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Hakenkreuz, Kreuz und Stern?

Posted on 10. Januar 2007 by Matthias Meindl
Michail Ryklin – der Moskauer Philosoph, hierzulande bekannt vor allem als Moskauer Dialogpartner der französischen Dekonstruktion sowie durch seine Essaysammlungen zu Nationalsozialismus und Stalinismus, hat im Suhrkamp-Verlag ein Buch veröffentlicht, das er zu schreiben nicht vorhatte, dessen Niederschrift sich spontan entwickelte als Chronik traumatischer Ereignisse.

Michail Ryklin – der Moskauer Philosoph, hierzulande bekannt vor allem als Moskauer Dialogpartner der französischen Dekonstruktion sowie durch seine Essaysammlungen zu Nationalsozialismus und Stalinismus Räume des Jubels (Prostranstva likovanija) und Terrorlogiki, hat im Suhrkamp-Verlag ein Buch veröffentlicht, das er zu schreiben nicht vorhatte, dessen Niederschrift sich spontan entwickelte als Chronik traumatischer Ereignisse.

Mit dem Recht des Stärkeren. Russische Kultur in Zeiten der gelenkten Demokratie handelt von der Verwüstung der Ausstellung „Achtung, Religion!“ (Ostorožno, religija!) im Sacharow-Zentrum Januar 2003 durch fundamentalistisch orthodoxe Vandalen und dem langen juristischen Nachspiel, in dessen Verlauf nicht etwa die Vandalen, sondern der Direktor des Sacharow-Zentrums, Jurij Samodurov, und seine Kuratorin Ljudmila Vasilovskaja für das ‚Schüren nationalen und religiösen Zwists’ verurteilt wurden. Die Verteidigung hat beim Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte inzwischen Berufung eingelegt. Ryklins Frau, die Künstlerin Anna Alčuk saß – sozusagen stellvertretend für die anderen an der Ausstellung beteiligten Künstler – mit auf der Anklagebank, wurde jedoch schließlich freigesprochen.

Der Essay gliedert sich in drei Abschnitte: die Einleitung Eine unverlangte Erzählung, dem mit Dokumenten unterfütterten Prozessbericht Schall und Wahn und dem kommentierenden Teil Das Recht zu hassen. Eine unverlangte Erzählung widmet sich sehr persönlich dem eigenen emotionalen Erleben der Geschehnisse und den einsetzenden psychischen Mechanismen: von der anfänglichen Überraschung, dem Unglauben angesichts der Anklage der Geschädigten des vandalistischen Akts über die gleichgültigen, abwiegelnden Reaktionen im Bekanntenkreis bis hin zu den Verdächtigungen, es müsse doch etwas an den Vorwürfen dran sein, wenn die ‚dumme Geschichte’ nun schon so lange dauere. Hier schon zeichnet sich die performative Wirkung von Schauprozessen ab, die Ryklin im Laufe des Buches herausarbeitet und die er mit dem Goebbels-Aphorismus, nach dem eine Lüge nur ungeheuerlich genug sein müsse, damit man sie glaube, pointiert anzugeben vermag. Der Kreis der Gleichgültigkeit um die Beschuldigten heute ist nicht dasselbe wie jene aggressive Leere, welche sich um die Opfer des stalinistischen Terrors bildete – er ähnelt ihr aber doch. Überhaupt hat manches eine Vorgeschichte: Gut zwanzig Jahre zuvor erlebte Ryklin vor selbigem Taganer Gericht die Verurteilung seiner Schwiegermutter – und nun wieder das Gefühl, dass die Schuld schon von Beginn an feststeht, dass die eigenen Anstrengungen im ‚Verfahren der Wahrheitsfindung’ vergebliche Mühe sind. Ryklin zeigt sich enttäuscht von der mangelnden Solidarität in Kunstkreisen und fragt sich, welche Gründe dieser Mangel heute hat. Seine Diagnose: eine zunehmende Atomisierung ihrer Mitglieder, ihr Aufgehen im alltäglichen Existenzkampf einer rauer gewordenen Wirklichkeit, die Unmöglichkeit, den irgendwie doch gesicherten Undergroundstatus ‚spätsowjetischer’ Zeiten im marktwirtschaftlichen Milieu aufrecht zu erhalten.

Teil I Schall und Wahn unterfüttert das persönliche Erleben des Prozesses mit den Prozessakten und Dokumenten der öffentlichen Reaktion auf diesen. Die Kunstwerke werden charakterisiert. Einige von den zehn Arbeiten, die im Urteil als ‚lästerlich’ und ‚nationalen und religiösen Zwist schürend’ eingestuft wurden, sind fotographisch dokumentiert. Etwa Aleksandr Kosolapovs „This is my blood“. Die eine Reklametafel imitierende Arbeit zeigt im linken Drittel des Bildes ein aus Marien- und Erlöserbildnis montiertes Gesicht und rechts davon den Schriftzug „Coca-Cola. This is my blood“. Wie viele der Exponate lässt sich das Bild schlüssiger als Kritik an Massenkultur deuten. Diese Deutungsmöglichkeit wird im Gutachten von der Mitarbeiterin am „Institut für Allgemeine Geschichte“ an der Akademie der Wissenschaften (Institut Vseobščej Istorii RAN) Natalija T. Ėneeva auch erwogen; doch alleine die Verwendung einer Formel der Eucharistie in dem säkularen Kunstkontext scheint für den Tatbestand der Blasphemie auszureichen. Diese Experten-Gutachten, deren Verfasser teilweise ihre Ferne, bzw. offene Ablehnung von zeitgenössischer Kunst unumwunden zugeben, zitiert Ryklin ausgiebig. Alle Gutachter besetzen Stellen, entweder im Museumsbetrieb (Tretjakov-Galerie) oder an der Russischen Akademie der Wissenschaften, an welcher Ryklin selbst beschäftigt ist. Wäre dem nicht so, hätte man es vielmehr mit fiktiven Gutachten innerhalb eines Romans Sorokins zu tun, man könnte sich köstlich amüsieren. So etwa wenn in der Expertise der Leiterin des „Instituts für sozialökonomische Probleme der Bevölkerung“ (Institut Social’no-Ėkonomičeskich Problem Narodonaselenija RAN) Natalija E. Markova die zu Stalins Zeiten überbeanspruchte Theorie des ‚bedingten Reflexes’ (Pavlov, Bechterev) im Gutachten auf Fotografien Oleg Kuliks anwendet. In Bezug auf diese Fotos, auf denen menschlich-tierischer Geschlechtsverkehr angedeutet wird, heißt es: „Der bedingte Reflex, ausgelöst durch ein Bild, auf welchem die Akte von Menschen und Tieren vereinigt sind, mag einen Menschen auf ewig in einen Zoophilen zu verwandeln.“ Zum Glück sind die Gutachter gegen solche Konditionierung mit formaler Schule und Ikonologie a la Warburg und Panofsky gewappnet. Klar: da das Volk – oder besser: die Bevölkerung – nicht über diese verfügt, vermag sie sich denn auch nur mit ‚gesunden’ psychischen Reizreaktionen zu schützen – in Akten des Vandalismus eben.

