Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

„Ich fühle die Birke nicht, wie sie Esenin fühlt.“

Ein Inter­view mit dem aser­bai­dscha­ni­schen Dichter, Über­setzer und Preis­träger der „Russ­kaja Pre­mija“ 2004, Nidžat Mamedov.

Hier können Sie das Inter­view in rus­si­scher Sprache lesen.

Mit Nidžat Mamedov trafen wir uns in einem der Stadt­cafés in der Nähe der U‑Bahn-Sta­tion „Nariman Nari­manov“ in Baku, früher eines der vor­wie­gend rus­sisch­spra­chigen Viertel der Stadt.

Ein junger Mann aus einer tra­di­tio­nellen aser­bai­dscha­ni­schen Familie aus dem Dorf Ach­medly (einer der Schlaf­be­zirke am Rande der Stadt), mit aus­ge­prägten süd­li­chen Zügen, breiten buschigen Augen­brauen, dun­kel­brauner Haut, dichtem  Haar und großen ernsten braunen Augen, die gar nicht in das erwar­tete kano­ni­sche Bild des renom­mierten rus­sisch­spra­chigen Dich­ters zu passen scheinen, gesteht scherz­haft mit einem leichten Bakuer Akzent im Rus­si­schen, dass er seinen Phä­notyp höchst­wahr­schein­lich seinem Groß­vater aus dem ira­ni­schen Aser­bai­dschan ver­dankt. Viele Aser­bai­dschaner sind wäh­rend des Ölbooms zu Beginn des letzten Jahr­hun­derts aus dem Iran nach Nord­a­ser­bai­dschan gezogen. Viele wurden mit dem Auf­kommen der Sowjet­macht ver­trieben, einigen gelang es, zu bleiben.

Im Gespräch mit Nidžat spürt man seine bewusste Distan­zie­rung von poli­ti­schen Themen. Das ist eher unty­pisch für junge bekannte Autor_innen in der GUS. Viele von ihnen bestä­tigen viel­mehr Bul­ga­kovs Aus­sage, „Der Schrift­steller wird immer in der Oppo­si­tion zur Politik stehen, solange die Politik selbst in der Oppo­si­tion zur Kultur steht“[1] und äußern ihr Anders­denken auch mit poli­ti­schem Protest.

Später, als Nidžat in seinem Inter­view aser­bai­dscha­ni­sche Schrift­steller der Sowjet­zeit für den Mangel an aso­wje­ti­scher Krea­ti­vität kri­ti­siert, weil „das Sowje­ti­sche und Anti­so­wje­ti­sche nicht inter­es­sant ist“, „es ist nur der ent­ge­gen­ge­setzte Pol des­selben“, wird klar, dass es diese expe­ri­men­telle, unpo­li­ti­sche, ideo­lo­gie­freie Linie der Poesie ist, die er (viel­leicht nicht bewusst) fort­zu­setzen ver­sucht, und um die er die rus­si­sche Poesie nach seiner eigenen Aus­sage so sehr „beneidet“.

Bereit­willig und offen spricht der Autor über seine Krank­heit, Bul­ling in der Schule, The­rapie und ihren „greif­baren“ Ein­fluss auf den krea­tiven Pro­zess, die seinen Alltag auch heute sehr stark prägen und ihn zu dem, „was er heute ist“, gemacht haben.

Beim Inter­view begleitet ihn seine Ehe­frau. Sie sei nach seinen Worten sein „Haupt­leser und Zensor“. Er schaut ab und zu fra­gend in ihre Rich­tung, im Gegenzug nickt sie zustim­mend und lächelt.

 

Günay Rza: Lieber  Nidžat, ich danke Ihnen, dass Sie diesem Inter­view zuge­stimmt haben.  Wie hat sich Ihr schöp­fe­ri­scher Weg ent­wi­ckelt?  Wann haben Sie begonnen Ihre ersten Gedichte zu schreiben?

 

Nidžat Mamedov: Ich weiß nicht, ob man das wirk­lich als „Weg“ bezeichnen kann. Ich schreibe mehr oder weniger sys­te­ma­tisch, seit ich 15 bin, also seit der elften Klasse, und später wäh­rend meines Stu­diums an der Phi­lo­lo­gi­schen Fakultät. Einige meiner Fami­li­en­an­ge­hö­rigen sind auch Phi­lo­logen: meine Mutter, mein Vater und meine Tante. Von Kind­heit an war ich von Büchern umgeben, und wegen meines ver­schlos­senen Cha­rak­ters war ich eher geneigt, mit Büchern zu kom­mu­ni­zieren als mit Men­schen. Mit anderen Worten, ich lernte das Leben nicht direkt, son­dern indi­rekt durch Bücher kennen. Ich glaube, alles war somit vor­be­stimmt und das Stu­dium an der Fakultät für Phi­lo­logie erschien mir ange­mes­sener als andere Fächer.

 

G.P.: Phi­lo­lo­gi­sche Fakultät der Sla­wi­schen Uni­ver­sität?[2]

 

N.M.: Nein, an der Bakuer Staat­li­chen Universität.

 

G.P.: Auf der Web­seite der „Novaja lite­ra­tur­naja karta Rossii“ [3]  war der Name der Uni­ver­sität falsch?

