation, die diese bedingt. Geradezu notwendigerweise ist damit auch die Sichtbarmachung der heteronormativen Matrix polnischer Kultur und Gesellschaft verbunden. Doch weniger der Essentialismus, die fundamentalistische Misogynie und Homophobie dieser Matrix sollen hier besprochen werden. Neben der andauernden Abtreibungsdebatte gibt es ebenso Überschneidungen mit dem althergebrachten Antisemitismus – was heftige Gegenbewegungen erzeugt, die sehr unterschiedlichen Couleurs sind. So gibt es auch im Aufbegehren gegen mehrheitliche Ausschlussmechanismen Verschränkungen diverser Themenfelder: “The younger generation of Polish Jews initiated the cultural magazine ‘Gwiazdeczki Shterndlech Iton – Babel’. It warns against anti-Semitism and homophobia in Poland , presents feminist and queer ideas ” so schreiben Kitliński und Leszkowicz in einem Artikel Towards a philosophy of affective alterity: A reconnaissance in der Zeitschrift Filosofija. Sociologija. Nr. 18 im Jahr 2007.

Die folgende Lektüre richtet sich auf etwas, was auch andere KritikerInnen Lubiewos feststellen: dass die Homosexualität lediglich als „Chiffre für das heutige Leben überhaupt, in dem das Ich, zwischen Geschlechtstrieb, Geldnot und Schicksal hin und her geworfen, nur noch kurzfristige Befriedigung findet“, steht in einer Rezension der NZZ. Homosexualität bildet in Lubiewo einen Ort, an dem die postkommunistische Gesellschaft und ihre rauschhaften Exzesse und Sehnsüchte verdeutlicht werden. Patrycja und Andzia, zwei in Lubiewo im Dialog stehenden Tunten, liegen und betrachten die Sterne:
„Was meinst du, ob es dort irgendwelche fremden Zivilisationen gibt?“
„Weiss nicht...“
„Und wenn es welche gäbe, meinst du, da wär was für uns dabei?“

Patrycja und Andzia bringen in Lubiewo wiederholt eine Leere, Sehnsucht, Unbefriedigtheit und Nicht-Zugehörigkeit zum Ausdruck, die nicht zu stillen, nicht zu füllen, nicht zu beseitigen ist, wie auch immer ihre Versuche dagegen anzukommen aussehen. Dieses hier beschriebene Gefühl scheint eines der programmatischen in der gegenwärtigen polnischen Literatur zu sein und verdeutlicht, wie sehr verschiedene synchrone Lebenswelten ihre jeweiligen Plätze in der Literatur einnehmen, nebeneinander stehen, sich zu einem Abbild der Gesellschaft, einer sogenannten Transformationsgesellschaft fügen.

Berek-originalEs geht mir darum aufzuzeigen, wie Literatur, speziell der Roman Berek (2007) von Marcin Szczygielski, mit diesen Tendenzen und Entwicklungen, wie sie gegenwärtig in Polen zu finden sind, umgehen kann, sich zu diesen verschieden nebeneinander existierenden Realitäten in Bezug setzt. Szczygielski (* 1972) ist Schriftsteller, Grafiker, Journalist und Innenarchitekt. Seine schriftstellerische Laufbahn ist ebenso geradlinig wie sein gesamtes Interessenspektrum schmal ist: er schrieb u.a. für den Playboy, ein Kochbuch (Kuchnia na ciężkie czasy 2004), ein Jugendbuch (Omega 2009) und letztlich Bierki (2010).

 

Exkurs und zurück
Tomasz Kitliński und Paweł Leszkowicz, zwei junge polnische Geisteswissenschaftler und kritische Beobachter polnischer Identitätspolitiken, betonen im oben genannten Artikel die besonders exemplarische Rolle der Schwulen- und Lesbenbewegungen für das Rechtsgefühl und somit für politische Entwicklungen der Gegenwart: “The issue of human rights for sexual minorities, the radical other in Central-Eastern Europe, including rights for representations and expression in the cultural arena, functions as a lens through which to view the condition of democracy in society and culture alike. How to include the rights of lesbians and gays into human rights? Human rights refer to our shared humanity. That is why human rights constitute claims to opportunities which foster the fully human existence of each and every individual; this claim of the feminist philosopher and lawyer, Martha C. Nussbaum, pertains to lesbians and gays: ‘I believe that the rights of lesbians and gays are a central issue of justice for our time.’”
Das Problem liegt nunmehr im Zustand, der eigentlich kein definierbarer ist: Mehr als zwei Jahrzehnte sind seit dem politischen Umbruch im Jahr 1989 vergangen – es wird vom Ende der großen Erzählung, der marxistischen, gesprochen, so German Ritz 1999in seinem Artikel Dyskurs płci w ujęciu porównawczym in Teksty drugie. Nr. 5/6. Viele KritikerInnen und JournalistInnen betonen immer wieder, dass sich Polen nach Jahren der Transformation, statt sich als Staat zu stabilisieren und zu entwickeln, am Rand eines “nervous breakdown” befindet, schreibt Robert Kulpa in einem Beitrag unter der Überschrift Western theories, queer possibilities, Polish reality: political science meets queer theory ‘in Poland, that is nowhere’? für einen Konferenzband im Jahr 2008; harsch wirken seine weiteren Einschätzungen: “Poland has neither advanced, nor liberal, nor democratic political system. Poland did not manage to cope with modernism.” Und: “Many conteporary critics and commentators in Poland noted with a surprise, that after years of transformation, rather than stabilizing and progressing, Polish society lives at the verge of a nervous breakdown.” Die Idee, oder nennen wir es das Konzept der Minderheiten ist in einer solchen pluralistischen Gesellschaft zu überdenken, ja regelrecht unhaltbar – denn auf diesen anderen, den minorities, baut sich ja die Mehrheit bekanntlich auf. Aus einem komplizierten Zusammenspiel von Norm und Normwidrigkeit gebiert sich der Mehrheitsgedanke. Die Auseinandersetzung um Identität in Polen, also polnische Identität, so unfixierbar wie sie ist, resultiert nicht einfach aus Traditionen (dem Katholizismus etwa), einer kommunistischen gemeinsamen Vergangenheit und/oder einer Phase der Umwälzungen. Die nationale Identität nach 1989 ist kulturell, politisch, sozial, ökonomisch ein neues Phänomen. Sie untergräbt Prozesse der einheitlichen Formulierung, Kristallisation, wie Kulpa meint: “The current situation is not simply a consequence of the tradition, communist past and transition. The national identity after 1989 is purely new cultural, political, social, and economical phenomena. It is undergoing processes of formulation, crystallization, as much as contestation and destabilization. New features are introduced, and old get re-evaluated.” Die alten neu interpretierbaren Einflüsse existieren also neben den neuen. Gerade das zeigt der Roman Berek vorzüglich auf: das Nebeneinander diametral entgegengesetzter und zeitlich versetzt entstandener Lebensentwürfe. Die Individuen, jedes für sich nicht synchronisiert mit der offiziellen Zeit und deren Lauf, sind schwarz, weiblich, queer, alt, homosexuell, katholisch und unendlich so weiter, zumal sich die einzelnen identifikatorischen Attribute abermals aufsplitten, ausdifferenzieren lassen – aber in jedem Fall sind die Individuen nicht dazugehörig und auf der Suche, wie auch in Witkowskis Lubiewo. Hier soll auf den 2005 veröffentlichten Artikel Time Binds, or Erotohistoriography von Elizabeth Freeman hingewiesen sein, der sich mit nicht-mit-der-Zeit-Synchronisierten befasst.

