Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Die Viel­heit ist umgezogen

Ein Inter­view mit László Végel

 

László Végel, als Ange­hö­riger der unga­ri­schen Min­der­heit in der Vojvodina/Serbien geboren, lebt zur Zeit als Sti­pen­diat des Künst­ler­pro­gramms des DAAD in Berlin. Die meiste Zeit seines Lebens hat er in Novi Sad ver­bracht, das auch einen zen­tralen Platz in Végels Schreiben ein­nimmt. 1968 debü­tiert er 27-jährig mit dem ersten Band einer spä­teren Novi-Sad-Tri­logie Egy makro emlé­ki­ratai (Ü: Die großen Erin­ne­rungs­schriften), die er in den 80er Jahren mit Àttün­te­tések (1975; Ü: Über­blicke) und Eck­hart gyûrûje (1989; Ü: Eck­harts Ring) kom­plet­tierte. Die kul­tu­relle Viel­falt, die geschicht­li­chen Wech­sel­fälle und die „mosa­ik­ar­tige Ver­fasst­heit“ seiner Heimat prägten László Végels viel­fäl­tiges lite­ra­ri­sches, essay­is­ti­sches, publi­zis­ti­sches und dra­ma­tur­gi­sches Werk. Von ihm sind erschienen: Perem­vi­déki élet (1998; Ü: Leben im Rand­ge­biet), Witt­gen­stein szö­vős­zéke (1992), wei­tere Romane und zahl­reiche Artikel. Er arbeite unter anderem als Redak­teur der unga­ri­schen Zeit­schrift „Uj Sim­po­sion“ sowie der Tages­zei­tung „Magyar Szó“ und als Dra­ma­turg beim Fern­sehen in Novi Sad sowie am Volks­theater von Subo­tica. Nach seiner Ent­las­sung in der Zeit des Milošević-Regimes lei­tete Végel von 1994 bis 2001 das Büro der Soros-Stif­tung in Novi Sad.
Er erhielt zahl­reiche Aus­zeich­nungen, der Roman Exter­ri­tórium (2000) war in Ungarn Buch des Jahres. Seine in der Mut­ter­sprache ver­fassten Romane sind, teil­weise noch vor der unga­ri­schen Ver­öf­fent­li­chung, ins Ser­bi­sche über­setzt worden. Ledig­lich ein kleiner Teil seiner Arbeiten ist bis­lang in deut­scher Sprache erschienen.

 

vegel

novinki: László Végel, Sie haben immer wieder betont, wie viel Sie mit Ihrer Stadt Novi Sad ver­bindet. Gibt es eigent­lich Ähn­lich­keiten zwi­schen Novi Sad und Berlin?

 

László Végel: Das Novi Sad der 60er ähnelt viel­leicht Berlin in der Viel­stim­mig­keit und der baby­lo­ni­schen Struktur beider Städte. Zu Novi Sad muss ich sagen, dass ich alles, was ich habe, der Stadt ver­danke. Ich kenne sie so gut, dass ich mich mit geschlos­senen Augen nicht ver­laufen könnte. Leider ist Novi Sad heute uner­träg­lich pro­vin­ziell geworden. Zudem habe ich in der mora­lisch sehr ambi­va­lenten Situa­tion dort nicht mehr die Kraft mich ent­ge­gen­zu­stemmen. Ein Leben in Novi Sad will ich eigent­lich nicht mehr. Zur Zeit Miloše­vićs und davor war das anders, da war es ein­fach zu wissen, was richtig und was falsch ist: damals war alles schwarz oder weiß. Jetzt aber ist alles grau. Und eben das ist mein Pro­blem damit. Statt­dessen habe ich Berlin lieben gelernt. Die deut­sche Kultur – und darin nimmt die Stadt Berlin einen her­aus­ra­genden Platz ein – ist zur Zeit die ent­wi­ckeltste, die ich kenne. Gerade weil ich in einem so aus­ge­prägt anti­deut­schen Umfeld auf­ge­wachsen bin, bedeutet diese Hoch­schät­zung womög­lich noch mehr. Ich habe bestimmte Vor­stel­lungen erst ablegen müssen, um zu meiner Ein­schät­zung zu kommen. Die deut­sche Kultur braucht die Glo­ba­li­sie­rung nicht zu fürchten. Sie hat einen Grad an Kom­ple­xität erreicht, der sie immun gegen solche Gefahren macht. Die Deut­schen müssen zum Bei­spiel nicht, wie etwa die Fran­zosen, Angst vor Ame­ri­ka­ni­sie­rung haben. Sie haben gelernt, mit sol­chen Ein­flüssen umzu­gehen, sie zu über­setzen und in etwas Eigenes zu inte­grieren. Deutsch­land ist da den anderen weit voraus: London, Paris, die sind doch im Ver­gleich zu Berlin heute lang­weilig. Berlin hat einen wesen­haft peri­pheren Status, es kann alles auf­nehmen, ent­wi­ckelt sich ständig und wächst dabei über sich hinaus.