Nun leugnet Ryklin nicht, dass Kunst verletzen könne, der Gläubigen Sucht jedoch, sich verletzen zu lassen – zudem von Kunstwerken, die man zumeist nur vom Hörensagen kennt –, zeugt für ihn von einer ‚mittelalterlichen’ Logik, in welcher es keinen Kunstraum mit einer auch nur eingeschränkten Autonomie geben kann. Die Kirche will demnach ihre Deutungshoheit über die religiösen Zeichen und deren Ordnung verteidigen bzw. festigen: es darf keine anderen Spielregeln der Interpretation geben. Der Kunstraum ist dann immer schon identisch mit dem Kirchenraum, die Ausstellung konkurriert mit dem Gottesdienst. Nur in dieser Logik werden die absurden Vorwürfe des Satanismus, des Schamanismus gegen die Künstler verständlich.

Ryklin lehnt in diesem Zusammenhang auch jene Hinweise auf die vermeintlich ‚geringe Qualität der Ausstellung’ ab, mit denen einige Künstler und Kritiker sich des Protests enthielten oder gar sich von ihr distanzierten. Dies, so die Argumentation von Ryklin, sehe davon ab, dass weder die Fundamentalisten noch die Gerichte sich für diese Frage nach dem künstlerischen Wert ernsthaft interessierten; wenn, dann müssten sie diese Frage in der Sprache der Kunstkritik adressieren, wie sie eben im Kunstraum angesiedelt ist. Auch kann er in den Zerstörungen der Kunstwerke keinen ‚Konzeptualismus’ erkennen: Dieser mag – wie es etwa Oleg Kulik mit seinen aggressiven, gewalttätigen Aktionen vorgeführt hat – mit terroristischen Strategien den Kunstraum transgredieren, der Vandalismus aber intendiert eine einfache terroristische Aufhebung dieser Grenzen von Außen.

Teil II, Das Recht zu hassen widmet sich den Strukturen von Politik und Öffentlichkeit in Russland, wie sie der Prozess zu Tage fördern konnte. Ryklin untersucht die ideologische Neuerfindung Russlands als orthodoxe Nation, wobei er an einer Dosierung des Einflusses der Russisch-Orthodoxen Kirche durch die Exekutive nicht zweifelt (der ROK, es gibt in Russland mehrere Orthodoxe Kirchen ohne größere Machtambitionen). Ryklin nimmt auch an, dass das letztlich ergangene Urteil – nur Geldstrafen, jedoch eine sprachlich bedrohliche Urteilsbegründung – „von ganz oben“ heruntergereicht wurde. Die Gefahr, die Ryklin in diesem ideologischen Reizen der Instinkte der Massen sieht, kann nicht darin begrenzt werden, dass die Exekutive bei Bedarf ihren Repressionsapparat sporadisch gegen Neofaschisten richtet. Es ist die Zerstörung der politischen Öffentlichkeit selbst, die den Weg bereiten könnte für eine spezifisch russische Variante des Faschismus.

Wie immer man zu solchen Befürchtungen Ryklins stehen mag, die Charakterisierung der Pogromstimmung unter den fundamentalistischen Belagerern des Taganer Gerichtssaals gehört zum Bedrückendsten des Essays. Irritiert von einem gegen die Angeklagten gerichteten Aufschrei einer jungen, religiösen „Hysterikerin“, man hätte doch nur den Zaren nicht ermorden dürfen, wagt sich Ryklin in die Untiefen religiösen Schrifttums in Russland. Er zitiert den Oberpriester Šargunov, der die Kontinuität der jüdischen Feindschaft gegen das Kreuz Christi vom Mord an Christus bis zum Mord am Zaren durch die Bolševiki behauptet. Mit ihrer ‚tatsächlichen’, nicht nur symbolischen Kreuzigung Christi hatten die Künstler auch diese Schuld übernommen. Der Aufschrei war kein Einzelfall -- die Gruppen der betenden, singenden und schimpfenden Gläubigen bildeten wie der Chor in der griechischen Tragödie einen unabdingbaren Teil der Inszenierung. Die Gläubigen standen vor dem Gerichtsgebäude, sangen auf seinen Fluren und beteten in seinen Treppenhäusern. Sie versuchten das Gericht in ein Gotteshaus zu verwandeln und mit ihrer Präsenz die ‚Gottlosen’ einzuschüchtern.