 

N.M.: An der Sla­wi­schen Uni­ver­sität ver­suchte ich zweimal zu unter­richten. Ich wurde dorthin ein­ge­laden, als die Fakultät eröffnet wurde. Ich habe mit Stu­denten Schreib­work­shops orga­ni­siert, 2–3 Mal, dann bin ich abge­hauen. Meine Selbst­kritik erlaubte es mir nicht, dort weiter zu unter­richten. Ich war erst 26–27 Jahre alt und über­zeugt, dass ich kein Lehrer sein kann, dass ich kein Recht hätte, die Stu­denten zu kri­ti­sieren, ihnen etwas zu sagen. Ich ver­suchte, ihren Hori­zont zu erwei­tern, ich riet ihnen, Nabokov zu lesen und nicht Coelho, an dem sie fest­hingen. Sie dachten, die Lite­ratur beschränke sich auf Coelho und andere popu­läre Autoren, aber ich zeigte ihnen, dass es auch andere Namen gebe, die auch Auf­merk­sam­keit ver­dienen, das ist alles.

 

G.P.: Ist Nabokov eine solche Auto­rität für Sie?

 

N.M.: Zu ihm habe ich eine ambi­va­lente Hal­tung. Ich ver­stehe, dass er tech­nisch sehr stark ist, er schreibt meis­ter­haft. Aber die Tat­sache, dass er in seinen Werken Meta­physik annek­tiert hat… es gibt keine Meta­physik dort… Nabo­kovs Spiele sind rein epis­te­mo­lo­gisch, das heißt, es gibt keinen Durch­bruch in den meta­tex­tu­ellen Raum. Die Welt des Textes begrenzt alles. Und diese schmerz­hafte Emp­fin­dung stößt mich ab, aber gleich­zeitig ver­stehe ich, dass er ein her­vor­ra­gender Schrift­steller ist. Es gibt viel von ihm zu lernen. Er ist neben Conrad, Beckett und Brodsky einer der her­aus­ra­genden bilin­gualen Autoren.

 

G.P.: Was hat Sie als Dichter beson­ders geprägt? Welche Autoren, Ereignisse?

 

N.M.: Lite­ratur als Schul­fach fiel mir sehr schwer, rein ange­wandte Seite, ich konnte absolut keine Gedichte aus­wendig lernen, aber in meiner Kind­heit habe ich gerne Mythen gelesen. Als ich krank war, schenkte mir meine Mutter eine Samm­lung von Mythen aus dem antiken Grie­chen­land. Und so suchte ich nach einem Gott, den ich beson­ders sym­pa­thisch und ange­messen fand. Es war eine Welt, in der ich mich gut ori­en­tiert habe, aber Pauken fiel mir schwer. Und es fing erst im Alter von 15 Jahren, in der 11. Klasse, an, dass ich mich mit Maja­kovskij ver­traut machte und sein ganzes Früh­werk las. Ich ver­ehre ihn immer noch.

Sein Poem “Wolke in Hosen” konnte ich, nachdem ich es 3–4 Mal gelesen hatte, aus­wendig. Er ver­kör­perte für mich das Vor­bild eines starken Autors.

Damals habe ich viel Rock­musik gehört, ver­suchte Gitarre zu spielen, und Maja­kovskij schien mir ein Rocker zu sein, im Ver­gleich zu Blok und anderen, die mir als Pop­musik erschienen. Und Maja­kovskij war ein cha­ris­ma­ti­scher Mensch, der mit kahl­ge­scho­renem Kopf im Gefängnis saß und ich habe ihn mit Punks in Ver­bin­dung gebracht.

Zu Beginn des letzten Jahr­hun­derts kamen Futu­risten nach Baku, sie trugen einen Holz­löffel in der Schlinge, färbten sich die Haare, hatten gelbe Westen, es war so auf­sässig und pro­vo­kativ. Und natür­lich schien es einem 15-jäh­rigen Teen­ager mit Hor­monen see­len­ver­wandt. Neben Maja­kovskij las ich damals das Buch “Die Reise in die Hölle”[4]. Es war ein Buch über den Schaden von Drogen. Es han­delte unter anderem vom Ein­fluss der Drogen auf die Lite­ratur, Charles Bau­de­laires, “Das Gedicht vom Haschisch”, Thomas de Quin­ceys “Bekennt­nisse eines Opi­um­süch­tigen” und Gedichte des Beatnik Allen Gins­berg, die unter Drogen geschrieben wurden, kamen darin vor, und ich war sehr beein­druckt von dem Auf­ruhr der Bilder.

Ein paar Jahre später, als ich an der Uni­ver­sität war, bekam ich “Naked Lunch” von Bur­roughs geschenkt, das bemer­kens­werte Werk eines anderen Beat­niks aus dem Jahr 1959. Es hat mich beein­flusst. In einem Lehr­buch “Wör­ter­buch der lite­ra­ri­schen Ter­mini“, dort las ich über Expres­sio­nismus und Sur­rea­lismus. In Ori­en­tie­rung daran ver­suchte ich, selbst etwas zu schreiben. Das Lehr­buch war gut, darin lernte ich in der 11. Klasse Brod­skij kennen! Eines seiner Gedichte und eine kurze Zusam­men­fas­sung seines Lebens und dass er ein Nobel­preis­träger war. Und sogar Gedichte von Parščikov waren darin abge­druckt. In der 11. Klasse wussten wir nicht nur, wer Ždanov war, son­dern auch wer Parščikov war, bekamen eine Vor­stel­lung, wie Meta-Rea­listen schrieben. Wahr­schein­lich waren das Über­bleibsel des impe­rialen Bewusst­seins und Denkens.