 

n.: Auch das titois­ti­sche Jugo­sla­wien hielt große Stücke auf die Viel­heit. Sie waren Teil der jugo­sla­wi­schen Vision. Wie denken Sie heute darüber?

 

V.: Ich habe das einige Male scherz­haft auf die Formel: „Das Schlimmste am Tito­ismus war, was hin­terher kam“ gebracht. Damit dürfen Sie mich nicht falsch ver­stehen: Ich bin kein YU-Nost­al­giker. Den­noch war Jugo­sla­wien ein auf­re­gendes, ein wun­der­bares Expe­ri­ment. Ich hatte Freunde von Skopje bis nach Ljubljana. Das hat mir gefallen: Inner­halb von Tagen konnte man ein ganz anderes kul­tu­relles Umfeld haben. Leider erwiesen sich sowohl die Massen als auch ins­be­son­dere die poli­ti­schen und kul­tu­rellen Eliten als nicht aus­ge­reift dafür. Heute höre ich die EU-Dis­kus­sionen mit einem leisen Lächeln an. Alles, was da auf den Tisch kommt, habe ich bereits einmal gehört: näm­lich in Jugo­sla­wien. Den­noch sehne ich mich jetzt nicht mehr zurück. Ich wohnte in Novi Sad in einer Straße, durch die die Panzer nach Vukovar rollten. Die Leute säumten den Weg und warfen den Pan­zern Blumen ent­gegen. Ein Jugo­sla­wien, das auf diese Weise ver­tei­digt werden muss, hat für mich jede mora­li­sche Legi­ti­ma­tion verloren.

 

n.: In den letzten Jahren ist viel die Rede von Mit­tel­eu­ropa, einem neuen, auch gegen die EU gerich­teten Mit­tel­eu­ropa gewesen. Wo sehen Sie Ser­biens Rolle in Europa? Gehört Ser­bien zu Mitteleuropa?

 

V.: Ja, das ist wirk­lich eine Frage. Ser­bien ist ein Grenz­fall und wenn es für diesen Grenz­status ein Bewusst­sein ent­wi­ckelte, wäre es gut für Ser­bien. Man kann zunächst kei­nes­falls über Ser­bien sagen, es gäbe dort keine mit­tel­eu­ro­päi­sche Lite­ratur und keine mit­tel­eu­ro­päi­schen Schrift­steller, auch wenn eine Mehr­heit in Ser­bien dem wider­spräche. Mit­tel­eu­ropa ist in Ser­bien nicht son­der­lich populär. Ser­bien bekäme es aber am Besten, wenn es bewusst die Hybri­dität und Viel­schich­tig­keit seiner Kultur akzep­tierte. Gerade die Voj­vo­dina sollte als mit­tel­eu­ro­päi­sches Milieu erhalten werden. Auch wenn ich sagen muss, dass Ser­bien leider nicht der ein­zige Fall ist, wo das Poten­tial der Viel­heit nicht genutzt wird. In allen soge­nannten und selbst­er­nannten mit­tel­eu­ro­päi­schen Län­dern nimmt seit der Ein­füh­rung des Mehr­par­tei­en­sys­tems und der demo­kra­ti­schen Wahlen der Natio­na­lismus zu, der Natio­na­lismus, der so tut, als gäbe es die Ein­heits­kultur – so jeden­falls ist mein Ein­druck. Das freie Reisen, der Geld­fluss, das sind unbe­stritten gute Dinge. Doch die Kul­turen dort sind gegen­über Europa ver­schlos­sener geworden, als sie es vor dieser Öff­nung waren. Sie fürchten den Ver­lust von Iden­tität und schotten sich ab.

