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Kein Lenin ohne Lennon!

Posted on 4. Januar 2009 by Sylvia Sasse, Sandro Zanetti
Das Performance-Kollektiv andcompany&Co schließt mit MAUSOLEUM BUFFO eine Trilogie über die Gespenster des Kommunismus ab. Anläßlich der Premiere der Performance am 6. Januar 2009 im HAU führte novinki ein E-Mail-Interview mit dem Kollektiv.

Ein Interview mit andcompany&Co

 

andcompany&Co, gegründet 2003 von Alexander Karschnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma, bezeichnen sich selbst als Performance-Kollektiv, das nach dem Prinzip des Re-Mix und der Re-Animation arbeitet. Wiederaufgelegt werden ästhetische, philosophische und politische Entwürfe und Phantasmen des 20. Jahrhunderts: Kommunismus, Kosmonauten, Kalter Krieg – in eigener Abmischung. Die Performances bewegen sich zwischen Theater und Theorie, Politik und Praxis. Das Kollektiv arbeitet immer wieder mit wechselnden PartnerInnen zusammen. Zu sehen waren die Arbeiten von andcompany&Co u.a. auf dem KunstenFESTIVALdesArts in Brüssel, beim steirischen herbst, den Wiener Festwochen, in den Sophiensälen sowie im HAU in Berlin. Novinki führte mit dem Kollektiv ein E-Mail-Interview anlässlich der jüngsten Produktion, MAUSOLEUM BUFFO, die am 6. Januar 2009 am HAU 2 Premiere hat.

 

mausoleumbuffo-flashkes1novinki: In Eurer Trilogie, die nun nach little red (play): ‚herstory‘ (2006) und TIME REPUBLIC (2007) mit MAUSOLEUM BUFFO (2009) zu einem Abschluss kommt, beschäftigt Ihr Euch mit dem Ende des Kommunismus, der Utopie des 20. Jahrhunderts. Woher kommt diese Obsession?

 

andcompany&Co: Am Anfang war der Wunsch, Nicolas Geschichte zu erzählen, die als ‚red diaper baby‘, also als Kind von Kommunisten in West-Deutschland geboren wurde. Die Vorstellung, dass jedes Jahr ein Sonderzug der DKP vom Gleis 7 1/2 in Richtung DDR abgefahren ist, um eine Horde Kinder ins Ferienlager zu bringen, klingt heute wie die Geschichte von Alice, die durch die Spiegel geht… Und tatsächlich hatte die DDR etwas von jenem Land hinter dem Spiegel, in dem zwei Wegweiser auf der Straße stehen, die beide nach vorne zeigen in Richtung Fortschritt, während BRD & DDR sich wie Zwiddeldum & Zwiddeldei zur Schlacht rüsten: „Dass wir uns rüsten müssen, siehst Du wohl ein!“ – „Nein, umgekehrt!“ Für die nächste Generation, die gerade volljährig geworden ist, ist diese Geschichte nun wirklich Geschichte im Sinne einer abgeschlossenen Periode. Uns wurde klar, dass durch den Epochenwechsel von 1989 das 21. Jahrhundert schon längst begonnen hatte und wir also tatsächlich die letzte Generation des 20. Jahrhunderts gewesen sind – folgt man der Definition von Eric Hobsbawm vom „kurzen Jahrhundert“, das mit der Oktoberrevolution 1917 begonnen und mit der Auflösung der Sowjetunion 1991 geendet hat.

 

n: Was habt Ihr aus Nicolas Geschichte gemacht?

 

&Co: Wir haben mehrere Jahre über diesem Material gebrütet, aber weil wir keine ‚authentische Lebensgeschichte‘ präsentieren, sondern konkret historisch arbeiten wollten, brauchte es noch ein paar Begegnungen, bevor wir unsre Form gefunden haben. Eine davon war mit dem bildenden Künstler Noah Fischer, mit dem wir mehrere &Co.LABs gemacht haben, u.a. revolutionary timing in Manhattan. Die Herausforderung, dieses Material im US-Kontext zu aktualisieren, hat uns ein gutes Stück weitergebracht. Uns wurde klar, dass man diese Geschichte nur als Geschichte zweier Antipoden erzählen kann und dass gerade der Anti-Kommunismus unglaublich bühnentaugliches Material zu bieten hat, wie die McCarthy Hearings, z.B. von Walt Disney. Andrerseits war ja auch die Protestbewegung, die in den USA begonnen hat, eine Aktualisierung jenes Begehrens, das 1917 in Russland zur Beendigung des Ersten Weltkrieges durch die Bolschewiki geführt hat. Daher galt für uns: Kein Lenin ohne Lennon!