Sicherlich wird in der Literaturwissenschaft meist jeder Anspruch auf einen referentiellen Diskurs und auch die Idee von Realität hinter dem Text aufgegeben und stattdessen der Ort der Bedeutungsproduktion zwischen Text und Leserin bzw. Leser angesiedelt. Trotzdem inszeniert sich ein Text vor dem Hintergrund seiner Bedingtheiten – eben durch ein Netz mächtiger Diskurse, die auf AutorIn und Text einwirken. Gleichzeitig ist der Text Teil dieser Diskurse. AutorInnen können/wollen weder alle diskursiven Einflüsse abwehren noch alle Rezeptionsweisen des Textes kontrollieren. Bedenkenswert sind jedoch die Strategien im Umgang mit den unterschiedlichen diskursiven Einflüssen, die in den Texten zu finden sind.

 

Sehnsüchte stillen
„Uśmiecham się szeroko do niego i klękam na twardej, zimnej posadzce. Wciągam zapach kadzidła i kwiatów, przytłumiony nieco przez zapach perfum i wilgotnych płaszczy. Majtki wpijają mi się w pupę, ale nie mogę ich poprawić – czuję dziesiątki oczu na swoich plecach. Pod beretem robi mi się cholernie gorąco, głowa mnie swędzi. Zamykam oczy i połykam Go. Zbawienie. Zalewa mnie fala szczęścia, uda drżą lekko. Dobry Boże, dziękuje Ci. Dzięki takim chwilom wiem, po co żyję“. (Die Figur Ania beim Entgegennehmen der Kommunion. „Ich lächle ihn breit an und knie auf dem harten, kalten Fussboden nieder, atme den Geruch von Weihrauch und Blumen ein, welcher ein wenig mit dem von Parfum und klammen Mänteln durchmischt ist. Der Schlüpfer klemmt sich in meine Ritze, aber ich kann ihn nicht zurechtrücken – ich spüre zig Augen auf meinem Rücken. Es wird verdammt heiss unter der Baskenmütze, mich juckt der Kopf. Ich schliesse die Augen und schlucke Ihn. Verzückung. Ein Glücksschauer überkommt mich, meine Schenkel beben leicht. Lieber Gott, ich danke Dir. Dank solcher Momente weiss ich, wofür ich lebe.“)
Die zwei Hauptfiguren in Marciń Szczygielskis Berek konsumieren unentwegt mit dem Ziel, eine Sehnsucht zu stillen; der Einsamkeit zu entkommen. Sie, Ania, eine konservative, an traditionellen Werten orientierte Frau im Ruhestand, schaut viel fern, isst für ihr Leben gern – vor allem Süßes (und leidet an Verstopfung), geht obsessivem Kirchgang nach, lebt zudem eine ungebändigte, penetrante Kontrollsucht aus (vor allem an ihrer erwachsenen Tochter). Er, Paweł, ein junger Homosexueller, besucht Nachtclubs auf der Suche nach der großen Liebe, raucht Marihuana, schnieft Koks, schluckt Sperma, Pillen (dropsy), Mianserin (ein dämpfend wirkendes Medikament, welches ihm seine Therapeutin verschreibt), Alkohol und so weiter. „Der Genuss von Drogen ist entzaubert, gänzlich banal“ – so beschreibt es Stephan Resch, der Autor der 2009 erschienenen Monographie zur deutschen Drogenliteratur (Rauschblüten), für den Fall einer modernen Erlebnis- und Überflussgesellschaft. Im konkreten Text Berek handelt es sich eher um die Beschreibung einer Mangelgesellschaft; um den Mangel des Gefühls des Miteinanders. „Drogenliteratur: was ist das eigentlich? Ist das Literatur, die sich mit dem Thema Drogen befasst oder Literatur, die unter dem Einfluss von Drogen geschrieben wurde? Beides mag zutreffen“ – meint Resch. In diesem Beitrag handelt es sich um die Besprechung von Literatur, in welcher der Konsum von Genussmitteln thematisiert wird, um auf einen gesellschaftlichen Zustand hinzuweisen, nicht um den Konsum an sich zum Gegenstand zu machen. Für diesen Artikel gehe ich von einem weiten Drogenbegriff aus, der sich auf jegliche Genussmittel erstreckt. So kommen in Berek oft nicht illegalisierte Drogen vor (wie ärztlich verschriebene Medikamente oder Zucker). Die strikte Unterscheidung Drogen vs. Genussmittel führt zur Stigmatisierung der KonsumentInnen. Resch: „Die landläufige Unterscheidung zwischen Drogen und Genussmitteln beruht wohl eher auf politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen als auf substanzspezifischen Gefahrenstufen. Die Definition dessen, was als gefährliche Droge verboten und als göttliche Substanz geheiligt wird, hat sich im Laufe der Geschichte oftmals geändert, sogar innerhalb eines Menschenlebens und innerhalb der gleichen Kultur.“

 

Berek_Marcin-Szczygielski_CoverZurück zum Roman: Dieses Verzehren nach einem Miteinander, Zueinander, Durcheinander der Menschen, nach der Verschmelzung der Individuen – im Sinne Georges Batailles –, ein Verzehren das auch die Figuren in Berek hegen, zeige sich besonders und explizit im rituellen Fest. Im Fest strebe alles nach Entfesselung und Loslösung, zu einer Auflösung der menschlichen Grenzen. Bataille schreibt in Theorie der Religion dazu: „Als Rausch, Chaos oder sexuelle Orgie, wie es sich im Grenzfall darstellt, taucht es in gewissem Sinne ein in die Immanenz.“ Ania in Berek findet einen Rausch wie oben beschrieben während der Kommunion, während des Empfangs der Hostie. Sie erlebt diesen extatischen, leidenschaftlichen Moment durch das Bewusstsein über die Anwesenheit der anderen („ich spüre zig Augen auf meinem Rücken“), teilt diesen Moment mit ihnen, er wird durch die anderen erst möglich. Der Empfang der Hostie, das Schlucken, die olfaktorischen Eindrücke (Weihrauch, Blumen, Parfum, klamme Mäntel) – selbst der kalte harte Fußboden und die damit einhergehende Form der hingabevollen Erniedrigung ergeben ein Zusammenspiel, welches die Kommunion zu „Ort und Zeit einer spektakulären Entfesselung“ werden lässt, so Bataille. „Im Fest flackert ein Verlangen nach Zerstörung auf, aber eine bewahrende Besonnenheit setzt ihm Grenzen und lenkt es in geordnete Bahnen. Auf der einen Seite finden sich alle Möglichkeiten von Verzehrung vereint: Tanz und Poesie, Musik und die übrigen Künste tragen dazu bei, aus dem Fest den Ort und die Zeit einer spektakulären Entfesselung zu machen. Aber das ängstlich wachende Bewusstsein, durch das Unvermögen, mit der Entfesselung Schritt zu halten, zur Umkehr genötigt, neigt dazu, diese Entfesselung in den Dienst der Ordnung der Dinge zu stellen .“ Ania offenbart sich der Sinn des Lebens.