 

G.P.: Welche Schule haben Sie besucht?

 

N.M.: Es war eine nor­male Schule, die Schule Nummer 63, damals halb­kri­mi­nell. Viele hatten Angst davor, weil dort die Regeln nicht ein­ge­halten wurden. In der Klasse 8–9 musste ich sogar ein Messer bei mir tragen, um die gefähr­li­chen Typen abzu­schre­cken. Ich bin früher als die anderen zur Schule gegangen und war immer jünger und kleiner als meine Mit­schüler. Ich habe das Bul­ling also am eigenen Leib erfahren.

Damals nahm meine Mutter mich und meine beiden Schwes­tern in die Pfingst­sekte. Auch dort wurde ich einer gründ­li­chen Gehirn­wä­sche unter­zogen: Ich erin­nere mich an die Rituale des Kniens, umgeben von knienden Erwach­senen, die betend Kau­der­welsch mur­melten. Wis­sen­schaft­lich gesehen ist es eine Glos­so­lalie. Die Pfingstler nannten es „Spre­chen in hei­ligen Zungen”. Die Bibel sprach von Demut und Geduld, aber in der Schule funk­tio­nierte das nicht. Je länger ich schwieg, desto gewalt­tä­tiger wurde ich.

Aber meine Familie hat es geschafft, uns da raus­zu­holen; zur Ablen­kung wurde ich zum Sport geschickt. Ich ging in ein Fit­ness­studio und dann zum Judo, wurde stark und furchtlos. Und eines Tages pas­sierte ein Wunder! Nachdem ich mich mehr­mals gewehrt und zurück­ge­schlagen hatte, ließen meine Mit­schüler mich in Ruhe. Es ist dieses typi­sche Gefühl eines Teen­ager, eine Mischung aus Furcht­lo­sig­keit, Ein­sam­keit und Frei­heit, das mir heute erlaubt, die Seiten von Autoren wie Jünger, Bowles, Cioran zu genießen. Ich sehe Brüder im Geiste. Und gleich­zeitig ver­stehe ich, dass diese trau­ma­ti­sche Erfah­rung – Mob­bing, die Pfingst­sekte sowie die gene­ti­sche Ver­an­la­gung – dazu geführt haben, dass ich seit zwölf Jahren an einer bipo­laren Stö­rung leide. Viele Dichter leiden an einer bipo­laren Störung.

 

G.P.: Wie ist es, ein rus­sisch­spra­chiger Dichter in Aser­bai­dschan zu sein? Was ist der Grund für die Wahl einer Sprache? Haben Sie Ihre Erfah­rungen als Autor mit denen der Aser­bai­dscha­nisch schrei­benden Autoren verglichen?

 

N.M.: Mein Vor­teil ist, dass ich weder auf die aser­bai­dscha­ni­sche noch auf die rus­si­sche Sprache her­ab­sehe. Ich habe eine aser­bai­dscha­nisch­spra­chige Familie, aber dass wir in die rus­sisch­spra­chige Schule gegangen sind, war das Ver­dienst meiner Mutter. Sie selbst spricht nur mit Feh­lern Rus­sisch, sie ver­steht es aber, und sie träumte davon, Rus­sisch zu können und dadurch Zugang zur ganzen Welt­kultur zu haben. Zur Zeit der Volks­front[5] hatte mein Vater Angst und wollte, dass wir zur aser­bai­dscha­ni­schen Schule wech­seln. Sie bestand aber darauf, und ich und meine Schwes­tern erhielten eine rus­sisch­spra­chige Aus­bil­dung. Aber zu Hause hörten wir immer die aser­bai­dscha­ni­sche Sprache, und das auf hohem Niveau. Meine Mutter zitiert frei von Fizuli bis Gusejn Džavid, und all das drang in mein Gehör. Sprich­wörter, Sprüche, unsere Folk­lore. Sie hat ein gutes Gedächtnis, sie unter­richtet die aser­bai­dscha­ni­sche Sprache und Lite­ratur in der Schule. In meinen Gedichten kom­men­tiere ich manchmal einige ihrer Phrasen. Ihr Aser­bai­dscha­nisch ist voller Sprich­wörter, Sprüche und idio­ma­ti­scher Wen­dungen. Ich betrachte sie etwas distan­ziert von der Posi­tion der rus­si­schen Sprache, und sie offen­baren mir eine etwas andere Bedeu­tung, das gibt eine inter­es­sante, ver­frem­dende Wir­kung. Obwohl ich viel aus dem Aser­bai­dscha­ni­schen über­setzt habe, selbst geschrieben habe ich auf Aser­bai­dscha­nisch erst letztes Jahr zum ersten Mal. Ich habe diese Expe­ri­mente, die sich an der Dich­tung der Mos­kauer Kon­zep­tua­listen – Prigow und Rubin­s­tejn – ori­en­tieren, nicht publi­ziert und werde das wahr­schein­lich nicht tun.

