Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

„Es waren, frei nach Shake­speare, die Tauben und nicht der Pleitegeier“

Die in Bel­grad gebo­rene und seit zehn Jahren in Wien lebende Autorin Barbi Mar­ković, die 2012 auch Stadt­schrei­berin in Graz war, hat 2016 mit „Super­hel­dinnen“ einen hoff­nungs­losen und zugleich opti­mis­ti­schen Roman abge­lie­fert. Er besticht mit Witz und dezi­dierten Pop-Qua­li­täten. Was es mit der Gegen­über­stel­lung von Tauben und dem Plei­te­geier auf sich hat, offen­bart sich zum Ende des Romans und ließe sich mit dem Kalauer „ist das Glas halb leer oder halb voll?“ umschreiben. Oder anders gesagt: Als Rezen­sent sollte ich nicht spoi­lern und tue es doch!


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Die drei Prot­ago­nis­tinnen aus Super­hel­dinnen treffen sich jeden Samstag in einem trost­losen, her­un­ter­ge­kom­menen Wiener Vor­stadt­café. Dass es sich nach der Adresse „Sie­ben­brun­nen­gasse“ – holprig über­setzt und ita­lie­ni­sche Ele­ganz vor­ge­bend – „Sette Fon­tane“ nennt, macht die finan­zi­elle und soziale Situa­tion der drei Frauen kaum erträglicher.

Sie, vom Krieg noch beein­träch­tigte Frauen Mitte dreißig aus dem ehe­ma­ligen Jugo­sla­wien, träumen in Öster­reich vom Auf­stieg in die bür­ger­liche Mit­tel­schicht. Doch der per­ma­nente Geld­mangel und die pre­käre Ein­kom­mens­si­tua­tion als freie Autorinnen in Diensten einer dubiosen Zeit­schrift mit dem Namen „Astro­b­lick“ lässt sie gerade noch nicht unter die Armuts­grenze fallen. Unter der Armuts­grenze aber warten schon die Wiener Tauben, die, wenn es sein muss, auch Erbro­chenes fressen. Als Leit­motiv durch­ziehen sie den Roman­text. Sie tau­chen als Symbol der groß­städ­ti­schen Boheme – der ver­armten, aber pro­duk­tiven Künst­ler­schaft – an Schlüs­sel­stellen auf oder fliegen, tref­fender gesagt, ein. Bei Auf­treten von Pro­blemen werden sie in Super­hel­dinnen gar als „ver­stärkte Tau­ben­dichte“ wahrgenommen.

 

„…unsere Kräfte waren auf eine gewisse Weise dark“ 

Die Super­hel­dinnen Mascha, „sat­tel­fest in Magie wie auch im Sozi­al­be­reich“, Direk­torka, „mit dem Poten­tial für etwas Großes in sich“, und die Ich-Erzäh­lerin, „ent­täuscht vom Leben und mit einem dehn­baren Gewissen“, ver­fügen über zwei über­sinn­liche Fähig­keiten: den „Blitz des Schick­sals“ und die „Aus­lö­schung“. Sie haben sie von ihren para­psy­cho­lo­gisch begabten Nach­ba­rinnen und Groß­müt­tern aus Bel­grad und Sara­jevo geerbt, die damit sogar Wirt­schafts­krisen aus­zu­lösen vermochten.

Beide Super­kräfte lassen die Super­hel­dinnen all­wö­chent­lich aus­ge­wählten Per­sonen ange­deihen. Mit einem gebün­delten Ener­gie­strom können sie Per­sonen ent­weder mit dem Blitz in eine bes­sere Welt beför­dern oder sie aus der Erin­ne­rung aller löschen. Die Fähig­keit, jemanden „zum Teufel zu schi­cken“ oder ihm eine „Frei­fahrt zur Hölle“ zu spen­dieren, sowie die­je­nige, vom Leben gebeu­telte Krea­turen, als welche die Prot­ago­nis­tinnen auch sich selbst sehen, wieder auf­zu­richten, unter­streicht die eigent­liche Ohn­macht der ‚Super­hel­dinnen’.

 

„…unsere Her­kunft war nicht unser Lieblingsthema“

Mascha, Direk­torka und „Ich“, „aus Haupt­städten ärmerer benach­barter Länder“ nach Wien gezogen, steht schon ihr Akzent im Wege, denn fast jede zufäl­lige Bekannt­schaft führt unwei­ger­lich zu einem unlieb­samen Gespräch über die Her­kunft. Der bür­ger­li­chen Mit­tel­schicht fühlen sie sich „dem Herzen jeden­falls, nicht jedoch dem Budget nach zuge­hörig“. Selbst das auto­chthone Pro­le­ta­riat hat für sie nur Ver­ach­tung übrig. Es ist klar, dass „die­je­nigen, die wenig hatten, Angst vor jenen hatten, die wenig zu ver­lieren hatten.“ Diese sozi­al­po­li­ti­sche Fest­stel­lung lässt sich auch dras­ti­scher mit einem Sager aus­drü­cken: „Wenn du bis Ober­kante-Unter­lippe im Dreck steckst, bewege dich nicht, um keine Wellen zu ver­ur­sa­chen. Das könnte böse Folgen haben.“ Und sie bewegen sich nicht, erdulden statt­dessen, aus­ge­nutzt zu werden. Man prellt sie um ihre mick­rigen Löhne, doch „trotz regel­mä­ßiger Demü­ti­gungen“ wahren sie „die Contenance.“