 

PENTAX Imagen: In Euren Produktionen arbeitet Ihr immer wieder in neuen Konstellationen, erprobt unterschiedliche Kooperations-formen, deshalb wohl auch der Name andcompany&Co. Wie kam es zur Kooperation mit Bini Adamczak, der Autorin der beiden Bücher Kommunismus: Eine kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird (2006) und Gestern – Morgen: Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft (2007)?

 

&Co: Das Zusammentreffen mit Bini war unverhofft. An einer mitternächtlichen lecture performance während der internationalen Kulturkonferenz Indeterminate! Kommunismus an der Uni Frankfurt stellte sie ihr Projekt mit dem Titel „Kommunismus für Kinder“ vor. Ihr Ansatz, die marxistische Theorie menschlicher Emanzipation in einer kindlichen Sprache zu erklären (samt der Geschichte sämtlicher Versuche ihrer Realisation, inklusive des Staatssozialismus als großen ‚Topf‘), war für uns wie eine Bestätigung des eingeschlagenen Weges. Darüber hinaus hat sich Bini auch noch als echtes Bühnentalent erwiesen und war eine inspirierende Ko-Autorin. Mit ihr haben wir little red entwickelt – eine konspirative Kollaboration, die davon ausgeht, dass das Gespenst des Kommunismus noch unterm Bühnenboden rumpelt und „Schwört!“ ruft… Dann kam Vettka Kirillova hinzu, die als ‚little blue‘ in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen ist. Ihr verdanken wir u.a. die Geschichten vom ‚kleinen Lenin‘, die wir in TIME REPUBLIC weitergesponnen haben. Sie gehört zur ‚Generation Gorbatschow‘, über die Alexei Yurchak sein Buch geschrieben hat: „Everything was Forever, Until it was No More: The Last Soviet Generation“.

 

n: Das sind ziemlich heterogene Erfahrungen…

 

&Co: Wir haben zwar alle ganz unterschiedliche Erfahrungen, aber einig sind wir uns darin, dass bislang niemand das zentrale Ereignis der friedlichen Selbst-Auflösung der Sowjetunion verstanden hat. Diese Ratlosigkeit wird dadurch verlängert, dass sich die gegenwärtige Welt vom ‚ideologischen Ballast‘ des 20. Jahrhunderts befreit zu haben glaubt und somit jegliches Gewicht verloren hat und ungebremst in die kommenden Katastrophen des 21. Jahrhundert rast…

 

n: Für unsere Generation – egal ob vor oder hinter dem Spiegel – sind Kommunismus und Kindheit für immer miteinander verbunden: Der Kalte Krieg bildete den Hintergrund unserer frühen politischen Sozialisation. Doch wir waren eben alle noch Kinder. Als Erwachsene haben wir den Kommunismus als realpolitisches System nie erlebt. Steckt in der Betonung des Kindlichen, die ja auch die Sprache Eurer Stücke stark mitbestimmt, die Hoffnung, dass der Kommunismus anders erwachsen werden könnte, als er es in der Realpolitik geworden ist? Ist der Rückgang zur Kindheit der Versuch, eine Utopie wieder wirklich werden zu lassen, und sei es nur auf der Bühne? Oder ist die Kindheit eine Art Maske, die es Euch gegenwärtig erlaubt, Dinge anzusprechen, die schon angeschimmelt zu sein scheinen?

 

&Co: Bekanntlich hat die bürgerliche Gesellschaft in ihren pädagogischen Institutionen die Kindheit allererst erfunden – und damit leider auch das Erwachsensein. Seit Rousseaus kleinem Émile ist deshalb das verallgemeinerte Bürgertum mit einem tief nostalgischen Gemüt beseelt: Alle wollen eine glückliche Kindheit gehabt haben und trotz aller Liebe zur Lohnarbeit soll die Schulzeit doch die schönste gewesen sein – die nie mehr wieder kommt. Den Kindern aber werden die wütenden Tränen wegen der zugefügten Erziehungsschmerzen mit Bausparverträgen getrocknet, mit dem Versprechen also, es werde A) alles gut und sie würden B) später verstehen, warum ihnen so viel Schlechtes angetan werden musste. A war natürlich gelogen und an B scheiden sich die Gespenster. Wer noch Jahre später nicht einsehen will, wozu all die Ohrfeigen, Schuldgefühle und Kleinfamilien nötig gewesen sein sollen, ist wohl Kommunistin geworden – oder geblieben. Für nichts hat der Kapitalismus (etwa vom Doppelpärchen Felix Marx & Gilles Engels) mehr Lob bekommen als für die Begehrlichkeiten, die er weckt und trotz einer Armee von Narkotisisten doch nie ganz wieder zum Einpennen kriegt. Das Kind, das um nichts mehr bemüht ist als darum, möglichst schnell erwachsen zu werden, darf endlich angekommen feststellen: Von Mündigkeit keine Spur, das Ziel heißt ab jetzt Rente, und so kuschlig wie in der Rückprojektion wird’s auch nimmer. Ab hier hängen die einen ihre Träume, die ja doch nur Tränen bringen, an den Nagel (… in der Jugend kein Herz … im Alter keinen Verstand …) und werden erwachsen, also Antikommunistinnen