Konvergent erfährt Paweł in einem Darkroom folgendes: „Uśmiecham się i klękam przed nim. Lekko całuję nagi fragment skóry pod pępkiem, dłonią leciutko zaczynam masować jego krocze. Przymykam oczy, przytulam twarz do jego podbrzusza i wciągam zapach. Niebiański zapach. Zapach młodego, gorącego, spoconego faceta. Faceta, który prawdopodobnie ostatni prysznic brał rankiem. Przeszywa mnie dreszcz rozkoszy . Twarde kafle gresu boleśnie uciskają moje kolana . Trzy wielkie porcje spermy lądują mi w samym gardle. Kręci mi się w głowie, fala szczęścia zalewa mnie jak przypływ. Połykam go . Wysysam ostanią kroplę. Euforia. Dla takich chwil jak ta warto żyć.“ („Ich Lächle und knie vor ihm nieder. Zart küsse ich die nackte Stelle der Haut unterm Nabel, mit der Hand beginne ich sacht seinen Damm zu massieren Leicht schließe ich die Augen, drücke mein Gesicht an seinen Unterleib und sauge den Duft ein. Einen himmlischen Duft. Den Duft eines jungen, heißen, verschwitzen Typen. Ein Typ, der wahrscheinlich heut morgen das letzte Mal geduscht hat. Ein genüsslicher Schauer überkommt mich . Meine Knie schmerzen auf den harten Platten des Steinfußbodens . Drei große Portionen Sperma landen direkt in meinem Hals. Mir wird schwindelig, flutartig überrollt mich eine Glückswelle. Ich schlucke ihn . Auch den letzten Tropfen zutsche ich heraus. Euphorie. Für solche Momente wie diesen lohnt es sich zu leben.“)

Durch die textuelle Engführung der beiden Rauscherlebnisse im subjektiven Erleben Anias und Pawełs, auch wenn sie sich objektiv an verschiedenen Orten der Gesellschaft und motiviert von verschiedenem Begehren vollziehen (Nachtclub, homoerotisch und Kirche, religiös), zeigt sich die gemeinsame Sehnsucht der beiden. Es kommt nicht darauf an, wie sie sich jeweils berauschen, sondern warum. Während Protagonist und Protagonistin, beide wechselseitig aus der Ich-Perspektive berichtend, als unmittelbare Nachbarn Tür an Tür ihren Alltag in einem Block in Warschau verleben, kommen die beiden durch ihre sich diametral gegenüberliegenden Weltbilder in konfrontativen Kontakt. Bekanntlich ist es so, dass Konflikte und das Bewusstsein darüber Quelle der Kreativität sind, was die beiden Nachbarn unter Beweis stellen: Sie machen sich auf vielfältigste, wirklich kreative Weise gegenseitig das Leben schwer und entwickeln dabei perfide Strategien. Denn: sie hält ihn aufgrund seiner sexuellen Orientierung für krank, für ein Krebsgeschwür der Gesellschaft, einen Schmarotzer, Juden, der ihrer Meinung nach sicher pädophil ist. Ania spürt den gesellschaftlichen Rückhalt für ihr Denken und Handeln, fühlt sich mit ihrer Aggression im Recht (“ in Poland, where the fundamentalist misogyny and homophobia increase”, so Kitliński and Leszkowicz). Paweł hingegen kommt nicht umhin, ihr Kleinlichkeit, Gemeinheit, Verschrobenheit, Erbärmlichkeit und eine unzeitgemäße Denkweise vorzuwerfen.

Das Bemerkenswerte an dem Vergleich der beiden Lebenswelten ist, dass sie unterschiedlicher und doch gleicher nicht sein könnten. Im Grunde trifft der Satz, den Pawełs Therapeutin ihm in einer Sitzung nahezubringen versucht, worum es eigentlich geht; das nicht zu beseitigende Gefühl der Leere und Einsamkeit: „Każdy człowiek idzie przez życie sam“ – „Jeder Mensch geht allein durchs Leben.“ Paweł wehrt sich gegen eine solche Wahrheit, widerspricht der Therapeutin vehement. Er befindet sich, genau wie Ania, unermüdlich auf der Suche nach Berührungen, nach Kontakt, wohlgesonnenem Austausch, nach Beziehungen, die Geborgenheit und Sicherheit suggerieren. „Jestem już zmęczony. Zmęczony szukaniem. Na ciebie.“ – „Ich bin schon ermüdet. Vom Suchen müde. Von der Suche nach Dir.“ – sagt er eines Morgens einem Mann, neben dem er erwacht, dessen Namen er nicht kennt, den er in der letzten Nacht im  Club „Utopia“ kennengelernt hat – welcher jedoch noch schläft und somit die perfekte Projektionsfläche für Pawełs Sehnsüchte bietet. Resch fasst zusammen, worin es seiner Ansicht nach in Texten geht, deren Thema Drogenkonsum ist: „Es geht um menschliche Schicksale, zerstörte Träume, Einsamkeit, Hoffnung auf ein besseres Leben, um den Wunsch nach Selbstfindung, um die Suche nach künstlerischer Inspiration und vieles mehr. Zwar steht die Droge im Mittelpunkt der Texte, doch sie ist immer nur ein Medium für die Pläne und Wünsche der Figuren“, so Resch. Das zentrale Thema in Berek ist der Wunsch der einzelnen Menschen nach Zugehörigkeit und Anlehnung. Tomasz Raczek schreibt im Vorwort zu Berek: „Geje są inni, czyli obcy, niezrozumiali, nieprzewidywalni, mogą zagrozić poukładanemu w głowach światu. Prez nich podział na dobro i zło traci biblijny kontrast “ – „Schwule sind anders. Oder fremd, unverstanden, undurchschaubar, sie können die Ordnung der Welt in den Köpfen bedrohen. Durch sie verliert die Einteilung in Gut und Böse ihren biblischen Kontrast .“ Was der Verfasser dieser Worte hier für Schwule in Anspruch nimmt, das Prinzip des Ausgeschlossenseins, trifft aber genauso auf die anderen Figuren des Romans und nicht nur auf Paweł zu. Es ist ein Phänomen, welches sich aus verschiedenen argumentativen Ecken heraus auch auf Ania und die anderen Figuren erstreckt.

