Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Kriegs­be­richt­erstat­tung zwi­schen Tat­sa­chen, Hypo­thesen und Anteil­nahme: der ani­mierte Doku­men­tar­film „Chris the Swiss“

“Chris the Swiss” ist ein teil­ani­mierter Doku­men­tar­film, der Rea­lität mit Unge­wiss­heit und Nicht­wissen ver­bindet. Ein Schweizer Jour­na­list tauscht auf seiner Reise durch das Kriegs­ge­biet Ex-Jugo­sla­wiens bzw. des heu­tigen Kroa­tiens die Kamera gegen die Waffe aus. Obwohl er mit dem Krieg nicht kon­form geht, schließt er sich einer inter­na­tio­nalen Miliz an. Sein eigent­li­ches Ziel, über den Krieg zu berichten, gibt er auf. Mit dieser Ent­schei­dung wird sein spä­terer Tod besie­gelt. Kolleg_innen und Ver­wandten stellt sich jedoch die Frage, warum er das getan hat. Die Cou­sine des Prot­ago­nisten, Anja Kofmel, begibt sich auf die Suche nach seiner wahren Geschichte. Die Kom­bi­na­tion aus Doku­men­tar­film und Ani­ma­tion lässt am Foo­tage-Mate­rial zwei­feln und zugleich den Zeich­nungen mehr Glauben schenken.

 

Das Aus­gangs­sujet des Doku­men­tar­films Chris the Swiss bildet die Geschichte Chris­tian Wür­ten­bergs, der 1991 nach Kroa­tien in den Krieg geht, um als Jour­na­list dar­über zu berichten. In seinen Auf­zeich­nungen beschreibt er sowohl die Seite der Zivilisten_innen als auch jene der rechts­extremen Miliz in Kroa­tien wäh­rend der Jugo­sla­wi­en­kriege. Er begegnet dem Tod und hat äußer­lich wie inner­lich damit zu kämpfen. Wür­ten­berg ist nicht der ein­zige Jour­na­list, der mit seiner Rolle als reiner Beob­achter kaum noch umgehen kann. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Jugo­sla­wi­en­kriege eine hohe Anzahl an zivilen Opfern for­derten. Warum er sich einer rechts­extremen Söld­ner­gruppe anschließt, die für das katho­li­sche Kroa­tien und gegen Ser­bien kämpft, bleibt unklar. Ein im Grunde fried­voller Mensch aus der Schweiz wendet sich von der Beob­ach­tung ab und begibt sich aktiv in Kriegs­hand­lungen und nimmt so an den furcht­baren Gescheh­nissen auf dem Balkan teil. Doch wieso tut er das? Wel­chen Zweck ver­folgt er damit? Ist es seine Art der Recherche? Hofft er auf noch authen­ti­schere Ein­blicke, um Situa­tion und Hin­ter­gründe besser beschreiben zu können? Oder kann er nicht tatenlos zusehen? Diese Fragen bleiben unbe­ant­wortet – Fakt ist einzig, dass es ihm mit seiner Ent­schei­dung, die pas­sive Beob­ach­ter­rolle auf­zu­geben, nicht gut geht.

 

Das wissen wir dank den pri­vaten Tage­bü­chern des Prot­ago­nisten, die der Fil­me­ma­cherin zur Ver­fü­gung standen. Chris erkennt kei­nerlei Sinn­haf­tig­keit hinter dem bewaff­neten Kon­flikt. Er stellt die Hand­lungen seiner Truppe und des Anfüh­rers in Frage und begibt sich damit selbst in Gefahr, denn der Zusam­men­halt inner­halb der Truppe ist wichtig, ja lebens­not­wendig. Immer wieder wird er mit dem Tod, mit zivilen Todes­op­fern kon­fron­tiert. Jemand, der nicht kämpfen muss, sollte doch längst das Kriegs­ge­biet ver­lassen haben und zurück­gehen, würden Außen­ste­hende sagen. Zurück in ein Land ohne Krieg und ohne Leid. Doch Chris kämpft weiter und wird selbst zum Opfer: Die Spu­ren­suche der Fil­me­ma­cherin Anja Kofmel zeigt, dass ihr Cousin inner­halb der Miliz ver­däch­tigt wurde, als Spion tätig zu sein, und des­halb ermordet wurde.