 

temponautsn: …und haben dann keine Träume mehr?

 

&Co: Gemeint sind resignierte Realistinnen, wie Bini sie in ihrem zweiten Buch Gestern Morgen nennt, neidvoll Daheimgebliebene, die schadenfreudig auf die Nachricht von der auf hoher See ersoffenen Schwester warten. Die zweiten drehen das bürgerliche Bild um und behaupten mit Pablo Picasso, es dauere lange bis mensch jung werde. Die kommunistische Kindheit liege in ferner Zukunft und je erwachsener und kälter wir jetzt würden, um so schneller kämen wir (wieder) ins Warme. Das sind die Leninistinnen, die so reden. Von ihnen werden alle, die noch ein bisschen mehr wollen, im Namen Lenins der ‚Kinderkrankheit des Linksradikalismus‘ bezichtigt. Dieser Krankheit bezichtigen wir uns gern. Und obwohl wir uns uneinig sind, wie viel von Lenins ewig jugendlicher Leiche eigentlich zu konservieren bleibt, betrachten wir den Umstand, dass es noch Spuren leninistischer Disziplin in der Produktion gibt, um den kindischen Wahnsinn auf die Bühne zu bringen, als das Elend der Kunst im Kapitalismus. Der Kommunismus muss also nicht anders erwachsen werden, sondern gar nicht. Die Erwachsenen müssen Kinder werden, also Kommunistinnen. Kommunismus für Kinder eben.

 

n: Das klingt reichlich programmatisch. Eigentlich wollten wir nur wissen, warum und wie Ihr in Euren Stücken mit der Perspektive des Kindes arbeitet? Wenn in den achtziger Jahren eine Horde Kinder mit einem Sonderzug der westdeutschen DKP in Richtung DDR fährt, dann kommen die ja nicht im Kommunismus, sondern im Realsozialismus an, der in Form der DDR spießbürgerlich und kleinkariert war. Von kindischem Wahnsinn dürfte da wenig zu spüren gewesen sein. Wie also geht das Erfahrungsmaterial, das zu einem guten Teil aus Eurer Kindheit stammt, in die Produktion ein, wie wird es verarbeitet, aktualisiert?

 

&Co: Verlockend ist es, mit Knarf Rellöm zu antworten: „Das war kein Sozialismus. Das war Spießerkram. Wir sind nicht am Ende. Wir fangen an.“ Aber womit? Eigentlich geht es uns gar nicht in erster Linie um die real-existierende Historie, sondern um die virtuelle – nicht um das, was war, sondern das, was nicht war und deswegen immer noch möglich zu sein scheint: „Was gewesen ist, west an, was werden wird, wissen wir nicht, wir wissen nur, wie es nicht gewesen ist, denn so wie es gewesen ist, war es nie im Leben, ist nicht wahr, was war, wird es nie gewesen sein.“

 

n: Hört sich an wie Ernst Bloch.

 

&Co: Kann gut sein – ist aber von uns: ausnahmsweise, möchte man fast dazu sagen, wo wir doch alles durch die Remix-Mühle drehen. Aber Bloch ist gebongt, der gehört natürlich zu den ganz Großen – oder eben: ganz Kleinen!

 

n: Kann man Realsozialismus und Utopie wirklich so deutlich trennen? Schließlich war die kommunistische Utopie bzw. das Utopische konstituierender Bestandteil des Realsozialismus, so wie das Paradies zur Religion christlichen Zuschnitts gehört. Ist nicht das zur Utopie gehörende Versprechen das eigentlich Dilemma solcher Gesellschaftsentwürfe?