Das, woraus sich eine typische polnische Identität zusammensetzt, angenommen es gäbe so etwas wie eine polnische Identität, kann von keiner realen Person in sich vereint sein, weshalb es zwangsläufig zu einem immerwährenden partiellen gegenseitigen Ausschluss kommt. Das ist 1. ein starker Bezug zur katholischen Kirche, auch wenn die meisten PolInnen heutzutage ihre Religiosität sehr selektiv leben. 2. Ein Hang zum Opfertum/Märtyrium, welches, einer in der romantischen Epoche entstandenen Prämisse nach, persönliches Glück gegenüber dem Wohl Polens zurückstellt. 3. Ein monolithisches Empfinden in Bezug auf die Ethnizität, die sich nach den zwei Weltkriegen erst herausbildete, denn vorher war Polen eine ausgesprochen multiethnische Gesellschaft bestehend unter anderem aus Ukrainerinnen, Juden, WeissrussInnen, Deutschen, LitauerInnen, RussInnen, SlovakInnen usw., die insgesamt etwa 30 Prozent der Bevölkerung Polens ausmachten. Dazu kommen 4. eine allgemein empfundene Wertekrise nach 1989, die sich in dem Streit um eine Zugehörigkeit zur Europäischen Union widerspiegelt, und 5. eine exklusiv heterosexuelle Ausrichtung – für diese Auflistung an Identitätsmerkmalen habe ich mich durch oben erwähnten Artikel Kulpas anregen lassen. Diese sogenannte (polnische?) Identität hat Szczygielski in seinem Roman thematisiert, indem er sowohl einen Schwulen als auch eine veralteten Werten verhaftete Person einander gegenüberstellt. Beide kommen sich im Laufe der Handlung einander nahe, entwickeln eine Beziehung, die es ihnen ermöglicht, Leerstellen einander füllen zu lassen. Gewissermaßen kommt es zwischen den beiden Figuren zu einer Intersubjektivierung; Nachdem sich die beiden Parteien im nachbarlichen Streit gegenseitig vorerst nur distanziert beobachtet und beäugt haben, kommt es nach und nach zu einer dialektischen Beziehung: beäugendes Subjekt und beäugtes Objekt verschmelzen miteinander, manche würden dieses Modell des Miteinander als Patchworkfamilie identifizieren.

Dass die tendenziellen Charakteristika einer Gesellschaft sich im Drogenkonsum ihrer Mitglieder spiegeln, ist keine neue Feststellung. So schreibt Resch über die goldenen Zwanziger: „In den sogenannten ‚goldenen Zwanzigern’ sollte Drogenkonsum aller Art Hochkonjunktur haben. Die Vergnügungssucht nach dem Krieg basierte vor allem auf Angst, Unsicherheit und dem Wunsch, das verlorene Leben der vergangenen Jahre nachzuholen. In diesem Klima konnte ein Hier-und-Jetzt-Denken entstehen, dessen Ventil die Suche nach oberflächlicher Unterhaltung war.“ In Berek finden sich viele Hinweise auf Missstände im Leben der Einzelnen, die auf gesellschaftlichen Tendenzen beruhen, vor allem aber zeigt Berek den gegenseitigen Ausschlusscharakter der vermeintlich so unvereinbaren Lebenswelten auf – und die damit einhergehende Vereinsamung samt Sehnsucht nach einer Auflösung dieses Zustands. Szczygielskis Leistung besteht darin, die Figuren ausnahmslos zu marginalisieren. Weder Anias noch Pawełs Argumenten kommt ein wahrhaftiger Status zu, beide verzehren sich auf ihrer Suche nach Immanenz.

 

Marcin Szczygielskis Roman Berek ist in Polen 2007 erschienen, Michał Witkowskis Lubiewo in der deutschen Übersetzung von Christina Marie Hauptmeier ebenfalls 2007.

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Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Ver­Suche. Drogen und Rausch im gesell­schaft­li­chen Kon­text in Marcin Szc­zy­giel­skis Berek

Lubiewo_Witkowski_Cover

Post­kom­mu­nis­ti­sche Identitäten
Der in Polen 2005 ver­öf­fent­lichte Roman Lubiewo gilt als der erste schwule Roman der modernen pol­ni­schen Lite­ratur schlechthin. Michał Wit­kowski (* 1975), der Autor von Lubiewo, lebt in War­schau. Neben seiner Tätig­keit als Schrift­steller arbeitet er auch als Jour­na­list und als Her­aus­geber des pol­ni­schen Kul­tur­jour­nals Ha!art. Wit­kowski betrachtet sich selbst als homo­se­xuell, lehnt jedoch die Bezeich­nung gay/schwul ab, da er diesen Begriff als ein Pro­dukt der kom­mer­zia­li­sierten Mas­sen­kultur betrachtet, der einem ver­engten und ste­reo­typen, d.h. wenig dif­fe­ren­zierten und kaum reflek­tierten Ver­hältnis zur sexu­ellen Ori­en­tie­rung ent­spricht. Der kom­mer­zi­elle Erfolg Lubiewos ani­mierte einige der Ver­lage, ihrer­seits eine ganze Reihe neuer schwuler Romane pol­ni­scher Autoren her­aus­zu­geben. Manche Kri­ti­ke­rInnen spre­chen gera­dezu von einem Boom dieses Lite­ra­tur­genres in Polen. In Lubiewo geht es jedoch um mehr als nur die Sicht­bar­ma­chung schwuler Iden­ti­täten oder um die Arti­ku­la­tion homo­se­xu­ellen Begeh­rens. Viel­mehr sind que­eres Begehren und queere Iden­ti­täten, die im Text ver­han­delt werden, mar­kiert von der post­kom­mu­nis­ti­schen Situa­tion, die diese bedingt. Gera­dezu not­wen­di­ger­weise ist damit auch die Sicht­bar­ma­chung der hete­ro­nor­ma­tiven Matrix pol­ni­scher Kultur und Gesell­schaft ver­bunden. Doch weniger der Essen­tia­lismus, die fun­da­men­ta­lis­ti­sche Miso­gynie und Homo­phobie dieser Matrix sollen hier bespro­chen werden. Neben der andau­ernden Abtrei­bungs­de­batte gibt es ebenso Über­schnei­dungen mit dem alt­her­ge­brachten Anti­se­mi­tismus – was hef­tige Gegen­be­we­gungen erzeugt, die sehr unter­schied­li­chen Cou­leurs sind. So gibt es auch im Auf­be­gehren gegen mehr­heit­liche Aus­schluss­me­cha­nismen Ver­schrän­kungen diverser The­men­felder: “The younger gene­ra­tion of Polish Jews initiated the cul­tural maga­zine ‘Gwiaz­de­czki Shternd­lech Iton – Babel’. It warns against anti-Semi­tism and homo­phobia in Poland […], pres­ents femi­nist and queer ideas […]” so schreiben Kit­liński und Lesz­ko­wicz in einem Artikel Towards a phi­lo­sophy of affec­tive alterity: A recon­nais­sance in der Zeit­schrift Filoso­fija. Socio­lo­gija. Nr. 18 im Jahr 2007.