Die ‚Logik’ der religiös antisemitischen Anfeindungen („ihr Juden“, „Judenfressen“) wurde im Zeugenstand weiter entwickelt. Dort wurde argumentiert, die Künstler – nur wenige unter ihnen waren ‚tatsächlich’ Juden – hätten mit der Ausstellung den Antisemitismus geschürt. Angesichts des Aufgreifens dieses nationalsozialistischen Klischees des jüdischen agent provocateur, welcher an dem ‚Niedergang’ seines eigenen Volks arbeitet, mag man verstehen, dass Ryklin in diesem Buch so oft – wie einst Hannah Arendt im Hinblick auf den Totalitarismus – den gesunden Menschenverstand anruft, mit dem in Berührung kommend, solche Lügengebäude augenblicklich in sich zusammenfallen. Den Versuch, dem gesunden Menschenverstand ein totalitäres Denken entgegenzustellen, hatte Ryklin in Räume des Jubels in dekonstruktiver Manier stark in Frage gestellt: Zu viele Differenzen würden damit getilgt. Auch in Mit dem Rechts des Stärkeren hält er an der Kritik des Begriffes fest: ‚Totalitarismus’ sei eben nicht mehr als ein Wort, das in die Umgangssprache aufgenommen, einige Ähnlichkeiten zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus benennt; er kann jedoch kein ausgebildetes wissenschaftliches Paradigma darstellen. Ryklins „Bilanz“ aber – seine Befürchtungen eines Faschismus, weil dieser die einzige Staatsform sei, die in Russland noch nicht korrumpiert worden sei – erinnert, indem sie sich vom dokumentarischen Material löst, stark an jenes düstere, weitschweifige Philosophieren, dessen sich die Philosophin zuweilen befleißigte. Man kann sich daran erinnern, dass einst auch Hannah Arendt angesichts der antidemokratischen Exzesse der McCarty-Ära in Amerika einen neuen Faschismus heraufkommen sah.
Diese Unbestimmtheit blieb auch in der Diskussion nach einer Vorstellung des Buches in Anwesenheit des Autors und seiner Frau in der Berliner IFA-Galerie am 23. November bestehen. Als eine Fragestellerin das Wort totalitär verwendete, um ihrer Betroffenheit Ausdruck zu geben, winkte Ryklin ab – der Zustand Russlands erinnere allenfalls an die Weimarer Republik.

Eine Arbeit, welche auf der Ausstellung „Achtung, Religion!“ zu sehen war – Aleksandr Dorochovs „Am Anfang war das Wort“ – stellt in der Form eines Tryptichons Kreuz, Sowjetstern und Hakenkreuz nebeneinander, an die jeweils ein expressiver, an Matisse’ Gemälde Der Tanz erinnernder, menschlicher Körper gekreuzigt ist (nach dem Vandalismus wiederum überlagert von den Worten mraz’ vy besy – Dreckskerl ihr Teufel). Hinterlegt sind die Kreuze mit Textmaterial aus der Bibel, dem Kommunistischen Manifest und Mein Kampf. Das Gutachten stört sich an der durch die formalen Mittel suggerierten, empörende Gleichsetzung christlicher Symbole und biblischer Worte mit denen menschenverachtender Ideologien. Ist aber eine solche Gleichsetzung intendiert? Wenn ja, so meine ich, könnte man auch die Gleichsetzung des Kommunistischen Manifests und Mein Kampf beanstanden (in einer Kritik und nicht in einem Prozess). Vielleicht will das Objekt aber vielmehr mit formalen Mitteln Gleichsetzungen vorführen, die schnell dahingesagt sind. Hakenkreuz, viel mehr aber noch Sowjetstern sind die Symbole zweier Projekte der Moderne mit dem Anspruch umfassender Neuschaffung der conditio humana – und zweier Verbrechen riesigen Ausmaßes, jedoch verschiedenen Charakters. Und wie steht es mit dem Kreuz? Kann es als grundlegendes Symbol für den abendländisch-christlichen Kulturkreis in ähnlicher Weise als ideologisches Zeichen fungieren? Leuchtet die Verbindung von Kreuz und Faschismus ein? Vielleicht sollte man das Kreuz als Zeichen der Institution der ROK eher als Element der Neuerfindung Russlands als einer der zukünftigen ‚imperialen’ Großmächte deuten? – Sie singt „das alte Entsagungslied. Das Eiapopeia vom Himmel“ (Heine) für die vielen Verlierer der ‚Transformationsphase’ und grenzt das kulturell Fremde und teils tatsächlich Feindselige, Bedrohliche aus, was Russland sich in seiner langen Imperialgeschichte unter Zar und Stalin herangezüchtet hat. Viele Fragen stellen sich – deutet sich in der direkten Instrumentalisierung der Kirche als ideologischem Zensurapparat ein neuerlicher russischer Sonderweg an, welcher mit der Inanspruchnahme ‚christlicher Werte’ durch Konservative in Europa und Amerika nicht vergleichbar ist? Ist die Gegenüberstellung der Religion mit den modernen Ideologien, wenn kein Holz-, so zumindest ein Umweg?