Ich habe sehr viel von der tra­di­tio­nellen syl­la­bi­schen Dich­tung über­setzt, ich kann das fast auto­ma­tisch aus mir her­aus­pressen. Ich nehme diese Form, ich nehme die Strophe, ich nehme den Sie­ben­he­bigen, den Acht­he­bigen, und ich fange ein­fach an, in Versen auf Aser­bai­dscha­nisch zu schimpfen und diesen ganzen Unsinn aus mir her­aus­zu­ziehen. Aber es lohnt sich kaum, sie zu dru­cken, denn es han­delt sich um Affekte, nicht um echte expres­sive Dich­tung. Ich glaube, man sollte licht­tra­gende Dinge zum Aus­druck bringen statt des Dunklen. Ich kann mit Leich­tig­keit alles Dunkle aus mir her­aus­pressen, das Papier wird alles ertragen, aber es lohnt sich nicht, das zu publizieren.

Aber die Erfah­rung, in fest­ste­henden Formen auf Aser­bai­dscha­nisch zu schreiben, war wie eine Übung. Ich schreibe jetzt Texte in aser­bai­dscha­ni­scher Sprache, bei denen ich auf die Locke­rung gram­ma­ti­ka­li­scher, syn­tak­ti­scher Ent­würfe setze. Ich zer­breche die Formen, defor­miere diese gram­ma­ti­ka­li­schen Kate­go­rien leicht und ver­suche, einige aus­drucks­starke Dinge in der aser­bai­dscha­ni­schen Sprache zu schreiben. Da gibt es auch ein Ele­ment des Zufalls, denn ich bin müde von mir selbst, weil ich alles geschrieben habe, was ich wissen konnte und was ich beim Schreiben gefunden habe, und jetzt möchte ich etwas schreiben, das für mich als Leser neu wäre.

Bur­roughs benutzte in seinen Romanen auch ein Ele­ment des Zufalls, die Technik heißt Cut-up, und geht auf die Dada­isten zurück. Tristan Tzara sagte, dass das beste Gedicht – ein zufäl­liges Gedicht ist. Man nimmt das Papier, schneidet es in Stücke und legt sie in einen Hut und zieht in einer zufäl­ligen Rei­hen­folge. Und Bur­roughs modi­fi­zierte es, er schnitt einige Frag­mente heraus, ver­än­derte sie an einigen Stellen, mischte sie und setzte sie in umfang­rei­chere Texte, in Romane, um. Ganz im All­ge­meinen ist das für die ame­ri­ka­ni­sche Kunst typisch. Ich ver­suche, in meinen jüngsten Texten sowohl in rus­si­scher als auch in aser­bai­dscha­ni­scher Sprache ver­gleich­bare Prin­zi­pien zu nutzen. Ich nehme einige Text­blöcke, lasse sie durch einen Algo­rithmus, der alles in einer zufäl­ligen Rei­hen­folge mischt, und ziehe dann die Stücke heraus, die einen Sinn ergeben und schließ­lich befasse ich mich mit Layout. Das ist inter­es­sant für mich. “Die Logik ist, dass ich mit dem Chaos beginne, und das ist der natür­lichste Anfang”[6], sagte Paul Klee. Und davor sagte Nietz­sche: “Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tan­zenden Stern gebären zu können”.

Sehen Sie, nachdem mir Lithium ver­schrieben wurde (dem übri­gens viele Gedichte und Lieder gewidmet sind), bekam ich Inspi­ra­tion, d.h. Hypo­manie. Ich weiß nicht, wie das bei anderen ist, aber ich kenne nur eine Form der Inspi­ra­tion, und das ist die Hypo­manie. Und in meinem Fall ist die Hypo­manie Teil meiner bipo­laren Stö­rung. Lithium hat mich adäquat und sozial stabil gemacht. Aber ich habe beschlossen, die dadurch ver­schwun­dene Inspi­ra­tion, durch die früher in einem Sekun­den­bruch­teil Hun­derte von ver­balen Ope­ra­tionen und uner­war­teten Kom­bi­na­tionen in meinem Kopf auf­tauchten, digital zu kom­pen­sieren. Wie Puschkin sagt: “Und der Zufall ist der Erfinder-Gott”. Ich ver­lasse mich auf diesen Gott. Schließ­lich muss der Dichter nur eines tun – „Worte mit ein­ander ver­traut machen”[7] (Man­del’štam).

Die Umstände führten dazu, dass ich die Rou­ti­ne­ar­beit der kom­bi­na­to­ri­schen Maschine über­lasse, aber das Schwie­rigste bleibt mir vor­be­halten – die Wahl und Trans­for­ma­tion dieser oder jener Sequenz.

Ja, diese Expe­ri­mente sind ein biss­chen wie ein neu­ro­naler Netz­werk­brief. Doch was sagte Rim­baud? “Ein Dichter muss absolut modern sein”[8]. Moderne Gedichte werden aus der Zukunft geschrieben, aus dem Grenz­be­reich zwi­schen Sprache und Mensch.