Über die ernüch­ternde Vor­ge­schichte der Super­hel­dinnen erfährt man im typisch unauf­ge­regten und dadurch immens tra­gisch-wit­zigen Barbi-Ton, dass Direk­torka zunächst als Kell­nerin arbei­tete. Alseine Akti­vis­ten­gruppe aus Ser­bien sie für Kurz­filme zu den „The­men­schwer­punkten Men­schen­rechte und Min­der­heiten“ ein­spannt,  erkennt sie bald, „dass Qua­lität viel­leicht noch nie ein Kri­te­rium der enga­gierten Kunst gewesen ist“ und kehrt hinter den Tresen zurück.

 

Graz, Alex­an­der­platz

Direk­torkas geplanten Fortzug nach Berlin ver­hin­dert die Ich-Erzäh­lerin mit der Schil­de­rung der eigenen „Flucht“ nach Berlin, bei der sich alle Hoff­nungen auf ein bes­seres Leben bereits auf dem Alex­an­der­platz zer­schlagen. Die Ein­sam­keit in der Ber­liner Eises­kälte und die gesichts­lose Masse der eilenden Men­schen stehen für sie im Wider­spruch zu den grellen Reklamen, die ein sor­gen­freies Leben vor­gau­keln. An dieser Stelle kommt die Grazer Stadt­schrei­berin in Barbi Mar­ković beson­ders durch, die auch in Super­hel­dinnen immer wieder Wer­be­texte ein­fügt. Bereits in ihrem 2012 erschienen Roman Graz, Alex­an­der­platz hatte Mar­ković ‚abge­schrieben’, was sie in meh­reren Städten auf zen­tralen Plätzen gesehen hat. Den Ent­schluss, mit dem nächsten Bus zurück nach Wien zu fahren, fasst die Prot­ago­nistin, als ein Unbe­kannter sie als Pro­sti­tu­ierte anspricht und mit ihr ins Geschäft kommen will.

Als Leser könnte man hier ver­sucht sein, Par­al­lelen zwi­schen schrift­stel­le­ri­schen Auf­trags­ar­beiten und einem anrü­chigen Gewerbe zu ziehen. Graz, Alex­an­der­platz (Leykam-Verlag 2012), das den Gra­zern ver­spro­chene Stadt­schreiber-Pro­jekt, kam lange nicht an die fes­selnde Qua­lität von Mar­ko­vićs erstem, auf Ser­bisch ver­fassten und an Thomas Bern­hards Erzäh­lung Gehen ange­lehnten Roman Izlaženje (2006, Aus­gehen, dt. 2009) heran. Ihre lang­jäh­rige Über­set­zerin, Mascha Dabić, die damals Aus­gehen für Suhr­kamp ins Deut­sche über­trug und auch die ser­bi­schen Teile des in zwei Spra­chen geschrie­benen Romans Super­hel­dinnen über­setzte, stellt übri­gens die deut­lich wie­der­erkenn­bare Vor­lage für die gleich­na­mige Figur.

 

Show­down im Casino – oder wie man sich Wohl­stand ehr­lich erarbeitet

Es ist dann auch Mascha, die an ihrem letzten Abend im schä­bigen „Sette Fon­tane“ die ersehnte Wende mit drei Casino-Gut­scheinen in ihr Leben bringt. Die nach finan­zi­eller Frei­heit lech­zenden Frauen beschließen, ihre para­nor­malen Fähig­keiten zu bün­deln und im Casino zum Ein­satz zu bringen. Die Tauben, Reprä­sen­tan­tinnen des von den kärg­li­chen Resten der Gesell­schaft lebenden Pre­ka­riats, unter­nehmen ihren letzten Angriff, um sie den Ver­hält­nissen nicht ent­kommen zu lassen. Nach­ein­ander fliegen sie – Hitch­cock lässt grüßen – an die Scheibe des „Sette Fon­tane“ und stürzen ver­letzt oder tot auf den Geh­steig. Von jetzt an ist es aus mit dem Konsum von Erbro­chenem, das end­lich durch Kaffee, Eis­be­cher und Nah­rungs­er­gän­zungs­mittel aus der Apo­theke ersetzt werden kann.