Unbeantwortet bleibt im Buch jedenfalls, und blieb es auch in der IFA-Galerie, was man denn eigentlich mit der Ausstellung erreichen wollte. Auf die Frage hin, für wen denn die Ausstellung gedacht gewesen wäre, antwortete Ryklin, dass eine solche Ausstellung normalerweise von ein Paar Dutzend Leuten besucht wird („jeder Künstler lädt drei Freunde ein...“). Die kritische künstlerische Reflexion von Religion und Kirche interessiert also nur einen verschwindend geringen Teil der russischen oder vielmehr Moskauer Öffentlichkeit. Die Ausstellungsmacher aber schienen vom Schutz ihrer öffentlichen Aktivität durch den Staat auszugehen. Wenn aber nun, wie es Ryklin nahe legt, die Exekutive, indem sie den Prozess initiierte, darauf abgesehen hatte, das Sacharow-Zentrum zu treffen – das seine Ablehnung des Tschetschenienkriegs mit einem Protestplakat am Gebäude zum Ausdruck gebracht hatte –, greift dann die Auseinandersetzung mit der Kirche oder gar ‚der Religion’ nicht zu kurz? Ryklin hat daher Recht, wenn er schreibt, dass mit dem Prozess klar wurde, dass sich die Künstler und Intellektuellen der Tatsache nicht entziehen werden können, dass sie in einem Staat leben, welcher einen grausamen Krieg in Tschetschenien führt.

Die Solidarität im westlichen Ausland, so Ryklin, habe ihm während der Prozesse sehr viel geholfen, zudem erhalten seine Befürchtungen ihre Authentizität auch aus der Perspektive des Opfers, mit welcher er sich in der Einleitung auseinandersetzt. Dennoch sollte man mit solchen Konjekturen eines ‚russischen Faschismus’ hierzulande vorsichtig sein, denn in Deutschland könnte der Ausdruck einen anderen, nicht zuletzt vergangenheitspolitischen, Sinn annehmen. Die Voraussetzung jedenfalls, dass man hier in einem unversehrten Raum internationaler zivilgesellschaftlicher Kommunikation spricht, mag trügerisch sein. Überhaupt darf man, was die Rezeption des Buches anbelangt, pessimistisch sein – wen wird Ryklins Buch berühren? Wie viele werden Svastika, krest i zvezda, das in Russland zeitgleich mit der Übersetzung im kleinen Moskauer Logos-Verlag erschien, überhaupt lesen? Und was wird es in Deutschland anderes auslösen als stillen Stolz über ‚unsere Wertegemeinschaft’ (welche jetzt nicht nur wieder vermehrt ‚christlich’ apostrophiert sondern auch vom Kosovo bis nach Afghanistan von deutschen Soldaten verbreitet werden darf). Die Präsentation in der IFA-Galerie hinterließ jedenfalls einen fahlen Nachgeschmack bei mir. Die Veranstaltung wurde in fast pastoralen Ton von der Galeristin Paula Böttcher moderiert und anwesend waren vor allem Herrschaften, die ihre „Betroffenheit“ über die Verletzung von Menschenrechten ausdrücken wollten. Nun sollte man sich vor einem unumwundenen Bekenntnis zu Menschenrechten, zu Meinungs- und Redefreiheit, nicht scheuen, aber die Frage ist doch, ob der Westen noch einen gültigen Gesellschaftsentwurf anzubieten hat. Auch hierzulande entsolidarisiert sich die Gesellschaft zunehmend und den Marginalisierten wird als Kompensation die Identifikation mit dem Abstraktum der Nation angeboten oder gar – wenn es sich um ‚Immigranten’ handelt – ihre Identifikation mit der „Wertegemeinschaft“ abgefordert. Der Zusammenhang von Mangel an Solidarität und dem Existenzkampf in der heutigen russischen Gesellschaft, auf den Ryklin hinweist, sollte nicht vernachlässigt werden.

 

Michael Ryklin: Mit dem Recht des Stärkeren. Aus dem Russischen von Gabriele Leupold. edition suhrkamp. Frankfurt a.M. 2006.

www.sakharov-center.ru/museum/exhibitionhall/hall_exhibitions_religion_ostorojno.html

Hakenkreuz, Kreuz und Stern? - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Haken­kreuz, Kreuz und Stern?

Michail Ryklin – der Mos­kauer Phi­lo­soph, hier­zu­lande bekannt vor allem als Mos­kauer Dia­log­partner der fran­zö­si­schen Dekon­struk­tion sowie durch seine Essay­samm­lungen zu Natio­nal­so­zia­lismus und Sta­li­nismus Räume des Jubels (Pros­transtva liko­va­nija) und Ter­ror­lo­giki, hat im Suhr­kamp-Verlag ein Buch ver­öf­fent­licht, das er zu schreiben nicht vor­hatte, dessen Nie­der­schrift sich spontan ent­wi­ckelte als Chronik trau­ma­ti­scher Ereignisse.

Mit dem Recht des Stär­keren. Rus­si­sche Kultur in Zeiten der gelenkten Demo­kratie han­delt von der Ver­wüs­tung der Aus­stel­lung „Ach­tung, Reli­gion!“ (Ostorožno, reli­gija!) im Sacharow-Zen­trum Januar 2003 durch fun­da­men­ta­lis­tisch ortho­doxe Van­dalen und dem langen juris­ti­schen Nach­spiel, in dessen Ver­lauf nicht etwa die Van­dalen, son­dern der Direktor des Sacharow-Zen­trums, Jurij Samo­durov, und seine Kura­torin Ljud­mila Vasi­l­ovs­kaja für das ‚Schüren natio­nalen und reli­giösen Zwists’ ver­ur­teilt wurden. Die Ver­tei­di­gung hat beim Straß­burger Gerichtshof für Men­schen­rechte inzwi­schen Beru­fung ein­ge­legt. Ryklins Frau, die Künst­lerin Anna Alčuk saß – sozu­sagen stell­ver­tre­tend für die anderen an der Aus­stel­lung betei­ligten Künstler – mit auf der Ankla­ge­bank, wurde jedoch schließ­lich freigesprochen.