Gleich­zeitig wirft diese Art des Schrei­bens eine Reihe wich­tiger Fragen auf. Was ist ein Unfall? Chaos oder eine rie­sige Ord­nung, die ein Mensch nicht begreifen kann? Ist es ein Vers, der gerade geschrieben oder kon­stru­iert wird? Wel­ches Poten­zial liegt im Auf­ein­an­der­prallen ver­schie­dener, wider­sprüch­li­cher Dis­kurse? Ist es befreiend? Revo­lu­tionär? Was bedeuten Gram­matik- und Syn­tax­ver­let­zungen? Rebel­lion gegen den tota­li­tären Cha­rakter einer nor­ma­tiven Sprache? Die Suche nach einer pri­mären, prä­ko­gni­tiven Sprache? Der Wunsch, neue Ver­bin­dungen zwi­schen Ele­menten der Gesell­schaft zu schaffen, neue Ver­bin­dungen zwi­schen Teilen der Rede zu schaffen?

Und schließ­lich: Ich würde nichts ändern, weil in all dem eine gewisse Logik steckt. Oft ist es der Bruch eines Mecha­nismus, der es Ihnen ermög­licht, etwas über das Innere zu erfahren. In meinem Fall ist es das­selbe. Die See­len­krank­heit hat mir ermög­licht die Seele und ihre Struktur besser ken­nen­zu­lernen. Und die Ein­nahme von Medi­ka­menten – den Abschied vom roman­ti­schen Kon­zept der Krea­ti­vität, von Illu­sionen zu nehmen.

 

G.P.: Wenn wir (da wir von Aser­bai­dschan spre­chen) zum Ver­gleich an Čingiz Gus­e­jnov denken, der auch in beiden Spra­chen schreibt. Für ihn ist es meiner Mei­nung nach sehr wichtig, ganz in der jewei­ligen Struktur der Sprache zu bleiben, den Rahmen zu behalten und nicht zu durch­bre­chen. Haben Sie keine Angst?

 

N.M.: Ich bin nicht ängst­lich. Ich erin­nere mich an Deleuze, ich ver­stehe ihn kaum, aber in seinem Buch “Kritik und Klinik” gibt es einen guten Satz: „Ein Schrift­steller muss in seiner eigenen Sprache schreiben, als wäre sie eine Fremd­sprache, er muss in seiner eigenen Sprache eine andere, fremde Sprache ver­ste­cken“[9]. Wenn man dar­über nach­denkt, hat der Schrift­steller keine andere Wahl. Der Schrift­steller ist die Person, die ver­steht, dass alle Worte vor ihr erfunden wurden, er hat keine eigenen Worte. Ent­weder muss er in irgend­eine dada­is­ti­sche Abstru­sität abrut­schen und dann wird ihn nie­mand ver­stehen, oder er muss ein guter Sti­list sein. Sie können inner­halb der Grenzen einer gemein­samen Sprache bleiben, aber Sie können dort ganz kleine Ände­rungen vor­nehmen, die zugleich Ihre eigenen Mar­kie­rungen sein werden, aber doch all­ge­mein ver­ständ­lich bleiben. Wie zum Bei­spiel Pla­tonov. Er ist zuhause in der rus­si­schen Sprache, aber gleich­zeitig ist er auch ein Fremder. Er wird oft Nabokov gegenübergestellt.

 

G.P.: Ich möchte noch gern zum Thema Über­set­zung über­gehen und zunächst nach der Aus­zeich­nung fragen, die Sie für die beste Über­set­zung erhalten haben.

 

N.M.: Ja, das war im Jahr 2004, die Aus­zeich­nung des Minis­te­riums für Jugend, Sport und Tou­rismus für die Über­set­zung der Gedichte von Akšyn. Es gibt einen sol­chen Dichter, er ist vier Jahre älter als ich und schreibt jetzt Prosa.  Er ist ein sehr inter­es­santer Dichter.

Im Unter­schied zum rus­sisch­spra­chigen Publikum und den rus­si­schen Autoren inter­es­siere ich mich wirk­lich für die aser­bai­dscha­ni­schen Autoren, sie wirkten so lei­den­schaft­lich auf mich, so frisch. Viel­leicht haben sie keinen großen Hin­ter­grund, sie spre­chen nicht das Sil­berne Zeit­alter an, wie lokale rus­sisch­spra­chige Autoren, aber es gibt eine fri­sche Unver­fro­ren­heit. Das ist ihre Stärke. Meine Über­set­zungen von Akšyn wurden in der Zeit­schrift “Lite­ra­turnyj Azer­baj­džan” (Lite­ra­ri­sches Aser­bai­dschan) veröffentlicht.

 

G.P.: Und die „Russ­kaja pre­mija“ 2014?

 

N.M.: Ja, für das Buch “Treff­punkt überall”, erschienen im “Russkij Gul­liver” Verlag, von Andrej Tavrov und Vadim Mesjac. Dieses Buch ent­hält 20 Gedichte, 9 Essays und 2 Inter­views, vom Autor zusam­men­ge­stellt. Ich hatte es nicht auf die Aus­zeich­nung ange­legt.  Der Verlag hat das Buch selbst nomi­niert und mir wurde mit­ge­teilt, ich hätte den dritten Platz belegt.

 

G.P.: In der „Novaja lite­ra­tur­naja karta Rossii“ von Dmitrij Kuzmin, der seit den 1990er Jahren schon die rus­sisch­spra­chige Dich­tung dezen­tral zu kar­tieren ver­sucht, aber trotzdem immer noch von rus­si­scher Dich­tung spricht, werden Sie als Dichter erwähnt.