 

n.: Viele der Autoren dieser Regionen, von Tsche­chien, über Polen und Ser­bien bis zur Ukraine, lassen eine Art Sehn­sucht nach der Zeit der Habs­burger Mon­ar­chie in ihren Texten durch­scheinen. Das beginnt viel­leicht mit Kun­dera in den 80ern, aber auch Milo Dor oder heute Andrzej Sta­siuk und Jurij Andruchovyč gehören dazu. Was bedeutet Ihnen als Schrift­steller die öster­reich-unga­ri­sche Traditionslinie?

 

V.: Mir geht es ähn­lich. Öster­reich-Ungarn hat einen deut­li­chen Stempel bei uns hin­ter­lassen. Nachdem die Türken weg waren, wurde durch Maria Teresia meine Hei­mat­re­gion plan­voll und dabei mul­ti­eth­nisch besie­delt. Etwa wurden Deut­sche vom Rhein als Wein­bauern ange­sie­delt, aber auch Hol­länder zum Aufbau der Kana­li­sa­tion, Spa­nier, Juden und eben Ungarn. Das ist unser Habs­burger Erbe in der Vojvodina.
Joseph Roth, Doderer, Musil, ihnen fühle ich mich zuneh­mend näher als der unga­ri­schen Lite­ratur. Bei mir hat das in den 90ern ange­fangen. Die Lite­ratur aus dem Habs­burger Milieu ist bestimmt von einer Aura des Viel­fäl­tigen, aber auch des Ver­lustes der Heimat und des Unter­gangs. Roth hatte nach dem Ver­schwinden des Rei­ches nie wieder eine Heimat. Die Nach­kommen des öster­reich-unga­ri­schen Mon­ar­chie, wie etwa Thomas Bern­hard, waren gänz­lich unzu­frieden mit allem, was ihr folgte. Öster­reich ist nicht ver­gleichbar mit dem, was vorher war. Etwas ähn­li­ches fühle ich bezüg­lich meines Landes. Ich schreibe in unga­ri­scher Sprache und die Sprache ist mir, wie Sándor Márai aber auch Joseph Roth das gesagt haben, die einzig ver­blie­bene Heimat.

 

n.: Ent­gegen dieses Ver­lusts, den Sie bekunden, zen­triert sich etwa Sta­siuk heute erst recht dort, wo er ist. Er sagt, er ziehe einen 200 km Kreis um sich – dort ist er zu Hause.

 