Der Essay glie­dert sich in drei Abschnitte: die Ein­lei­tung Eine unver­langte Erzäh­lung, dem mit Doku­menten unter­füt­terten Pro­zess­be­richt Schall und Wahn und dem kom­men­tie­renden Teil Das Recht zu hassen. Eine unver­langte Erzäh­lung widmet sich sehr per­sön­lich dem eigenen emo­tio­nalen Erleben der Gescheh­nisse und den ein­set­zenden psy­chi­schen Mecha­nismen: von der anfäng­li­chen Über­ra­schung, dem Unglauben ange­sichts der Anklage der Geschä­digten des van­da­lis­ti­schen Akts über die gleich­gül­tigen, abwie­gelnden Reak­tionen im Bekann­ten­kreis bis hin zu den Ver­däch­ti­gungen, es müsse doch etwas an den Vor­würfen dran sein, wenn die ‚dumme Geschichte’ nun schon so lange dauere. Hier schon zeichnet sich die per­for­ma­tive Wir­kung von Schau­pro­zessen ab, die Ryklin im Laufe des Buches her­aus­ar­beitet und die er mit dem Goeb­bels-Apho­rismus, nach dem eine Lüge nur unge­heu­er­lich genug sein müsse, damit man sie glaube, poin­tiert anzu­geben vermag. Der Kreis der Gleich­gül­tig­keit um die Beschul­digten heute ist nicht das­selbe wie jene aggres­sive Leere, welche sich um die Opfer des sta­li­nis­ti­schen Ter­rors bil­dete – er ähnelt ihr aber doch. Über­haupt hat man­ches eine Vor­ge­schichte: Gut zwanzig Jahre zuvor erlebte Ryklin vor sel­bigem Tag­aner Gericht die Ver­ur­tei­lung seiner Schwie­ger­mutter – und nun wieder das Gefühl, dass die Schuld schon von Beginn an fest­steht, dass die eigenen Anstren­gungen im ‚Ver­fahren der Wahr­heits­fin­dung’ ver­geb­liche Mühe sind. Ryklin zeigt sich ent­täuscht von der man­gelnden Soli­da­rität in Kunst­kreisen und fragt sich, welche Gründe dieser Mangel heute hat. Seine Dia­gnose: eine zuneh­mende Ato­mi­sie­rung ihrer Mit­glieder, ihr Auf­gehen im all­täg­li­chen Exis­tenz­kampf einer rauer gewor­denen Wirk­lich­keit, die Unmög­lich­keit, den irgendwie doch gesi­cherten Under­ground­status ‚spät­so­wje­ti­scher’ Zeiten im markt­wirt­schaft­li­chen Milieu auf­recht zu erhalten.

Teil I Schall und Wahn unter­füt­tert das per­sön­liche Erleben des Pro­zesses mit den Pro­zess­akten und Doku­menten der öffent­li­chen Reak­tion auf diesen. Die Kunst­werke werden cha­rak­te­ri­siert. Einige von den zehn Arbeiten, die im Urteil als ‚läs­ter­lich’ und ‚natio­nalen und reli­giösen Zwist schü­rend’ ein­ge­stuft wurden, sind foto­gra­phisch doku­men­tiert. Etwa Alek­sandr Koso­l­apovs „This is my blood“. Die eine Rekla­me­tafel imi­tie­rende Arbeit zeigt im linken Drittel des Bildes ein aus Marien- und Erlö­ser­bildnis mon­tiertes Gesicht und rechts davon den Schriftzug „Coca-Cola. This is my blood“. Wie viele der Expo­nate lässt sich das Bild schlüs­siger als Kritik an Mas­sen­kultur deuten. Diese Deu­tungs­mög­lich­keit wird im Gut­achten von der Mit­ar­bei­terin am „Institut für All­ge­meine Geschichte“ an der Aka­demie der Wis­sen­schaften (Institut Vse­ob­ščej Istorii RAN) Nata­lija T. Ėneeva auch erwogen; doch alleine die Ver­wen­dung einer Formel der Eucha­ristie in dem säku­laren Kunst­kon­text scheint für den Tat­be­stand der Blas­phemie aus­zu­rei­chen. Diese Experten-Gut­achten, deren Ver­fasser teil­weise ihre Ferne, bzw. offene Ableh­nung von zeit­ge­nös­si­scher Kunst unum­wunden zugeben, zitiert Ryklin aus­giebig. Alle Gut­achter besetzen Stellen, ent­weder im Muse­ums­be­trieb (Tret­jakov-Galerie) oder an der Rus­si­schen Aka­demie der Wis­sen­schaften, an wel­cher Ryklin selbst beschäf­tigt ist. Wäre dem nicht so, hätte man es viel­mehr mit fik­tiven Gut­achten inner­halb eines Romans Sor­okins zu tun, man könnte sich köst­lich amü­sieren. So etwa wenn in der Exper­tise der Lei­terin des „Insti­tuts für sozi­al­öko­no­mi­sche Pro­bleme der Bevöl­ke­rung“ (Institut Social’no-Ėkonomičeskich Pro­blem Nar­o­do­nase­le­nija RAN) Nata­lija E. Mar­kova die zu Sta­lins Zeiten über­be­an­spruchte Theorie des ‚bedingten Reflexes’ (Pavlov, Bech­terev) im Gut­achten auf Foto­gra­fien Oleg Kuliks anwendet. In Bezug auf diese Fotos, auf denen mensch­lich-tie­ri­scher Geschlechts­ver­kehr ange­deutet wird, heißt es: „Der bedingte Reflex, aus­ge­löst durch ein Bild, auf wel­chem die Akte von Men­schen und Tieren ver­ei­nigt sind, mag einen Men­schen auf ewig in einen Zoo­philen zu ver­wan­deln.“ Zum Glück sind die Gut­achter gegen solche Kon­di­tio­nie­rung mit for­maler Schule und Iko­no­logie a la War­burg und Panofsky gewappnet. Klar: da das Volk – oder besser: die Bevöl­ke­rung – nicht über diese ver­fügt, vermag sie sich denn auch nur mit ‚gesunden’ psy­chi­schen Reiz­re­ak­tionen zu schützen – in Akten des Van­da­lismus eben.