Die fol­gende Lek­türe richtet sich auf etwas, was auch andere Kri­ti­ke­rInnen Lubiewos fest­stellen: dass die Homo­se­xua­lität ledig­lich als „Chiffre für das heu­tige Leben über­haupt, in dem das Ich, zwi­schen Geschlechts­trieb, Geldnot und Schicksal hin und her geworfen, nur noch kurz­fris­tige Befrie­di­gung findet“, steht in einer Rezen­sion der NZZ. Homo­se­xua­lität bildet in Lubiewo einen Ort, an dem die post­kom­mu­nis­ti­sche Gesell­schaft und ihre rausch­haften Exzesse und Sehn­süchte ver­deut­licht werden. Patrycja und Andzia, zwei in Lubiewo im Dialog ste­henden Tunten, liegen und betrachten die Sterne:
„Was meinst du, ob es dort irgend­welche fremden Zivi­li­sa­tionen gibt?“
„Weiss nicht…“
„Und wenn es welche gäbe, meinst du, da wär was für uns dabei?“

Patrycja und Andzia bringen in Lubiewo wie­der­holt eine Leere, Sehn­sucht, Unbe­frie­digt­heit und Nicht-Zuge­hö­rig­keit zum Aus­druck, die nicht zu stillen, nicht zu füllen, nicht zu besei­tigen ist, wie auch immer ihre Ver­suche dagegen anzu­kommen aus­sehen. Dieses hier beschrie­bene Gefühl scheint eines der pro­gram­ma­ti­schen in der gegen­wär­tigen pol­ni­schen Lite­ratur zu sein und ver­deut­licht, wie sehr ver­schie­dene syn­chrone Lebens­welten ihre jewei­ligen Plätze in der Lite­ratur ein­nehmen, neben­ein­ander stehen, sich zu einem Abbild der Gesell­schaft, einer soge­nannten Trans­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft fügen.

Berek-original

Es geht mir darum auf­zu­zeigen, wie Lite­ratur, spe­ziell der Roman Berek (2007) von Marcin Szc­zy­gielski, mit diesen Ten­denzen und Ent­wick­lungen, wie sie gegen­wärtig in Polen zu finden sind, umgehen kann, sich zu diesen ver­schieden neben­ein­ander exis­tie­renden Rea­li­täten in Bezug setzt. Szc­zy­gielski (* 1972) ist Schrift­steller, Gra­fiker, Jour­na­list und Innen­ar­chi­tekt. Seine schrift­stel­le­ri­sche Lauf­bahn ist ebenso gerad­linig wie sein gesamtes Inter­es­senspek­trum schmal ist: er schrieb u.a. für den Playboy, ein Koch­buch (Kuchnia na ciężkie czasy 2004), ein Jugend­buch (Omega 2009) und letzt­lich Bierki (2010).

 

Exkurs und zurück
Tomasz Kit­liński und Paweł Lesz­ko­wicz, zwei junge pol­ni­sche Geis­tes­wis­sen­schaftler und kri­ti­sche Beob­achter pol­ni­scher Iden­ti­täts­po­li­tiken, betonen im oben genannten Artikel die beson­ders exem­pla­ri­sche Rolle der Schwulen- und Les­ben­be­we­gungen für das Rechts­ge­fühl und somit für poli­ti­sche Ent­wick­lungen der Gegen­wart: “The issue of human rights for sexual mino­ri­ties, the radical other in Cen­tral-Eas­tern Europe, inclu­ding rights for repre­sen­ta­tions and expres­sion in the cul­tural arena, func­tions as a lens through which to view the con­di­tion of demo­cracy in society and cul­ture alike. How to include the rights of les­bians and gays into human rights? Human rights refer to our shared huma­nity. That is why human rights con­sti­tute claims to oppor­tu­ni­ties which foster the fully human exis­tence of each and every indi­vi­dual; this claim of the femi­nist phi­lo­so­pher and lawyer, Martha C. Nuss­baum, per­tains to les­bians and gays: ‘I believe that the rights of les­bians and gays are a cen­tral issue of jus­tice for our time.’”
Das Pro­blem liegt nun­mehr im Zustand, der eigent­lich kein defi­nier­barer ist: Mehr als zwei Jahr­zehnte sind seit dem poli­ti­schen Umbruch im Jahr 1989 ver­gangen – es wird vom Ende der großen Erzäh­lung, der mar­xis­ti­schen, gespro­chen, so German Ritz 1999in seinem Artikel Dys­kurs płci w ujęciu porów­naw­czym in Teksty drugie. Nr. 5/6. Viele Kri­ti­ke­rInnen und Jour­na­lis­tInnen betonen immer wieder, dass sich Polen nach Jahren der Trans­for­ma­tion, statt sich als Staat zu sta­bi­li­sieren und zu ent­wi­ckeln, am Rand eines “ner­vous break­down” befindet, schreibt Robert Kulpa in einem Bei­trag unter der Über­schrift Wes­tern theo­ries, queer pos­si­bi­li­ties, Polish rea­lity: poli­tical sci­ence meets queer theory ‘in Poland, that is nowhere’? für einen Kon­fe­renz­band im Jahr 2008; harsch wirken seine wei­teren Ein­schät­zungen: “Poland has neither advanced, nor liberal, nor demo­cratic poli­tical system. […] Poland did not manage to cope with moder­nism.” Und: “Many con­teporary cri­tics and com­men­ta­tors in Poland noted with a sur­prise, that after […] years of trans­for­ma­tion, rather than sta­bi­li­zing and pro­gres­sing, Polish society lives at the verge of a ner­vous break­down.” Die Idee, oder nennen wir es das Kon­zept der Min­der­heiten ist in einer sol­chen plu­ra­lis­ti­schen Gesell­schaft zu über­denken, ja regel­recht unhaltbar – denn auf diesen anderen, den mino­ri­ties, baut sich ja die Mehr­heit bekannt­lich auf. Aus einem kom­pli­zierten Zusam­men­spiel von Norm und Norm­wid­rig­keit gebiert sich der Mehr­heits­ge­danke. Die Aus­ein­an­der­set­zung um Iden­tität in Polen, also pol­ni­sche Iden­tität, so unfi­xierbar wie sie ist, resul­tiert nicht ein­fach aus Tra­di­tionen (dem Katho­li­zismus etwa), einer kom­mu­nis­ti­schen gemein­samen Ver­gan­gen­heit und/oder einer Phase der Umwäl­zungen. Die natio­nale Iden­tität nach 1989 ist kul­tu­rell, poli­tisch, sozial, öko­no­misch ein neues Phä­nomen. Sie unter­gräbt Pro­zesse der ein­heit­li­chen For­mu­lie­rung, Kris­tal­li­sa­tion, wie Kulpa meint: “The cur­rent situa­tion is not simply a con­se­quence of the tra­di­tion, com­mu­nist past and tran­si­tion. The national iden­tity after 1989 […] is purely new cul­tural, poli­tical, social, and eco­no­mical phe­no­mena. It is under­going pro­cesses of for­mu­la­tion, crystal­liza­tion, as much as con­te­sta­tion and desta­bi­liza­tion. New fea­tures are intro­duced, and old get re-eva­luated.” Die alten neu inter­pre­tier­baren Ein­flüsse exis­tieren also neben den neuen. Gerade das zeigt der Roman Berek vor­züg­lich auf: das Neben­ein­ander dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setzter und zeit­lich ver­setzt ent­stan­dener Lebens­ent­würfe. Die Indi­vi­duen, jedes für sich nicht syn­chro­ni­siert mit der offi­zi­ellen Zeit und deren Lauf, sind schwarz, weib­lich, queer, alt, homo­se­xuell, katho­lisch und unend­lich so weiter, zumal sich die ein­zelnen iden­ti­fi­ka­to­ri­schen Attri­bute aber­mals auf­splitten, aus­dif­fe­ren­zieren lassen – aber in jedem Fall sind die Indi­vi­duen nicht dazu­ge­hörig und auf der Suche, wie auch in Wit­kow­skis Lubiewo. Hier soll auf den 2005 ver­öf­fent­lichten Artikel Time Binds, or Ero­to­his­to­rio­graphy von Eliza­beth Freeman hin­ge­wiesen sein, der sich mit nicht-mit-der-Zeit-Syn­chro­ni­sierten befasst.