 

N.M.: Ich mag den Stil von Alek­sandr Gold­stein. Er ist ein Jude aus Baku, ein großer Schrift­steller. Sein erstes Buch wurde ver­öf­fent­licht, als er 40 Jahre alt war, und er erhielt zwei dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setzte Aus­zeich­nungen, den Rus­sian Booker und den Anti-Booker für „Rassta­va­nije s Nar­cissom“( eng. Par­ting from Nar­cissus). Und in dem zweiten Buch, im letzten Essay, appel­liert er an die Pro­vin­zschrift­steller und sagt, ihre Lite­ratur sei nicht rus­sisch, son­dern rus­sisch­spra­chig, und das sei gut so. „Halten Sie an Ihrem aus­län­di­schen Pro­vin­zia­lismus fest, denn er wird in Zukunft die Metro­pole ernähren, er wird die rus­si­sche Sprache selbst ernähren, sie wird sich auf Kosten des Schrottes am Stadt­rand leben und sich ent­wi­ckeln“[10]. Als Arbeits­be­griff ver­wende ich also in Bezug auf mich selbst den Begriff der rus­sisch­spra­chigen Literatur.

Mein Schreiben basiert nicht auf der rus­si­schen Men­ta­lität, nur die Sprache ist Rus­sisch, und das ist eine Art krummes Rus­sisch. Als ich am Anfang nach meinem Stil suchte, ver­stand ich, dass es kein ehr­li­cher Weg sein kann, dem Weg Esenins zu folgen, wie es die rus­si­schen Schrift­steller Aser­bai­dschans taten. Wenn ich ein eth­ni­scher Russe wäre, könnte ich es ver­su­chen, aber ich bin Aser­bai­dschaner. Ich fühle die Birke nicht so wie Esenin sie fühlt. Wichtig sind mir Abšeron, Salz­sümpfe, Wüs­ten­zone, sal­ziger Wind, d.h. einige Arche­typen, die mir inne­wohnen. Als Kind aß ich keinen Kuchen, son­dern Halvah, das Frauen zube­rei­teten, also eine ganz andere Konstellation.

Ich suchte ver­zwei­felt nach ‚meinem‘ Umfeld, und dann folgte ich dem Rat von Il‘ja Kukulin und fand in Šamšad Abdul­lajev einen See­len­ver­wandten. Als ich ihn und andere Fer­ganer Autoren las, erkannte ich mich selbst, erin­nerte mich an meine Kind­heit und ver­stand, dass es mög­lich ist, auch ganz anders auf Rus­sisch zu schreiben. Ja, es gibt andere rus­sisch­spra­chige Schrift­steller wie Gen­nadij Ajgi, den berühmten tschu­wa­schi­schen Dichter, also ein Autor mit turk­spra­chigen Wur­zeln, er schreibt in seinem ganz eigenen Rus­sisch. Genau wie der erwähnte Gold­stein oder Abdul­lajev. Arkadij Dra­go­moščenko wurde in der Ukraine geboren, zog nach St. Peters­burg und schrieb auf Rus­sisch, indem er in seine rus­sisch­spra­chige Dich­tung die ukrai­ni­sche Sprache ein­bet­tete, wobei er an die gesamte Welt­kultur vom Bud­dhismus bis zum Post­struk­tu­ra­lismus appel­lierte. Er ist wirk­lich ein ganz ein­zig­ar­tiger Autor. Viele gingen den Weg über Brod­skij, der nur wenig älter ist (Jahr­gang 1940) als Dra­go­moščenko (1946). Aber ich stelle immer mehr fest, dass die Erfah­rung von Dra­go­moščenko ein Eck­pfeiler gerade für junge Dichter ist.

 

G.P.: Wann haben Sie mit Ihren ersten Über­set­zungen begonnen? Über­setzen Sie auch andere Schrift­steller und Dichter? Es gibt ver­schie­dene Theo­rien, dass eine Über­set­zung gelungen ist, wenn sie die Bot­schaft trans­por­tiert, die der Autor ver­mit­teln wollte. Wann, glauben Sie, ist eine Über­set­zung erfolgreich?

 

N.M.: Ich habe an der Uni­ver­sität mit dem Über­setzen begonnen, wir hatten sogar ein Fach „Über­set­zungs­wis­sen­schaft“, das mir inter­es­sant zu sein schien, und dann, scherz­haft gesagt, habe ich über­setzt, es gelang mir, zu reimen. Ich über­setzte zum Spaß Bach­tijar Vahabzade mit einigen lus­tigen Reimen. Salim Babull­aoglu, ein wun­der­barer Dichter und ein­fach ein guter Mensch, wurde mein Mentor und führte mich in den Beruf des Über­set­zers ein. Jetzt über­setze ich haupt­säch­lich, um mein täg­li­ches Brot zu ver­dienen. Es ist das Ein­zige, was ich für meinen Lebens­un­ter­halt tun kann. Manchmal schreibe ich auch Artikel.

Es ist schwer zu beur­teilen, ob die Über­set­zung adäquat ist.  Ich habe viele Men­schen für Geld über­setzt und viele kos­tenlos. Ich über­trage kos­tenlos die­je­nigen Autoren, die mir am Herzen liegen und die mir gefallen. Ich habe sie nicht nur kos­tenlos über­setzt, son­dern auch ver­sucht, für sie zu werben, sie an ver­schie­dene Zeit­schriften zu schi­cken, Prä­am­beln und einige Bei­lagen zu schreiben. In Arion gab es in den Jahren 2006 und 2007 große Ver­öf­fent­li­chungen, in der Zeit­schrift Družba Narodov, auf TextOnly.ru gab es eine Veröffentlichung.