Nun leugnet Ryklin nicht, dass Kunst ver­letzen könne, der Gläu­bigen Sucht jedoch, sich ver­letzen zu lassen – zudem von Kunst­werken, die man zumeist nur vom Hören­sagen kennt –, zeugt für ihn von einer ‚mit­tel­al­ter­li­chen’ Logik, in wel­cher es keinen Kunst­raum mit einer auch nur ein­ge­schränkten Auto­nomie geben kann. Die Kirche will dem­nach ihre Deu­tungs­ho­heit über die reli­giösen Zei­chen und deren Ord­nung ver­tei­digen bzw. fes­tigen: es darf keine anderen Spiel­re­geln der Inter­pre­ta­tion geben. Der Kunst­raum ist dann immer schon iden­tisch mit dem Kir­chen­raum, die Aus­stel­lung kon­kur­riert mit dem Got­tes­dienst. Nur in dieser Logik werden die absurden Vor­würfe des Sata­nismus, des Scha­ma­nismus gegen die Künstler verständlich.

Ryklin lehnt in diesem Zusam­men­hang auch jene Hin­weise auf die ver­meint­lich ‚geringe Qua­lität der Aus­stel­lung’ ab, mit denen einige Künstler und Kri­tiker sich des Pro­tests ent­hielten oder gar sich von ihr distan­zierten. Dies, so die Argu­men­ta­tion von Ryklin, sehe davon ab, dass weder die Fun­da­men­ta­listen noch die Gerichte sich für diese Frage nach dem künst­le­ri­schen Wert ernst­haft inter­es­sierten; wenn, dann müssten sie diese Frage in der Sprache der Kunst­kritik adres­sieren, wie sie eben im Kunst­raum ange­sie­delt ist. Auch kann er in den Zer­stö­rungen der Kunst­werke keinen ‚Kon­zep­tua­lismus’ erkennen: Dieser mag – wie es etwa Oleg Kulik mit seinen aggres­siven, gewalt­tä­tigen Aktionen vor­ge­führt hat – mit ter­ro­ris­ti­schen Stra­te­gien den Kunst­raum trans­gre­dieren, der Van­da­lismus aber inten­diert eine ein­fache ter­ro­ris­ti­sche Auf­he­bung dieser Grenzen von Außen.

Teil II, Das Recht zu hassen widmet sich den Struk­turen von Politik und Öffent­lich­keit in Russ­land, wie sie der Pro­zess zu Tage för­dern konnte. Ryklin unter­sucht die ideo­lo­gi­sche Neu­erfin­dung Russ­lands als ortho­doxe Nation, wobei er an einer Dosie­rung des Ein­flusses der Rus­sisch-Ortho­doxen Kirche durch die Exe­ku­tive nicht zwei­felt (der ROK, es gibt in Russ­land meh­rere Ortho­doxe Kir­chen ohne grö­ßere Macht­am­bi­tionen). Ryklin nimmt auch an, dass das letzt­lich ergan­gene Urteil – nur Geld­strafen, jedoch eine sprach­lich bedroh­liche Urteils­be­grün­dung – „von ganz oben“ her­un­ter­ge­reicht wurde. Die Gefahr, die Ryklin in diesem ideo­lo­gi­schen Reizen der Instinkte der Massen sieht, kann nicht darin begrenzt werden, dass die Exe­ku­tive bei Bedarf ihren Repres­si­ons­ap­parat spo­ra­disch gegen Neo­fa­schisten richtet. Es ist die Zer­stö­rung der poli­ti­schen Öffent­lich­keit selbst, die den Weg bereiten könnte für eine spe­zi­fisch rus­si­sche Vari­ante des Faschismus.

Wie immer man zu sol­chen Befürch­tungen Ryklins stehen mag, die Cha­rak­te­ri­sie­rung der Pogrom­stim­mung unter den fun­da­men­ta­lis­ti­schen Bela­ge­rern des Tag­aner Gerichts­saals gehört zum Bedrü­ckendsten des Essays. Irri­tiert von einem gegen die Ange­klagten gerich­teten Auf­schrei einer jungen, reli­giösen „Hys­te­ri­kerin“, man hätte doch nur den Zaren nicht ermorden dürfen, wagt sich Ryklin in die Untiefen reli­giösen Schrift­tums in Russ­land. Er zitiert den Ober­priester Šar­gunov, der die Kon­ti­nuität der jüdi­schen Feind­schaft gegen das Kreuz Christi vom Mord an Christus bis zum Mord am Zaren durch die Bolše­viki behauptet. Mit ihrer ‚tat­säch­li­chen’, nicht nur sym­bo­li­schen Kreu­zi­gung Christi hatten die Künstler auch diese Schuld über­nommen. Der Auf­schrei war kein Ein­zel­fall – die Gruppen der betenden, sin­genden und schimp­fenden Gläu­bigen bil­deten wie der Chor in der grie­chi­schen Tra­gödie einen unab­ding­baren Teil der Insze­nie­rung. Die Gläu­bigen standen vor dem Gerichts­ge­bäude, sangen auf seinen Fluren und beteten in seinen Trep­pen­häu­sern. Sie ver­suchten das Gericht in ein Got­tes­haus zu ver­wan­deln und mit ihrer Prä­senz die ‚Gott­losen’ einzuschüchtern.