Als Milieu­studie ist Barbi Mar­ko­vićs Roman an Zynismus kaum zu über­bieten: Das Casino am Roma­nende bietet weder mon­dänes Flair noch ele­gant geklei­dete Gäste, dafür aber kaputte Typen in Jog­ging­hosen, die ver­geb­lich hoffen, ihr Leben ver­än­dern zu können. Haben Glücks­spiele da Hoch­saison, wo man die Hoff­nung ver­loren hat, mit ehr­li­cher Arbeit zur Mit­tel­klasse auf­zu­steigen und seine finan­zi­ellen Pro­bleme lösen zu können? Oder ist es ohnehin obsolet, von der ehr­li­chen Arbeit zu räsonieren?

 

Lite­ra­tur­preise als Klopapierhalter

Barbi Mar­ković erhielt für Super­hel­dinnen den Lite­ra­tur­preis Alpha 2016 sowie den För­der­preis des Adel­bert-von-Cha­misso-Preises 2017, weil sie laut Lau­datio „anders“ von den Arbeits­be­din­gungen der heu­tigen Zeit schreibt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, dass der Lite­ra­tur­preis Alpha von den Casinos Aus­tria gestiftet wurde. Als Klo­pa­pier­ab­lage und wit­ziger Kom­mentar zum pro­duct-pla­ce­ment taucht der Alpha-Lite­ra­tur­preis im Hin­ter­grund des Preis­träger-Videos wieder auf, das die Bosch-Stif­tung von Barbi Mar­ković ins Internet gestellt hat.

 

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Mascha, Direk­torka und die Ich-Erzäh­lerin gewinnen beim Rou­lette und als sie das Casino ver­lassen, hat sich die Tau­ben­dichte nor­ma­li­siert. Ihre unnötig gewor­denen Super­kräfte sind ver­loren, doch der beträcht­liche Gewinn ermög­licht ihnen das erträumte „Leben im Mit­tel­stand“. „Begeis­tert vom Geschmack ihres Eis­be­chers“ haben sie vor, nun mit dem echten Leben anzu­fangen. „Was sollen wir anfangen? fragt Direk­torka. Uns zu inter­es­sieren, sage ich. Für das Weltall, für Politik oder für Gartenkunst.“

 

„ein neo­li­be­rales Roboterselftrackerastronautenhappyend“

Barbi Mar­ković ser­viert uns hier ein halb leeres, halb volles Super­hel­dinnen-Glas. Sie kommt nicht mit der berüch­tigten Keule der Gesell­schafts­kritik daher. Was bedeutet es, wenn das Recht auf Mit­tel­schicht hier ohne jeg­liche Revo­lu­ti­ons­ro­mantik ein­ge­klagt wird? Die Super­hel­dinnen, klas­si­sche Anti­hel­dinnen, wollen nicht für eine bes­sere Welt kämpfen, son­dern ein­fach nur sor­gen­frei leben, shoppen und keine Angst mehr vor Han­dy­rech­nungen haben. Hat nicht auch die öster­rei­chi­sche Mit­tel­schicht ihren Wohl­stand, ohne ihn erstreiten zu müssen, in den Schoß gelegt bekommen?

„Später, als Mascha aus der Kabine her­aus­kommt, hält sie zehn unter­schied­liche Som­mer­kleider in der Hand. Es wäre dumm von mir, alle zehn zu kaufen, sagt sie, was denkt ihr? Wir unter­stützen ein­ander bei leichten Ent­schei­dungen. Du kannst nie­mals zu viele Som­mer­kleider haben, sage ich. Wir bezahlen wieder mit unseren Karten und haben keine Angst, es könnte zu wenig Geld auf dem Konto sein.“

Die Büh­nen­fas­sung von Super­hel­dinnen wird seit Februar 2017 am Wiener Volks­theater gespielt. Scheint, dass Barbi Mar­ković etwas zu sagen hat.

 

Mar­ković, Barbi: Super­hel­dinnen. Teil­weise über­setzt von Mascha Dabić. Salzburg/Wien: Resi­denz­verlag, 2016.

 

Wei­ter­füh­rende Links:
Video mit Barbi Mar­ković anläss­lich der Ver­lei­hung des Adel­bert-von-Cha­misso-För­der­preises 2017, ver­öf­fent­licht von der Robert Bosch Stiftung.
novinki-Inter­view mit Barbi Mar­ković vom 19.04.2012: „Text­wie­der­ver­wer­tung ist für mich ein­fach ganz normal…“

 

Wei­tere Lite­ratur von Barbi Mar­ković:
Izlaženje. Beograd: Rende, 2006.
Aus­gehen. Aus dem Ser­bi­schen von Mascha Dabić. Frank­furt am Main: Suhr­kamp, 2009.
Graz, Alex­an­der­platz. Graz: Leykam-Verlag, 2012.