Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
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10099 Berlin

Jugend­kino in Cottbus: Sek­tion U18 und jünger

In der Fes­ti­val­sek­tion U18 Wett­be­werb Jugend­film des Film­Fes­tival Cottbus 2018 konnte man einige Jugend­filme aus Polen, Tsche­chien und Deutsch­land sehen. Die Aus­wahl war tat­säch­lich viel­fältig, was sich schon anhand der drei hier bespro­chenen Filme sehen lässt. 

 

Fami­li­en­spiel – Córka tre­nera (Die Tochter des Trai­ners, 2018)

David Foster Wal­lace hielt das Ten­nis­spiel mit­hilfe fil­mi­scher Mittel bekannt­lich für nicht dar­stellbar. Łukasz Grze­gorzek nimmt in Córka tre­nera diese Her­aus­for­de­rung an, aber die wich­tigste Sache in seinem Film ist eine andere: die Riva­lität zwi­schen der jungen Wik­toria und Kornet, ihrem Vater – und Trainer.

Stets sind die beiden unter­wegs, als hätten sie kein Zuhause: Sie reisen von einem Ten­nis­tur­nier zum anderen, damit Wik­toria ihr Ziel errei­chen kann, näm­lich an den renom­mier­testen Tur­nieren teil­zu­nehmen. Dass das ihr Ziel ist, denkt man zunächst, doch bald wird klar, dass der Motor des per­ma­nenten Rei­sens allein der Ehr­geiz des Vaters ist.

Obwohl der Film Die Tochter des Trai­ners heißt, ist der Trainer selbst die Haupt­figur: Seine Moti­va­tionen, seine Zwie­ge­spal­ten­heit bilden die Hand­lung des Films. Denn der Weg von kleinen Tur­nieren im Osten Polens bis zum Wett­be­werb in der Haupt­stadt, den die beiden zurück­legen, ist nicht die Chronik von Wik­to­rias Befreiung aus der völ­ligen Inter­na­li­sie­rung der väter­li­chen Träume. Viel­mehr wird dem Vater immer klarer, dass er langsam aber sicher die Kon­trolle über seine Tochter (die er manchmal „Sohn“ nennt) ver­liert. Wik­to­rias Ent­wick­lung voll­zieht sich eher am Rande der Erzäh­lung, des­halb kann ihre finale Ent­schei­dung die Zuschauer_innen über­ra­schen. Kor­nets Ver­halten hin­gegen wird auf der Lein­wand skru­pulös dar­ge­stellt: über­ra­schende Wenden sind hier nicht vorgesehen.

Fil­misch ist Die Tochter des Trai­ners ein wür­diger Preis­träger: mit natür­li­chen Dia­logen, wohl durch­dachter Dra­ma­turgie und Schauspieler_innen, die durchaus glaub­haft sind in der Dar­stel­lung kom­plexer Held_innen und ihrer kom­pli­zierten (oft unge­sund schei­nenden) Bezie­hungen. Grze­gorzek kann – womit er das Match gegen David Foster Wal­lace gewonnen hätte – übri­gens auch Ten­nis­spiele auf die Lein­wand zau­bern, wobei er sich für eine starke Ästhe­ti­sie­rung anhand von slow-motion Technik und klas­si­scher Musik ent­scheidet. Tat­säch­lich war Tennis im Kino noch nie so geschmackvoll.

 

vechno

Auf der Flucht – Všechno bude (Win­ter­fliegen, 2018)

Auf einer Reise ganz anderer Natur befinden sich die beiden Min­der­jäh­rigen in Win­ter­fliegenvon Olmo Omerzu, die mit einem (ver­mut­lich gestoh­lenen) Auto Tsche­chien durch­queren. Heduš (12) träumt vom Ein­tritt in die fran­zö­si­sche Frem­den­le­gion, Mára (14) möchte end­lich seinen Groß­vater treffen: die ein­zige Person auf Gottes Erden, die ihm etwas bedeutet. Schon in dieser Kurz­fas­sung zeigen sich Ähn­lich­keiten zu Tschick von Wolf­gang Herrn­dorf (2016 von Fatih Akin ver­filmt). Die Ver­mu­tung liegt nahe, dass der Regis­seur Olmo Omerzu sich vom deut­schen Best­seller stark inspi­rieren ließ. Die tsche­chi­sche Vari­ante lässt sich den­noch als reiz­voll beschreiben, was vor allem mit der Leich­tig­keit und Sorg­lo­sig­keit der Dar­stel­lung ver­bunden ist.