Die ‚Logik’ der reli­giös anti­se­mi­ti­schen Anfein­dungen („ihr Juden“, „Juden­fressen“) wurde im Zeu­gen­stand weiter ent­wi­ckelt. Dort wurde argu­men­tiert, die Künstler – nur wenige unter ihnen waren ‚tat­säch­lich’ Juden – hätten mit der Aus­stel­lung den Anti­se­mi­tismus geschürt. Ange­sichts des Auf­grei­fens dieses natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Kli­schees des jüdi­schen agent pro­vo­ca­teur, wel­cher an dem ‚Nie­der­gang’ seines eigenen Volks arbeitet, mag man ver­stehen, dass Ryklin in diesem Buch so oft – wie einst Hannah Arendt im Hin­blick auf den Tota­li­ta­rismus – den gesunden Men­schen­ver­stand anruft, mit dem in Berüh­rung kom­mend, solche Lügen­ge­bäude augen­blick­lich in sich zusam­men­fallen. Den Ver­such, dem gesunden Men­schen­ver­stand ein tota­li­täres Denken ent­ge­gen­zu­stellen, hatte Ryklin in Räume des Jubels in dekon­struk­tiver Manier stark in Frage gestellt: Zu viele Dif­fe­renzen würden damit getilgt. Auch in Mit dem Rechts des Stär­keren hält er an der Kritik des Begriffes fest: ‚Tota­li­ta­rismus’ sei eben nicht mehr als ein Wort, das in die Umgangs­sprache auf­ge­nommen, einige Ähn­lich­keiten zwi­schen Natio­nal­so­zia­lismus und Sta­li­nismus benennt; er kann jedoch kein aus­ge­bil­detes wis­sen­schaft­li­ches Para­digma dar­stellen. Ryklins „Bilanz“ aber – seine Befürch­tungen eines Faschismus, weil dieser die ein­zige Staats­form sei, die in Russ­land noch nicht kor­rum­piert worden sei – erin­nert, indem sie sich vom doku­men­ta­ri­schen Mate­rial löst, stark an jenes düs­tere, weit­schwei­fige Phi­lo­so­phieren, dessen sich die Phi­lo­so­phin zuweilen beflei­ßigte. Man kann sich daran erin­nern, dass einst auch Hannah Arendt ange­sichts der anti­de­mo­kra­ti­schen Exzesse der McCarty-Ära in Ame­rika einen neuen Faschismus her­auf­kommen sah.
Diese Unbe­stimmt­heit blieb auch in der Dis­kus­sion nach einer Vor­stel­lung des Buches in Anwe­sen­heit des Autors und seiner Frau in der Ber­liner IFA-Galerie am 23. November bestehen. Als eine Fra­ge­stel­lerin das Wort tota­litär ver­wen­dete, um ihrer Betrof­fen­heit Aus­druck zu geben, winkte Ryklin ab – der Zustand Russ­lands erin­nere allen­falls an die Wei­marer Republik.

Eine Arbeit, welche auf der Aus­stel­lung „Ach­tung, Reli­gion!“ zu sehen war – Alek­sandr Doro­chovs „Am Anfang war das Wort“ – stellt in der Form eines Tryp­ti­chons Kreuz, Sowjet­stern und Haken­kreuz neben­ein­ander, an die jeweils ein expres­siver, an Matisse’ Gemälde Der Tanz erin­nernder, mensch­li­cher Körper gekreu­zigt ist (nach dem Van­da­lismus wie­derum über­la­gert von den Worten mraz’ vy besy – Drecks­kerl ihr Teufel). Hin­ter­legt sind die Kreuze mit Text­ma­te­rial aus der Bibel, dem Kom­mu­nis­ti­schen Mani­fest und Mein Kampf. Das Gut­achten stört sich an der durch die for­malen Mittel sug­ge­rierten, empö­rende Gleich­set­zung christ­li­cher Sym­bole und bibli­scher Worte mit denen men­schen­ver­ach­tender Ideo­lo­gien. Ist aber eine solche Gleich­set­zung inten­diert? Wenn ja, so meine ich, könnte man auch die Gleich­set­zung des Kom­mu­nis­ti­schen Mani­fests und Mein Kampf bean­standen (in einer Kritik und nicht in einem Pro­zess). Viel­leicht will das Objekt aber viel­mehr mit for­malen Mit­teln Gleich­set­zungen vor­führen, die schnell dahin­ge­sagt sind. Haken­kreuz, viel mehr aber noch Sowjet­stern sind die Sym­bole zweier Pro­jekte der Moderne mit dem Anspruch umfas­sender Neu­schaf­fung der con­ditio humana – und zweier Ver­bre­chen rie­sigen Aus­maßes, jedoch ver­schie­denen Cha­rak­ters. Und wie steht es mit dem Kreuz? Kann es als grund­le­gendes Symbol für den abend­län­disch-christ­li­chen Kul­tur­kreis in ähn­li­cher Weise als ideo­lo­gi­sches Zei­chen fun­gieren? Leuchtet die Ver­bin­dung von Kreuz und Faschismus ein? Viel­leicht sollte man das Kreuz als Zei­chen der Insti­tu­tion der ROK eher als Ele­ment der Neu­erfin­dung Russ­lands als einer der zukünf­tigen ‚impe­rialen’ Groß­mächte deuten? – Sie singt „das alte Ent­sa­gungs­lied. Das Eiapo­peia vom Himmel“ (Heine) für die vielen Ver­lierer der ‚Trans­for­ma­ti­ons­phase’ und grenzt das kul­tu­rell Fremde und teils tat­säch­lich Feind­se­lige, Bedroh­liche aus, was Russ­land sich in seiner langen Impe­ri­al­ge­schichte unter Zar und Stalin her­an­ge­züchtet hat. Viele Fragen stellen sich – deutet sich in der direkten Instru­men­ta­li­sie­rung der Kirche als ideo­lo­gi­schem Zen­sur­ap­parat ein neu­er­li­cher rus­si­scher Son­derweg an, wel­cher mit der Inan­spruch­nahme ‚christ­li­cher Werte’ durch Kon­ser­va­tive in Europa und Ame­rika nicht ver­gleichbar ist? Ist die Gegen­über­stel­lung der Reli­gion mit den modernen Ideo­lo­gien, wenn kein Holz‑, so zumin­dest ein Umweg?