Sicher­lich wird in der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft meist jeder Anspruch auf einen refe­ren­ti­ellen Dis­kurs und auch die Idee von Rea­lität hinter dem Text auf­ge­geben und statt­dessen der Ort der Bedeu­tungs­pro­duk­tion zwi­schen Text und Leserin bzw. Leser ange­sie­delt. Trotzdem insze­niert sich ein Text vor dem Hin­ter­grund seiner Bedingt­heiten – eben durch ein Netz mäch­tiger Dis­kurse, die auf AutorIn und Text ein­wirken. Gleich­zeitig ist der Text Teil dieser Dis­kurse. AutorInnen können/wollen weder alle dis­kur­siven Ein­flüsse abwehren noch alle Rezep­ti­ons­weisen des Textes kon­trol­lieren. Beden­kens­wert sind jedoch die Stra­te­gien im Umgang mit den unter­schied­li­chen dis­kur­siven Ein­flüssen, die in den Texten zu finden sind.

 

Sehn­süchte stillen
„Uśmiecham się szeroko do niego i klękam na twardej, zimnej posadzce. Wciągam zapach kad­zidła i kwiatów, przy­tłu­miony nieco przez zapach perfum i wil­got­nych płaszczy. Majtki wpi­jają mi się w pupę, ale nie mogę ich poprawić – czuję dzie­siątki oczu na swoich ple­cach. […] Pod beretem robi mi się cho­lernie gorąco, głowa mnie swędzi. Zamykam oczy i połykam Go. Zba­wi­enie. Zalewa mnie fala szc­zęścia, uda drżą lekko. Dobry Boże, dzię­kuje Ci. Dzięki takim chwilom wiem, po co żyję“. (Die Figur Ania beim Ent­ge­gen­nehmen der Kom­mu­nion. „Ich lächle ihn breit an und knie auf dem harten, kalten Fuss­boden nieder, atme den Geruch von Weih­rauch und Blumen ein, wel­cher ein wenig mit dem von Parfum und klammen Män­teln durch­mischt ist. Der Schlüpfer klemmt sich in meine Ritze, aber ich kann ihn nicht zurecht­rü­cken – ich spüre zig Augen auf meinem Rücken. […] Es wird ver­dammt heiss unter der Bas­ken­mütze, mich juckt der Kopf. Ich schliesse die Augen und schlucke Ihn. Ver­zü­ckung. Ein Glücks­schauer über­kommt mich, meine Schenkel beben leicht. Lieber Gott, ich danke Dir. Dank sol­cher Momente weiss ich, wofür ich lebe.“)
Die zwei Haupt­fi­guren in Marciń Szc­zy­giel­skis Berek kon­su­mieren unent­wegt mit dem Ziel, eine Sehn­sucht zu stillen; der Ein­sam­keit zu ent­kommen. Sie, Ania, eine kon­ser­va­tive, an tra­di­tio­nellen Werten ori­en­tierte Frau im Ruhe­stand, schaut viel fern, isst für ihr Leben gern – vor allem Süßes (und leidet an Ver­stop­fung), geht obses­sivem Kirch­gang nach, lebt zudem eine unge­bän­digte, pene­trante Kon­troll­sucht aus (vor allem an ihrer erwach­senen Tochter). Er, Paweł, ein junger Homo­se­xu­eller, besucht Nacht­clubs auf der Suche nach der großen Liebe, raucht Mari­huana, schnieft Koks, schluckt Sperma, Pillen (dropsy), Mian­serin (ein dämp­fend wir­kendes Medi­ka­ment, wel­ches ihm seine The­ra­peutin ver­schreibt), Alkohol und so weiter. „Der Genuss von Drogen ist ent­zau­bert, gänz­lich banal“ – so beschreibt es Ste­phan Resch, der Autor der 2009 erschie­nenen Mono­gra­phie zur deut­schen Dro­gen­li­te­ratur (Rausch­blüten), für den Fall einer modernen Erlebnis- und Über­fluss­ge­sell­schaft. Im kon­kreten Text Berek han­delt es sich eher um die Beschrei­bung einer Man­gel­ge­sell­schaft; um den Mangel des Gefühls des Mit­ein­an­ders. „Dro­gen­li­te­ratur: was ist das eigent­lich? Ist das Lite­ratur, die sich mit dem Thema Drogen befasst oder Lite­ratur, die unter dem Ein­fluss von Drogen geschrieben wurde? Beides mag zutreffen“ – meint Resch. In diesem Bei­trag han­delt es sich um die Bespre­chung von Lite­ratur, in wel­cher der Konsum von Genuss­mit­teln the­ma­ti­siert wird, um auf einen gesell­schaft­li­chen Zustand hin­zu­weisen, nicht um den Konsum an sich zum Gegen­stand zu machen. Für diesen Artikel gehe ich von einem weiten Dro­gen­be­griff aus, der sich auf jeg­liche Genuss­mittel erstreckt. So kommen in Berek oft nicht ille­ga­li­sierte Drogen vor (wie ärzt­lich ver­schrie­bene Medi­ka­mente oder Zucker). Die strikte Unter­schei­dung Drogen vs. Genuss­mittel führt zur Stig­ma­ti­sie­rung der Kon­su­men­tInnen. Resch: „Die land­läu­fige Unter­schei­dung zwi­schen Drogen und Genuss­mit­teln beruht wohl eher auf poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Ent­schei­dungen als auf sub­stanz­spe­zi­fi­schen Gefah­ren­stufen. Die Defi­ni­tion dessen, was als gefähr­liche Droge ver­boten und als gött­liche Sub­stanz gehei­ligt wird, hat sich im Laufe der Geschichte oft­mals geän­dert, sogar inner­halb eines Men­schen­le­bens und inner­halb der glei­chen Kultur.“

 