Der Reiz von Win­ter­fliegen basiert näm­lich beträcht­lich auf sym­pa­thi­schen, wenn­gleich etwas unge­schlif­fenen Figuren. Heduš gibt den jungen Komiker, der nur davon träumt, mit allen Frauen dieser Welt schlafen zu können. Aber auch Mára ist dem Geschlech­ter­ge­plänkel nicht abge­neigt… Beim Verhör auf der Poli­zei­sta­tion, das Omerzu in nicht-chro­no­lo­gi­scher Weise par­allel zur Reise erzählt, treibt Mára ein intel­li­gentes Spiel mit der Poli­zistin, die sein Ver­trauen erfolglos zu gewinnen ver­sucht. Und dieses Spiel ist gar nicht so unschuldig: Immerhin führt ein junger Mann eine Frau mitt­leren Alters in die Irre, betrachtet sie als rein ero­ti­sches Objekt und demons­triert dabei nicht zuletzt seine Respekt­lo­sig­keit gegen­über den Autoritäten.

Mit Win­ter­fliegen kehrt Omerzu zurück zu Themen, die schon in seinem Debüt­film Príliš mladá noc (A Night Too Young, 2012) eine wich­tige Rolle spielten. Auch da erlebten junge Helden die Kon­fron­ta­tion mit Erwach­senen, auch hier hatte die Begeg­nung eine sexu­elle Dimen­sion. Wo einst jedoch die jugend­li­chen Figuren durch eine eher pas­sive Hal­tung gekenn­zeichnet waren, macht der neue Film dyna­mi­sche und aktive Helden zum Zen­trum der Hand­lung. Win­ter­fliegen ist inso­fern auch hei­terer als sein Vor­gänger, weil die soziale Pro­ble­matik hier als Komödie getarnt ist. Doch was auf den ersten Blick als typi­sche coming-of-age Komödie erscheint, ist bei näherer Betrach­tung viel mehr.

 

Grau­en­haftes Jugend­lager – Czuwaj (Sei wachsam, 2017)

Zu Robert Glińskis Film Sei wachsam hin­gegen passt das Wort „heiter“so gar nicht. Von den drei hier bespro­chenen Filmen muss dieser als letzt­lich geschei­tert betrachtet werden, was vor allem am wenig durch­dachten Dreh­buch liegt, in dem zu viele Themen ange­schnitten wurden: die Pfad­fin­der­be­we­gung, eine schwie­rige Jugend im Kin­der­heim, diverse Morde, einige ukrai­ni­sche Pro­sti­tu­ierte, wei­tere Sexu­alin­itia­tionen, der War­schauer Auf­stand, gefähr­liche Wil­derer und ihr Gefäng­nis­slang… Das alles führt aber leider nicht zu einer kohä­renten Erzählung.

 

czuwaj

 

Das Jugend­lager wird für viele Teilnehmer_innen zum Alb­traum, als sich ihnen eine Gruppe von soge­nannten Pro­blem­ju­gend­li­chen anschließt. Jacek, der Lager­leiter, ist selbst noch jung und uner­fahren, aber muss sich schon um die anderen küm­mern. Bald ver­liert er die Kon­trolle und als einer der Pfad­finder stirbt, ver­sucht Jacek den Täter zu finden, oder viel­mehr ver­sucht er, auf­grund eigener Vor­ur­teile die Tat einem Fremden anzuhängen.