V.: Ach, wissen Sie, ich fange mal so an. Ser­bien ist heute, wie gesagt, lang­weilig. Das gilt aber auch für alle ehe­mals sozia­lis­ti­schen Länder. Sie sind alle pro­vin­ziell und fad geworden. Dort gibt es viele sno­bis­ti­sche Hal­tungen, die gegen den Westen gerichtet sind. Der Westen merkt das aber, weil er recht selbst­ge­fällig ist, nie. Wenn Sta­siuk das mit seinem Kreis fühlt, ist er ein glück­li­cher Mann, ich kann das nicht mehr. Früher nannte ich mich „hei­mat­loser Lokal­pa­triot“, viel­leicht war das etwas Ähn­li­ches. Das hat sich aber geän­dert. Die wesen­hafte Hybri­dität und Viel­heit, darin war ich zu Hause. In meinen Regionen hat es solche Absur­di­täten gegeben, es ist so viel ver­trieben und eth­nisch sor­tiert worden, übri­gens nicht erst jetzt, dass nur ein Gom­bro­wicz dar­über schreiben könnte. Unsere ehe­mals kreo­li­sierten Welten sind heute von den euro­päi­schen Groß­städten über­nommen worden. Die Peri­pherie lebt heute in der west­li­chen Metro­pole und nicht in der öst­li­chen Pro­vinz. Die Viel­heit ist, könnte man sagen, umgezogen.

 

n.: Wie sieht eigent­lich ihr Ver­hältnis zur unga­ri­schen Lite­ratur und zum Lite­ra­tur­be­trieb dort aus? Sie haben zahl­reiche Aus­zeich­nungen erhalten…

 

V.: In den 60 bis 80 Jahren konnten meine Bücher und Zeit­schriften – sie waren ja eine Art Häresie in der Zeit – nicht nach Ungarn rein. Dann nach dem Sys­tem­wechsel ver­schwanden die Vor­be­halte wie die Ber­liner Mauer. Aber die Mauer bleibt, auch wenn sie phy­sisch ver­schwindet. So ist das auch mit der Mauer zwi­schen mir und der unga­ri­schen Lite­ratur. Sie ist noch da.

 

n.: Ihr Erst­lings­roman Memoiren eines Zuhäl­ters sollte in den 60ern ver­filmt werden. Was ist geschehen?

 

V.: Ja. Ich hatte schon einen Ver­trag, ein bekannter unga­ri­scher Regis­seur sollte das machen. Leider fand aus­ge­rechnet zu dieser Zeit die Inva­sion in die Tsche­cho­slo­wakei statt, und weil ich aus Jugo­sla­wien kam, platzte die Sache. Der Roman aber hat mit seiner gänz­lich neuen Sprache und seinem neuen Blick auf die Welt einen großen Ein­fluss auf die junge unga­ri­sche Prosa dieser Zeit gehabt. Ins Ser­bi­sche hat übri­gens Alek­sandar Tišma den Roman über­setzt. Man zählte dort den Roman zum crni val, zur Schwarzen Welle im Umfeld der 68er, und diese Lite­ratur war damals ideo­lo­gisch uner­wünscht. Ganz anders war die lite­ra­ri­sche Situa­tion in Ungarn, dort kam Oppo­si­tion eher aus avant­gar­dis­ti­schen Formen. Und ich stand wie Jesus Christus gekreu­zigt zwi­schen diesen beiden Mög­lich­keiten: meine Sprache und Kultur war unga­risch, meine Lebens­rea­lität und meine Erfah­rungen kamen aus Serbien.

 

n.: Wie war eigent­lich Alek­sandar Tišma?

 

V.: Er hat mich geför­dert und ich schätzte ihn sehr. Was viele nicht wissen: Er war eitel, immer gut ange­zogen und auf sein Aus­sehen bedacht. Noch im hohen Alter beob­ach­tete er im Stra­ßen­café gern die Frauen. Als ich ihn das letzte Mal besuchte, das war wenige Tage vor seinem Tod, schimpfte seine Frau, er habe darauf bestanden, mich beim Besuch nicht im Bett zu emp­fangen. Sie habe ihn daher in einen Anzug ste­cken müssen. So war er bis zuletzt.