 

Chris­tians Geschichte beschäf­tigt die Regis­seurin seit Jahr­zehnten. Sie ver­sucht nach­zu­voll­ziehen, was seine Beweg­gründe für den Ein­tritt in die Truppe waren, begibt sich auf den Weg, um mehr über ihren Cousin, seine Ent­schei­dungen und die Jugo­sla­wi­en­kriege zu erfahren. His­to­ri­sches Hin­ter­grund­wissen wird dabei kaum geboten, der Kon­text nur grob zu Film­be­ginn umrissen. Im Vor­der­grund steht die Geschichte des ver­stor­benen Protagonisten.

 

In den Szenen werden Film­ma­te­rial, wel­ches die Reise der Regis­seurin doku­men­tiert, und Ani­ma­tionen zusam­men­ge­setzt. Bei den schwarz-weißen Zeich­nungen han­delt es sich um detail­lierte Blei­stift­zeich­nungen, welche Innen­an­sichten aus Chris­tians Tage­buch, seine Gedanken und Gefühle zeigen sollen. Die Auf­zeich­nungen sind sehr lücken­haft und lassen viel Raum für Deu­tung. Zum Teil wird dieser Raum mit den rekon­stru­ierten Infor­ma­tionen der Fil­me­ma­cherin geschlossen, zum Teil offen­ge­lassen. Eine prä­gnante, ani­mierte Szene stellt hierbei der Tod eines kleinen fuß­ball­spie­lenden Jungen durch eine Explo­sion dar. Auch dies ist ein Ereignis, das Kofmel aus den Tage­bü­chern des Prot­ago­nisten ent­nommen hat. Anschlie­ßend sieht man, dass auch Chris durch die Explo­sion zurück­ge­schleu­dert wird und seine Hand mit Blut bedeckt ist. Ist er selbst viel­leicht der Mörder des Jungen? Das Blut scheint darauf hin­zu­deuten, doch zugleich macht die freund­liche Begeg­nung mit dem Jungen unmit­telbar vor der Explo­sion dies schwer vor­stellbar. Auch wird nie direkt gezeigt, wie Men­schen sterben, der Tod wird viel­mehr stets auf abs­trakte Weise, wie zum Bei­spiel durch einen schwarzen Schatten, der sich über Figuren legt, dar­ge­stellt. Sol­cher Mittel eines indi­rekten Zei­gens bedient sich der Film häu­figer. Der Film lässt genau jene Fragen offen, welche die Ange­hö­rigen zur Ermor­dung und Geschichte des Prot­ago­nisten selbst haben, obwohl das Rätsel um seinen Tod auf­ge­klärt werden konnte. Doch es ist der Detail­grad der Zeich­nungen, der die Kom­ple­xität der Gescheh­nisse dar­stellt und den Ein­druck der Sim­pli­zität der Mate­ri­al­samm­lung auf Doku­men­tar­film-Ebene erlö­schen lässt.

 

Die Kom­bi­na­tion aus doku­men­ta­ri­schen Ver­fahren und Ani­ma­tionen spie­gelt die Ver­bin­dung von Rea­lität und Ver­mu­tungen, sie lässt schein­bare Fakten irreal wirken und stellt Hypo­thesen in den Vor­der­grund. Zugleich führt die Ver­wen­dung der Zeich­nungen dazu, dass man sich als Zuschauer von den Gescheh­nissen im Film in gewisser Weise distan­zieren kann, da sie das Gezeigte, ähn­lich wie in Comics, fiktiv erscheinen lassen. Durch die Ver­wen­dung unter­schied­li­cher fil­mi­scher Methoden, der Doku­men­ta­tion zum einen und der Ani­ma­tion zum anderen, wird eine Ver­mi­schung von jener sub­jek­tiven Rea­lität, die in seinen Tage­bü­chern geschil­dert wird, und den Hypo­thesen über die Gescheh­nisse in seinem Leben, erzielt. Diese Ver­mi­schung for­dert die Zuschauer_innen heraus, sich eine eigene Mei­nung zu bilden. Es scheint fast so, als wolle der Film durch Ver­un­si­che­rungs­stra­te­gien mehr zum Nach­denken anregen, als die Zuschauer auf­zu­klären. Die Art der fil­mi­schen Ästhetik reprä­sen­tiert das Rätsel um das Leben und die Moti­va­tionen von Chris. Die Frage, was einen Men­schen dazu bringt, frei­willig in den Krieg zu gehen, beant­wortet der Film Chris the Swiss aller­dings nicht.