Berek_Marcin-Szczygielski_CoverZurück zum Roman: Dieses Ver­zehren nach einem Mit­ein­ander, Zuein­ander, Durch­ein­ander der Men­schen, nach der Ver­schmel­zung der Indi­vi­duen – im Sinne Georges Batailles –, ein Ver­zehren das auch die Figuren in Berek hegen, zeige sich beson­ders und explizit im ritu­ellen Fest. Im Fest strebe alles nach Ent­fes­se­lung und Los­lö­sung, zu einer Auf­lö­sung der mensch­li­chen Grenzen. Bataille schreibt in Theorie der Reli­gion dazu: „Als Rausch, Chaos oder sexu­elle Orgie, wie es [das Fest, d.V.] sich im Grenz­fall dar­stellt, taucht es [das Indi­vi­duum, d.V.] in gewissem Sinne ein in die Imma­nenz.“ Ania in Berek findet einen Rausch wie oben beschrieben wäh­rend der Kom­mu­nion, wäh­rend des Emp­fangs der Hostie. Sie erlebt diesen exta­ti­schen, lei­den­schaft­li­chen Moment durch das Bewusst­sein über die Anwe­sen­heit der anderen („ich spüre zig Augen auf meinem Rücken“), teilt diesen Moment mit ihnen, er wird durch die anderen erst mög­lich. Der Emp­fang der Hostie, das Schlu­cken, die olfak­to­ri­schen Ein­drücke (Weih­rauch, Blumen, Parfum, klamme Mäntel) – selbst der kalte harte Fuß­boden und die damit ein­her­ge­hende Form der hin­ga­be­vollen Ernied­ri­gung ergeben ein Zusam­men­spiel, wel­ches die Kom­mu­nion zu „Ort und […] Zeit einer spek­ta­ku­lären Ent­fes­se­lung“ werden lässt, so Bataille. „Im Fest fla­ckert ein Ver­langen nach Zer­stö­rung auf, aber eine bewah­rende Beson­nen­heit setzt ihm Grenzen und lenkt es in geord­nete Bahnen. Auf der einen Seite finden sich alle Mög­lich­keiten von Ver­zeh­rung ver­eint: Tanz und Poesie, Musik und die übrigen Künste tragen dazu bei, aus dem Fest den Ort und die Zeit einer spek­ta­ku­lären Ent­fes­se­lung zu machen. Aber das ängst­lich wachende Bewusst­sein, durch das Unver­mögen, mit der Ent­fes­se­lung Schritt zu halten, zur Umkehr genö­tigt, neigt dazu, diese Ent­fes­se­lung in den Dienst der Ord­nung der Dinge zu stellen […].“ Ania offen­bart sich der Sinn des Lebens.

Kon­ver­gent erfährt Paweł in einem Dark­room fol­gendes: „Uśmiecham się i klękam przed nim. Lekko całuję nagi frag­ment skóry pod pęp­kiem, dłonią leci­utko zac­zynam masować jego krocze. […] Przy­mykam oczy, przy­tulam twarz do jego pod­brzusza i wciągam zapach. Nie­biański zapach. Zapach mło­dego, gorącego, spo­co­nego faceta. Faceta, który praw­do­po­d­obnie ost­atni pry­sznic brał ran­kiem. Przes­zywa mnie dreszcz roz­koszy […]. Twarde kafle gresu boleśnie ucis­kają moje kolana […]. Trzy wielkie porcje spermy lądują mi w samym gardle. Kręci mi się w głowie, fala szc­zęścia zalewa mnie jak przy­pływ. Połykam go […]. Wysysam ostanią kroplę. Euf­oria. Dla takich chwil jak ta warto żyć.“ („Ich Lächle und knie vor ihm nieder. Zart küsse ich die nackte Stelle der Haut unterm Nabel, mit der Hand beginne ich sacht seinen Damm zu mas­sieren […] Leicht schließe ich die Augen, drücke mein Gesicht an seinen Unter­leib und sauge den Duft ein. Einen himm­li­schen Duft. Den Duft eines jungen, heißen, ver­schwitzen Typen. Ein Typ, der wahr­schein­lich heut morgen das letzte Mal geduscht hat. Ein genüss­li­cher Schauer über­kommt mich […]. Meine Knie schmerzen auf den harten Platten des Stein­fuß­bo­dens […]. Drei große Por­tionen Sperma landen direkt in meinem Hals. Mir wird schwin­delig, flut­artig über­rollt mich eine Glücks­welle. Ich schlucke ihn […]. Auch den letzten Tropfen zut­sche ich heraus. Euphorie. Für solche Momente wie diesen lohnt es sich zu leben.“)

Durch die tex­tu­elle Eng­füh­rung der beiden Rausch­erleb­nisse im sub­jek­tiven Erleben Anias und Pawełs, auch wenn sie sich objektiv an ver­schie­denen Orten der Gesell­schaft und moti­viert von ver­schie­denem Begehren voll­ziehen (Nacht­club, homo­ero­tisch und Kirche, reli­giös), zeigt sich die gemein­same Sehn­sucht der beiden. Es kommt nicht darauf an, wie sie sich jeweils berau­schen, son­dern warum. Wäh­rend Prot­ago­nist und Prot­ago­nistin, beide wech­sel­seitig aus der Ich-Per­spek­tive berich­tend, als unmit­tel­bare Nach­barn Tür an Tür ihren Alltag in einem Block in War­schau ver­leben, kommen die beiden durch ihre sich dia­me­tral gegen­über­lie­genden Welt­bilder in kon­fron­ta­tiven Kon­takt. Bekannt­lich ist es so, dass Kon­flikte und das Bewusst­sein dar­über Quelle der Krea­ti­vität sind, was die beiden Nach­barn unter Beweis stellen: Sie machen sich auf viel­fäl­tigste, wirk­lich krea­tive Weise gegen­seitig das Leben schwer und ent­wi­ckeln dabei per­fide Stra­te­gien. Denn: sie hält ihn auf­grund seiner sexu­ellen Ori­en­tie­rung für krank, für ein Krebs­ge­schwür der Gesell­schaft, einen Schma­rotzer, Juden, der ihrer Mei­nung nach sicher pädo­phil ist. Ania spürt den gesell­schaft­li­chen Rück­halt für ihr Denken und Han­deln, fühlt sich mit ihrer Aggres­sion im Recht (“[…] in Poland, where the fun­da­men­ta­list miso­gyny and homo­phobia increase”, so Kit­liński and Lesz­ko­wicz). Paweł hin­gegen kommt nicht umhin, ihr Klein­lich­keit, Gemein­heit, Ver­schro­ben­heit, Erbärm­lich­keit und eine unzeit­ge­mäße Denk­weise vorzuwerfen.