 

n.: Sie haben lange Zeit für die Soros-Stif­tung gear­beitet. Er ist, sagen wir mal, eine recht kon­tro­verse Figur…

 

V.: Nun, alles fängt damit an, dass ich 1991 beim ser­bi­schen Fern­sehen ent­lassen wurde. Von einem Tag auf den anderen durfte mich der Por­tier nicht mehr her­ein­lassen. Was für eine Gefahr könnte ich als Dra­ma­turg wohl dar­ge­stellt haben? Ich war für die Qua­lität von Dia­logen zuständig. Das war meine Auf­gabe. Aber gut, ich war also drei Jahre arbeitslos, durfte wie ein Mili­tär­an­ge­hö­riger die Grenze nicht mehr über­queren. Denken Sie nur, was für ein Schwejk: ich als Soldat!

Und dann kam Soros. Man spricht das „Šoroš“, er ist näm­lich Ungar, jüdi­scher Ungar. Ins­be­son­dere die Eng­länder und Ame­ri­kaner mögen ihn nicht. Auch weil er gegen den ame­ri­ka­ni­schen Kon­ser­va­tismus, gegen den Neo­li­be­ra­lismus, gegen Bush ist. Seine Geld­ge­schäfte tragen natür­lich zur zwie­späl­tigen Wahr­neh­mung seiner Person bei, wider­sprüch­li­cher­weise ist er zugleich Sozi­al­de­mo­krat. Das wird ihm als Mangel an Glaub­wür­dig­keit aus­ge­legt. Anders in Mittel- und Ost­eu­ropa. Dort hat er lange Zeit die ganze Oppo­si­tion unter­halten. Viele Zeit­schriften und Zei­tungen in Ser­bien und etwa in Bos­nien hätten ohne ihn gar nicht exis­tieren können. Über­haupt in allen Län­dern der Tran­si­tion hat er eine wich­tige, meines Erach­tens ver­kannte Rolle gespielt. Schwierig wurde es, als Soros nicht mehr die Zivil­ge­sell­schaft, son­dern die neuen Staats­re­gie­rungen unter­stützte. Das heißt aber nicht, dass man die große eman­zi­pa­to­ri­sche Kraft der Stif­tung leugnen sollte.

 

n.: Noch einmal zu den Lite­ra­turen Mit­tel­eu­ropas zurück: es scheint dort eine Ten­denz zum Essay­is­ti­schen beob­achtbar. Auch Ihr Schreiben neigt immer mehr zum Tage­buch und Essay. Womit hat das zu tun?

 

V.: Es ist richtig, dass ich in der Prosa das Essay­is­ti­sche sehr ver­stärkt habe. Nun, warum? Ich ent­stamme einer Gene­ra­tion, deren Welt unter­ge­gangen ist. Ich war immer in der Oppo­si­tion: doch das, wofür ich stand, exis­tierte allem Anschein nach nicht mehr. Irgend­wann habe ich aller­dings bemerkt, dass das Alte nicht ver­schwunden war, son­dern nur das Aus­sehen ver­än­dert hat. Für solche Ein­sichten und ihre Ver­mitt­lung braucht man Formen der Mei­nungs­äu­ße­rung und der Erkennt­nis­fin­dung. Romane kann man schreiben, wenn man einen Kon­text hat, der wirk­lich erscheint. Geht die Wirk­lich­keit ver­loren, gibt es so einen Abgrund zwi­schen Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart, wie wir ihn erlebt haben, geht das nicht mehr. Da muss man Zeit­dia­gnosen im Schreiben durch­führen können. Zur Zeit, muss ich dazu­sagen, schreibe ich wieder einen Roman. Simultan sitze ich dabei an einem Tage­buch, das die Ent­ste­hung dieses Romans reflek­tiert. Das erste Mal in den letzten 15 Jahren bin ich soweit, dass ich wieder einen echten Roman schreiben kann. Davor ging das lange nicht.

 

n.: Werden Sie uns zum Abschluss noch sagen, worum es im neuen Roman geht?