Im Pro­gramm des Fes­ti­vals wurde der Film als „Meta­pher auf die pol­ni­sche Regie­rung“ prä­sen­tiert. Dies scheint aber eine gewagte Fest­stel­lung zu sein (auch wenn es ganz inter­es­sant zu sehen ist, wie man pol­ni­sche Filme in Deutsch­land rezi­piert): Denn wenn der Film über­haupt Kritik übt, dann wohl nur an der Insti­tu­tion der pol­ni­schen Pfadfinder_innenbewegung, die im öffent­li­chen Dis­kurs in Polen seit län­gerem kri­tisch dis­ku­tiert wird. Es ist ein offenes Geheimnis, dass diese Bewe­gung die Jugend nicht nur katho­lisch und patrio­tisch (oder sogar natio­na­lis­tisch) prägt, son­dern auch Fehl­ver­halten der Jugend­li­chen ver­heim­licht. Die Pfadfinder_innen werden außerdem nach einer ein­fa­chen Welt­vor­stel­lung erzogen, in der es nur schwarz und weiß gibt.

Genau das zeigt Gliński deut­lich, wenn er anfangs tat­säch­lich Kritik an der ideo­lo­gi­schen Ein­stel­lung der Orga­ni­sa­tion übt. Bedau­er­li­cher­weise gibt er die Trope des Sozi­al­dramas aber später auf und wendet sich einem wenig über­zeu­genden und unglaub­haften Thriller zu, dem eine Viel­zahl von Figuren und Motiven ange­schlossen wird, um am Ende einen scha­blo­nen­haften plot-twist zu prä­sen­tieren. Auf diese Weise bringt sich der Film, der sich anfangs so gut ange­lassen hat, wegen seines chao­ti­schen Dreh­buchs am Ende selbst um. Der Ver­such, den pol­ni­schen Lord of the Flies zu drehen, wirkt unbe­ab­sich­tigt komisch.

 

Resümee – Über die Jugend für die Jugend?

Bleibt noch die Frage, für wen die Sek­tion U18 eigent­lich gedacht ist. Klar, alle diese Filme beschäf­tigen sich mit jungen Held_innen, aber ist das junge Publikum dabei tat­säch­lich als pri­märe Ziel­gruppe gedacht? Das ist zu bezwei­feln. Nur Win­ter­fliegen scheint, trotz seiner ordi­nären Obs­zö­ni­täten, dafür zu taugen. Die beiden pol­ni­schen Filme jedoch stellen Fragen, die Jugend­liche ver­mut­lich nicht so rele­vant finden. In Grze­gor­zeks Tochter des Trai­ners steht die Vater­figur mit ihren Pro­blemen im Mit­tel­punkt der Hand­lung und Sei wachsam fragt nach dem Stel­len­wert von Natio­na­lismus in der staat­lich aner­kannten Erzie­hung. Das alles scheint aller­dings nicht an der Aus­wahl zu liegen: Auch wenn man sich die Pro­gramme der jugend­ori­en­tierten Fes­ti­vals in Mittel- und Ost­eu­ropa anschaut (bei­spiels­weise „Ale Kino!“ oder Zlín Film Fes­tival, aber auch die Jugend­sek­tion auf der Ber­li­nale „Gene­ra­tion“), fällt schnell auf, dass da die Filme aus Ost­eu­ropa häufig fehlen. Deutet es dar­aufhin, dass das ost­eu­ro­päi­sche Kino arm an klugen und wirk­lich rele­vanten Jugend­pro­duk­tionen ist? Das ist kaum anzunehmen.

 

Gliński, Robert: Czuwaj (Sei wachsam). Polen, 2017, 90 Min.
Grze­gorzek, Łukasz: Córka tre­nera (Tochter des Trai­ners). Polen, 2018, 93 Min.
Omerzu, Olmo: Všechno bude (Win­ter­fliegen). Tsche­chien, Slo­we­nien, Polen, Slo­wakei, Frank­reich, 2018, 85 Min.

 

Wei­ter­füh­rende Literatur

Czuwaj auf dem Film­Fes­tival Cottbus
Córka tre­nera auf dem Film­Fes­tival Cottbus 
Všechno bude auf dem Film­Fes­tival Cottbus