Das Bemer­kens­werte an dem Ver­gleich der beiden Lebens­welten ist, dass sie unter­schied­li­cher und doch glei­cher nicht sein könnten. Im Grunde trifft der Satz, den Pawełs The­ra­peutin ihm in einer Sit­zung nahe­zu­bringen ver­sucht, worum es eigent­lich geht; das nicht zu besei­ti­gende Gefühl der Leere und Ein­sam­keit: „Każdy czło­wiek idzie przez życie sam“ – „Jeder Mensch geht allein durchs Leben.“ Paweł wehrt sich gegen eine solche Wahr­heit, wider­spricht der The­ra­peutin vehe­ment. Er befindet sich, genau wie Ania, uner­müd­lich auf der Suche nach Berüh­rungen, nach Kon­takt, wohl­ge­son­nenem Aus­tausch, nach Bezie­hungen, die Gebor­gen­heit und Sicher­heit sug­ge­rieren. „Jestem już zmęc­zony. Zmęc­zony szu­ka­niem. Na ciebie.“ – „Ich bin schon ermüdet. Vom Suchen müde. Von der Suche nach Dir.“ – sagt er eines Mor­gens einem Mann, neben dem er erwacht, dessen Namen er nicht kennt, den er in der letzten Nacht im  Club „Utopia“ ken­nen­ge­lernt hat – wel­cher jedoch noch schläft und somit die per­fekte Pro­jek­ti­ons­fläche für Pawełs Sehn­süchte bietet. Resch fasst zusammen, worin es seiner Ansicht nach in Texten geht, deren Thema Dro­gen­konsum ist: „Es geht um mensch­liche Schick­sale, zer­störte Träume, Ein­sam­keit, Hoff­nung auf ein bes­seres Leben, um den Wunsch nach Selbst­fin­dung, um die Suche nach künst­le­ri­scher Inspi­ra­tion und vieles mehr. Zwar steht die Droge im Mit­tel­punkt der Texte, doch sie ist immer nur ein Medium für die Pläne und Wün­sche der Figuren“, so Resch. Das zen­trale Thema in Berek ist der Wunsch der ein­zelnen Men­schen nach Zuge­hö­rig­keit und Anleh­nung. Tomasz Raczek schreibt im Vor­wort zu Berek: „Geje są inni, czyli obcy, niez­ro­zu­miali, nie­prze­w­i­dy­walni, mogą zagrozić poukła­da­nemu w gło­wach światu. Prez nich pod­ział na dobro i zło traci biblijny kon­trast […]“ – „Schwule sind anders. Oder fremd, unver­standen, undurch­schaubar, sie können die Ord­nung der Welt in den Köpfen bedrohen. Durch sie ver­liert die Ein­tei­lung in Gut und Böse ihren bibli­schen Kon­trast […].“ Was der Ver­fasser dieser Worte hier für Schwule in Anspruch nimmt, das Prinzip des Aus­ge­schlos­sen­seins, trifft aber genauso auf die anderen Figuren des Romans und nicht nur auf Paweł zu. Es ist ein Phä­nomen, wel­ches sich aus ver­schie­denen argu­men­ta­tiven Ecken heraus auch auf Ania und die anderen Figuren erstreckt.

Das, woraus sich eine typi­sche pol­ni­sche Iden­tität zusam­men­setzt, ange­nommen es gäbe so etwas wie eine pol­ni­sche Iden­tität, kann von keiner realen Person in sich ver­eint sein, wes­halb es zwangs­läufig zu einem immer­wäh­renden par­ti­ellen gegen­sei­tigen Aus­schluss kommt. Das ist 1. ein starker Bezug zur katho­li­schen Kirche, auch wenn die meisten PolInnen heut­zu­tage ihre Reli­gio­sität sehr selektiv leben. 2. Ein Hang zum Opfertum/Märtyrium, wel­ches, einer in der roman­ti­schen Epoche ent­stan­denen Prä­misse nach, per­sön­li­ches Glück gegen­über dem Wohl Polens zurück­stellt. 3. Ein mono­li­thi­sches Emp­finden in Bezug auf die Eth­ni­zität, die sich nach den zwei Welt­kriegen erst her­aus­bil­dete, denn vorher war Polen eine aus­ge­spro­chen mul­ti­eth­ni­sche Gesell­schaft bestehend unter anderem aus Ukrai­ne­rinnen, Juden, Weiss­rus­sInnen, Deut­schen, Litaue­rInnen, Rus­sInnen, Slo­va­kInnen usw., die ins­ge­samt etwa 30 Pro­zent der Bevöl­ke­rung Polens aus­machten. Dazu kommen 4. eine all­ge­mein emp­fun­dene Wer­te­krise nach 1989, die sich in dem Streit um eine Zuge­hö­rig­keit zur Euro­päi­schen Union wider­spie­gelt, und 5. eine exklusiv hete­ro­se­xu­elle Aus­rich­tung – für diese Auf­lis­tung an Iden­ti­täts­merk­malen habe ich mich durch oben erwähnten Artikel Kulpas anregen lassen. Diese soge­nannte (pol­ni­sche?) Iden­tität hat Szc­zy­gielski in seinem Roman the­ma­ti­siert, indem er sowohl einen Schwulen als auch eine ver­al­teten Werten ver­haf­tete Person ein­ander gegen­über­stellt. Beide kommen sich im Laufe der Hand­lung ein­ander nahe, ent­wi­ckeln eine Bezie­hung, die es ihnen ermög­licht, Leer­stellen ein­ander füllen zu lassen. Gewis­ser­maßen kommt es zwi­schen den beiden Figuren zu einer Inter­sub­jek­ti­vie­rung; Nachdem sich die beiden Par­teien im nach­bar­li­chen Streit gegen­seitig vor­erst nur distan­ziert beob­achtet und beäugt haben, kommt es nach und nach zu einer dia­lek­ti­schen Bezie­hung: beäu­gendes Sub­jekt und beäugtes Objekt ver­schmelzen mit­ein­ander, manche würden dieses Modell des Mit­ein­ander als Patch­work­fa­milie identifizieren.

Dass die ten­den­zi­ellen Cha­rak­te­ris­tika einer Gesell­schaft sich im Dro­gen­konsum ihrer Mit­glieder spie­geln, ist keine neue Fest­stel­lung. So schreibt Resch über die gol­denen Zwan­ziger: „In den soge­nannten ‚gol­denen Zwan­zi­gern’ sollte Dro­gen­konsum aller Art […] Hoch­kon­junktur haben. Die Ver­gnü­gungs­sucht nach dem Krieg basierte vor allem auf Angst, Unsi­cher­heit und dem Wunsch, das ver­lo­rene Leben der ver­gan­genen Jahre nach­zu­holen. […] In diesem Klima konnte ein Hier-und-Jetzt-Denken ent­stehen, dessen Ventil die Suche nach ober­fläch­li­cher Unter­hal­tung war.“ In Berek finden sich viele Hin­weise auf Miss­stände im Leben der Ein­zelnen, die auf gesell­schaft­li­chen Ten­denzen beruhen, vor allem aber zeigt Berek den gegen­sei­tigen Aus­schluss­cha­rakter der ver­meint­lich so unver­ein­baren Lebens­welten auf – und die damit ein­her­ge­hende Ver­ein­sa­mung samt Sehn­sucht nach einer Auf­lö­sung dieses Zustands. Szc­zy­giel­skis Leis­tung besteht darin, die Figuren aus­nahmslos zu mar­gi­na­li­sieren. Weder Anias noch Pawełs Argu­menten kommt ein wahr­haf­tiger Status zu, beide ver­zehren sich auf ihrer Suche nach Immanenz.

 

Marcin Szc­zy­giel­skis Roman Berek ist in Polen 2007 erschienen, Michał Wit­kow­skis Lubiewo in der deut­schen Über­set­zung von Chris­tina Marie Haupt­meier eben­falls 2007.