 

V.: Nun, län­gere Zeit war ich da zurück­hal­tend, doch jetzt, da der Roman steht und nur noch über­ar­beitet wird, kann ich wohl erzählen, dass es um Šlemil geht – wohl­ge­merkt nicht den Schle­mihl Cha­missos geschrieben mit S‑C-H. Cha­missos Schle­mihl leidet ja dar­unter, dass er keinen Schatten hat, mein Šlemil leidet dar­unter, dass er meh­rere besitzt. Die Geschichte von Šle­mils Bas­tard ist die: Šle­mils Leben spielt sich in der Voj­vo­dina ab, der Roman endet dann mit seinem Enkel in Berlin. Von Šlemil weiß man nicht, ob er Deut­scher oder Ungar ist. Der Her­zens­wunsch der Figur ist es, seine Tochter als Beamte am Post­schalter zu sehen. Jedoch lassen die Behörden eine Ungarin an wich­tigen Posten nicht zu. Als die unga­ri­schen Sol­daten kommen, freut sich Šlemil und erwartet sie hoff­nungs­froh mit Zigeu­ner­musik. Jedoch auch die meinen, die Ungarn in der Voj­vo­dina müssten erst beweisen, dass sie rich­tige Ungarn sind. In die Post kommt statt Šle­mils Tochter ein Fräu­lein aus Buda­pest. Weil er Radio London hört, sperren sie ihn zuletzt dann noch ein. Das unga­ri­sche Gefängnis lässt ihn zum Sym­pa­thi­santen der ser­bi­schen Kom­mu­nisten werden. Die wie­derum ver­spre­chen dem „Genossen Šlemil“ einen Traktor und den Job für seine Tochter. Als eine Serbin Post­fräu­lein wird, beschwert sich Šlemil bei einem Freund, Stalin habe ihn betrogen und landet wegen „feind­li­cher Pro­pa­ganda“ erneut in Gefan­gen­schaft. Gleich­zeitig erhält er wegen seiner Gefan­gen­schaft durch die Ungarn einen Anti­fa­schismus-Orden. Das also ist die grund­sätz­liche Geschichte: über einen, den nie­mand ein­deutig defi­nieren kann. Ein ser­bi­scher Kom­missar ver­ge­wal­tigt zudem im Roman Šle­mils Tochter, weil er sie für eine Ungarin hält. In Wirk­lich­keit aber ist sie die Tochter einer ser­bi­schen Pro­sti­tu­ierten, für die Šlemil das Kind groß gezogen hat. Aus der Ver­ge­wal­ti­gung geht der Enkel hervor, der dann in Berlin landet. Ja, so ist das…

 

Ser­bi­sche Über­set­zungen (Aus­wahl):

Memoari jednog makroa (Egy makró emlé­ki­ratai). Matica srpska. Novi Sad, 1970.
Dupla eks­po­zi­cija (Áttün­te­tések). Narodna knjiga. Beograd, 1983.
Život na rubu (Perem­vi­déki élet). Pro­me­thej. Novi Sad, 1983.
Odri­canje i opsta­janje (Lemondás és meg­ma­radás). Književna zajed­nica. Novi Sad, 1986, 1987.
Abra­hamov nož (Ábrahám kése). Cekada. Zagreb, 1987.
Pare­neza (Parai­nézis). Filip Višnjić. Beograd, 1987.
Eck­hartov prsten (Eck­hart gyűrűje). Bratstvo-jed­instvo. Novi Sad, 1990.
Witt­gen­steinov razboj. Vreme knjige. Beograd, 1993.
Veliki Srenjo-Istočno-Evropska Gozba stupa u Pikarski Roman, pri­po­vest o pikarskom romanu. Stu­bovi kul­ture. Beograd, 1996.
Bezdomni eseji . SamizdatB92 Beograd. 2002.
Eks­teri­torij (Exter­ri­tórium). Stu­bovi kul­ture. Beograd, 2002.

Ispi­siv­anje vre­mena u med­ju­vre­menu. Hels­inski odbor. Beograd, 2003.

 [aus­führ­liche Biblio­gra­phie in unga­ri­scher Sprache]