Bis jetzt ver­suche ich, das, was mir gefällt, kos­tenlos zu über­setzen und zu för­dern. Aber daneben muss ich beruf­lich über­setzen und ich kann diese Über­set­zungen nicht beur­teilen. Die Autoren selbst bestehen auf der Über­set­zung, sie wollen Aner­ken­nung und sie denken, wenn ich den Text in Ord­nung bringe, wird er gut sein und Erfolg haben, was nicht wirk­lich geschieht. Lassen Sie uns über die guten Dinge spre­chen, die ich aus Liebe vermittle.

 

G.P.: Über­setzen Sie haupt­säch­lich aus dem Aser­bai­dscha­ni­schen ins Russische?

 

N.M.: Ja, vom Rus­si­schen ins Aser­bai­dscha­ni­sche über­setze ich nur meine Lieb­lings­au­toren. Ich habe Šamšad Abdul­lajev über­setzt, etwa 20 Gedichte, ein paar Gedichte von Iličevskij. Alek­sandr Skidan, Arkadij Dra­go­moščenko, Andrej Tavrov, Evgenij Suslov. Ich möchte, dass es diese Autoren in aser­bai­dscha­ni­scher Sprache gibt, und tat­säch­lich erhalten die Über­set­zungen Reso­nanz, werden in lokalen Zeit­schriften ver­öf­fent­licht, in der Zeit­schrift “Quyu” (Übers. aus dem Aserb. – der Brunnen). Es gibt jetzt auch Leute, die end­lich Platon aus dem Alt­grie­chi­schen ins Aser­bai­dscha­ni­sche über­setzen und dabei groß­ar­tige Arbeit leisten. Die Über­set­zungen werden in der Zeit­schrift ver­öf­fent­licht, und die Mit­ar­beiter selbst bitten um eine Fort­set­zung. Das Publikum liest und dis­ku­tiert dar­über. Und was ich aus Liebe ins Rus­si­sche über­setze, sind Autoren wie z.B. Akšyn, Hamid Herisči, Rasim Garadža. Sie sind auch für die rus­si­schen Leser inter­es­sant, die ihrer­seits diese Poesie mit Inter­esse ent­ge­gen­nehmen und um mehr bitten.

 

G.P.: Über­setzen Sie etwas aus Ihren eigenen Werken ins Aserbaidschanische?

 

N.M.: Ich habe ver­sucht, einige Gedichte zu über­setzen, weil ich keinen Über­setzer finden konnte. Viele lehnten ab, sie meinten die Gedichte wären zu kom­pli­ziert, dieses ganze Wortspiel.

 

G.P.: Welche Kri­te­rien haben Sie für die Über­set­zung? Ist es schwierig, ein Wort­spiel wei­ter­zu­geben? Denken Sie an Ihre Leser?

 

N.M.: Ich nehme keine Rück­sicht auf die Leser. Leser sind in erster Linie ich, meine Frau, meine Freunde. Poesie ist ein Gespräch mit sich selbst, aus Ver­zweif­lung oder Ein­sam­keit, aber hier bist du selbst als Leser wichtig. Und man über­setzt es nicht wört­lich, man über­setzt das Spiel­prinzip, nicht die Details. Sie können eines der for­malen Ele­mente ent­fernen und die anderen belassen, dann errei­chen Sie eine grö­ßere seman­ti­sche Genau­ig­keit, ver­lieren aber einige struk­tu­relle Qualitäten.

Gas­parov schlug einen sol­chen Ansatz bei der Über­set­zung mit­tel­al­ter­li­cher Vaganten vor und nannte es «kon­spek­tivnyj perevod» – zusam­men­fas­sende Über­set­zung. Er meinte, man könne ein Gedicht von 30 Zeilen in 10 Zeilen über­setzen. Er berück­sich­tigte den Emp­fänger, fasste den Text wie eine Syn­opse zusammen und über­setzte diese Syn­opse. Es gibt ver­schie­dene Ansätze, ich weiß nicht, ob sie alle taugen, das hängt von der Situa­tion ab. Umberto Eco hat ein Buch über Über­set­zung. Wie schrieb er dort?- „ Quasi das­selbe sagen“.  Quasi das­selbe. Nicht das­selbe, aber fast.

Nur wenige Leute ana­ly­sieren Über­set­zungen ins moderne Aser­bai­dscha­nisch. Aber mir scheint, dass Über­setzer heute eine große Rolle bei der Bil­dung der lite­ra­ri­schen Sprache in Aser­bai­dschan spielen. Es ist noch sehr fle­xibel. Sie können einige Wörter aus anderen Spra­chen ver­wenden oder Ihre eigenen neuen Wörter bilden.