Unbe­ant­wortet bleibt im Buch jeden­falls, und blieb es auch in der IFA-Galerie, was man denn eigent­lich mit der Aus­stel­lung errei­chen wollte. Auf die Frage hin, für wen denn die Aus­stel­lung gedacht gewesen wäre, ant­wor­tete Ryklin, dass eine solche Aus­stel­lung nor­ma­ler­weise von ein Paar Dut­zend Leuten besucht wird („jeder Künstler lädt drei Freunde ein…“). Die kri­ti­sche künst­le­ri­sche Refle­xion von Reli­gion und Kirche inter­es­siert also nur einen ver­schwin­dend geringen Teil der rus­si­schen oder viel­mehr Mos­kauer Öffent­lich­keit. Die Aus­stel­lungs­ma­cher aber schienen vom Schutz ihrer öffent­li­chen Akti­vität durch den Staat aus­zu­gehen. Wenn aber nun, wie es Ryklin nahe legt, die Exe­ku­tive, indem sie den Pro­zess initi­ierte, darauf abge­sehen hatte, das Sacharow-Zen­trum zu treffen – das seine Ableh­nung des Tsche­tsche­ni­en­kriegs mit einem Pro­test­plakat am Gebäude zum Aus­druck gebracht hatte –, greift dann die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Kirche oder gar ‚der Reli­gion’ nicht zu kurz? Ryklin hat daher Recht, wenn er schreibt, dass mit dem Pro­zess klar wurde, dass sich die Künstler und Intel­lek­tu­ellen der Tat­sache nicht ent­ziehen werden können, dass sie in einem Staat leben, wel­cher einen grau­samen Krieg in Tsche­tsche­nien führt.

Die Soli­da­rität im west­li­chen Aus­land, so Ryklin, habe ihm wäh­rend der Pro­zesse sehr viel geholfen, zudem erhalten seine Befürch­tungen ihre Authen­ti­zität auch aus der Per­spek­tive des Opfers, mit wel­cher er sich in der Ein­lei­tung aus­ein­an­der­setzt. Den­noch sollte man mit sol­chen Kon­jekt­uren eines ‚rus­si­schen Faschismus’ hier­zu­lande vor­sichtig sein, denn in Deutsch­land könnte der Aus­druck einen anderen, nicht zuletzt ver­gan­gen­heits­po­li­ti­schen, Sinn annehmen. Die Vor­aus­set­zung jeden­falls, dass man hier in einem unver­sehrten Raum inter­na­tio­naler zivil­ge­sell­schaft­li­cher Kom­mu­ni­ka­tion spricht, mag trü­ge­risch sein. Über­haupt darf man, was die Rezep­tion des Buches anbe­langt, pes­si­mis­tisch sein – wen wird Ryklins Buch berühren? Wie viele werden Svas­tika, krest i zvezda, das in Russ­land zeit­gleich mit der Über­set­zung im kleinen Mos­kauer Logos-Verlag erschien, über­haupt lesen? Und was wird es in Deutsch­land anderes aus­lösen als stillen Stolz über ‚unsere Wer­te­ge­mein­schaft’ (welche jetzt nicht nur wieder ver­mehrt ‚christ­lich’ apo­stro­phiert son­dern auch vom Kosovo bis nach Afgha­ni­stan von deut­schen Sol­daten ver­breitet werden darf). Die Prä­sen­ta­tion in der IFA-Galerie hin­ter­ließ jeden­falls einen fahlen Nach­ge­schmack bei mir. Die Ver­an­stal­tung wurde in fast pas­to­ralen Ton von der Gale­ristin Paula Bött­cher mode­riert und anwe­send waren vor allem Herr­schaften, die ihre „Betrof­fen­heit“ über die Ver­let­zung von Men­schen­rechten aus­drü­cken wollten. Nun sollte man sich vor einem unum­wun­denen Bekenntnis zu Men­schen­rechten, zu Mei­nungs- und Rede­frei­heit, nicht scheuen, aber die Frage ist doch, ob der Westen noch einen gül­tigen Gesell­schafts­ent­wurf anzu­bieten hat. Auch hier­zu­lande ent­so­li­da­ri­siert sich die Gesell­schaft zuneh­mend und den Mar­gi­na­li­sierten wird als Kom­pen­sa­tion die Iden­ti­fi­ka­tion mit dem Abs­traktum der Nation ange­boten oder gar – wenn es sich um ‚Immi­granten’ han­delt – ihre Iden­ti­fi­ka­tion mit der „Wer­te­ge­mein­schaft“ abge­for­dert. Der Zusam­men­hang von Mangel an Soli­da­rität und dem Exis­tenz­kampf in der heu­tigen rus­si­schen Gesell­schaft, auf den Ryklin hin­weist, sollte nicht ver­nach­läs­sigt werden.

 

Michael Ryklin: Mit dem Recht des Stär­keren. Aus dem Rus­si­schen von Gabriele Leu­pold. edi­tion suhr­kamp. Frank­furt a.M. 2006.

www.sakharov-center.ru/museum/exhibitionhall/hall_exhibitions_religion_ostorojno.html [Seite des Sacharov-Zen­trums mit einer mehr als aus­führ­li­chen Doku­men­ta­tion der Aus­stel­lung, ihrer Zer­stö­rung, des Pro­zesses und der öffent­li­chen Reaktionen.]