Und auch Schrift­steller, schätze ich. Es ist not­wendig, die Schrift­steller der Sowjet-Ära, beson­ders die aser­bai­dscha­nisch­spra­chigen Schrift­steller der Sowjet-Ära dafür zu kri­ti­sieren, dass sie zu wenig expe­ri­men­telle Dinge geschrieben haben. Ich schaue immer mit Neid auf die große lite­ra­ri­sche Viel­falt der rus­si­schen Lite­ratur in Sowjet­zeiten: es gab sowje­ti­sche Lite­ratur und es gab anti­so­wje­ti­sche Lite­ratur, Dis­si­den­ten­li­te­ratur, aber es gab auch aso­wje­ti­sche Lite­ratur, die sich ästhe­tisch gegen das System stellte. Sie suchte ein­fach nach neuen Wegen. Zum Bei­spiel, P. Ulitin – ja, er schrieb in Tabellen, er machte viel Expe­ri­men­telles, par­allel zu Joyce’s Expe­ri­menten, oder Kon­zep­tua­listen wie Vse­volod Nekrasov. Ja, erst viel später begannen sie, im Westen zu dru­cken, aber sie hatten keine Angst, es war eine kleine Gruppe, aus 3–4 Per­sonen, sie spra­chen, sie expe­ri­men­tierten mit Sprache, sie schrieben ein­fach für­ein­ander und ‚in den Tisch‘.

Wir hatten keinen sol­chen Under­ground. Ich weiß nicht, warum.  Wir hatten etwas Aso­wje­ti­sches, aber nichts Anti­so­wje­ti­sches (das ist auch nicht inter­es­sant), z.B. in der Malerei. Es gab eine solche Abšeron-Schule, sie bestand aus 5 Künst­lern: Ašraf Murad, Javad Mir­da­vadov, Tofik Mirža­vadov, Gorchmaz, Rasim Bab­ayev. Über sie wurde ein Doku­men­tar­film gedreht, sie konnten schon zu Sowjet­zeiten mit einem Laib Brot in der Tasche irgendwo in die Steppe gehen und nach unge­wöhn­li­chen Bil­dern suchen.

Das war mehr oder weniger par­allel zu den west­li­chen Ent­wick­lungen, es geht um Malerei. Und ein biss­chen Musik. Und erst Ende der 80er Jahre kam mit dem Beginn der natio­nalen Unanb­hän­gig­keits­be­we­gung (aser­bai­dscha­nisch: „Meydan“) auch Bewe­gung in die Lite­ratur. Als die Men­schen anfingen, sich auf den Plätzen zu ver­sam­meln und zu pro­tes­tieren. Und dann in den 2000er Jahren, als Hamid Herisči, Rasim Garadža, Murad Koh­ne­gala und Azad Yašar die „Kammer der Frei­be­ruf­li­chen Schrift­steller” (Azad Yazarlar Ocağı) grün­deten und mit der Her­aus­gabe der Zeit­schrift “Ala­toran” begannen. Ich habe meine Gedichte auch dort publi­ziert. Die Zei­tung stand in der Oppo­si­tion zum Schrift­stel­ler­ver­band. Ich kann die poli­ti­sche Seite nicht beur­teilen, aber ästhe­tisch waren sie andersdenkend.

Es scheint mir, dass eine gewisse Rück­stän­dig­keit in der Sprache damit zusam­men­hängt, dass in Aser­bai­dschan in kurzer Zeit mehr­mals das Alphabet gewech­selt wurde (4 Mal im 20 Jh.).

Es ist nicht nur das Alphabet. Wir sind ein kleines Land. Mit wem haben wir kom­mu­ni­ziert? Zum Bei­spiel, Gusejn Džavid, es gibt so viele tür­ki­sche Wörter und tür­ki­sche Endungen in seiner Sprache.

Achundov kri­ti­sierte auch den Ein­fluss des Islams auf die Sprache, da der Islam der Ent­wick­lung sehr enge Grenzen setze.

Wir brau­chen die Revo­lu­tion, wie sie in Deutsch­land statt­fand, als Luther die Bibel ins Deut­sche über­setzte, und es einen Drang zur Tren­nung, zur Selbst­er­kenntnis gab. Der Islam lässt dies aber nicht zu, er sakra­li­siert die ara­bi­sche Sprache und sagt, dass wahre Gebete nur auf Ara­bisch mög­lich sind.  Ja, der Koran ist ins Aser­bai­dscha­ni­sche über­setzt worden, er exis­tiert in 5 oder 6 Über­set­zungen, aber es gibt keinen Got­tes­dienst in dieser Sprache.

 

 

 

[1] «Писатель всегда будет в оппозиции к политике, пока сама политика будет в оппозиции к культуре».

[2] Bakuer Staat­liche Uni­ver­sität für Sla­wi­sche Sprachen

[3] http://www.litkarta.ru/world/azerbaijan/persons/mamedov/

[4] Gem. Дик Бабоян «Путевка в ад» 1973.

[5] Gem.  ist die Volks­front-Partei Aser­bai­dschans, die nach der ersten demo­kra­ti­schen Wahl 1992 in Aser­bai­dschan an die Macht kam und eine aus­ge­prägt natio­na­lis­ti­sche poli­ti­sche Linie festhielt.

[6] Ori­gi­nal­zitat von Klee nicht auf­findbar, aus der Aus­sage von Mamedov übernommen.

[7] Ori­gi­nal­zitat von Man­del’štam nicht auf­findbar, aus der Aus­sage von Mamedov übernommen

[8] Ori­gi­nal­zitat von Rim­baud nicht auf­findbar, aus der Aus­sage von Mamedov übernommen.

[9] Ori­gi­nal­zitat nicht gefunden, von Mamedov übernommen.

[10] Zitat direkt von Mamedov übernommen.