 

&Co: Bleiben wir bei Bloch, ganz am Ende von Prinzip Hoffnung schreibt er von der Heimat, die keiner kennt, weil noch keiner je da war. Das trifft’s doch ziemlich genau: Eine Sehnsucht nach etwas, das noch nie da war, aber was zutiefst bekannt zu sein scheint – daher kommt wahrscheinlich die biblische Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies, Ur-Kommunismus, Hippie-Horde oder whatever… Keine Karte der Welt ist vollständig, in der Utopia nicht eingezeichnet ist, sagt Oscar Wilde. Mehr als hundert Jahre nach der Vervollständigung der Kartographie, geht es vielleicht wieder darum, Zonen herauszuradieren, Spuren zu verwischen, z.B. die Umrisse der ehemaligen Sowjetunion. Das Utopische an der UdSSR war ja – laut Derrida – der Name, der eben nicht auf irgendein real-existierendes Territorium verwiesen hat. Heimat also eben nicht als Heimaterde, sondern fremde Räume, ferne Planeten…

 

n: Lasst uns zur Bühne zurückkommen. Wie habt Ihr das, was nicht war, das Utopische, gezeigt?

 

&Co: Das liest sich alles schwerer, als es sich auf der Bühne anhört. Trotzdem spielen wir natürlich mit einer realen Geschichte: Nicolas Verabredung mit ihren Pionier-Freundinnen aus dem Kinderferienlager, sich im Jahr 2000 an der Weltzeituhr auf dem Alex zu treffen. Nicola ist nicht hingegangen, und es ist zweifelhaft, ob irgendjemand von damals dort war – aber die Vorstellungen, die man sich damals vom Jahr 2000 gemacht hat, die interessieren uns! Der Jahrtausendwechsel war ja ein völlig leeres Ereignis. Dabei haben sich mit diesem Datum viele Hoffnungen und Ängste verbunden – gerade auch im Sozialismus. Es gibt einen schönes Buch über den „Tag X“ in der Geschichte, darin: „Wie der DDR das Jahr 2000 abhanden gekommen ist“. Darin wird aufgezeigt, wie stark der Bezug auf diesen Zeitpunkt zunächst war (Johannes R. Bechers letztes Gedicht endet mit dem Ausblick auf die Millenniumsnacht), doch je näher er rückte, desto mehr hat sich das verflüchtigt: Als nix mehr übrig war von der utopischen Substanz ist dieser Staat einfach in sich zusammengebrochen: „Ohne Uff zu sagen“, wie Trotzki das über die provisorische Regierung im Oktober 1917 gesagt hat. Niemand scheint bis heute so recht kapiert zu haben, wie’s dazu kam – so wie wir damals als Kinder! Wahrscheinlich scheint uns deswegen diese Perspektive so verlockend. Aber vielleicht geht es gar nicht so sehr darum, sich wieder einzufühlen in einen naiven Zustand vor dem Sündenfall der politischen Sozialisation, sondern um ein ‚Kind-Werden‘ im deleuzianischen Sinne, eine ‚Verkleinerung‘ oder ‚Minorisierung‘ der Geschichte der Großen. Deswegen gefielen uns auch die Erzählungen vom „kleinen Lenin“, die in der SU ja völlig ernst gemeint waren. Bei uns hört sich das dann so an: „Als Lenin klein war, hatte er eine dreibeinige Hündin mit dem Namen Laika. Lenin liebte diese Hündin sehr, denn sie beherrschte die Schwerelosigkeit. Wenn Lenin mit ihr spazieren ging, dann schwebte sie wie ein Ballon an ihrer Leine über ihm, und wenn sie bellte dann klang das wie Sternengesang.“

 

n: Ihr spielt auf Michail Zoščenkos Geschichten über Lenin (Rasskazy o Lenine, 1940) an, die Zoščenko mit der Bemerkung „geschrieben für Kinder im Vorschulalter“ versehen hatte? Zoščenko war allerdings in der Sowjetunion vor allem als Satiriker bekannt…

 

&Co: Das ist wirklich Real-Satire. Für das neue Stück haben wir auch Michail Šatrovs Stück Diktatur des Gewissens gelesen (Originaltitel: Diktatura sovesti, abgedruckt in Theater Heute 2/88), in der es zu einer „Gerichtsverhandlung über Lenin“ kommt im Stile der alten Agitprop-Schauprozesse, und da gibt es genau so einen Moment: „Als Lenin klein war mit Locken so lang, schlitterte auch er auf der Eisbahn am Hang.“ Und dann wird Lenin zum Vorreiter der Umweltschutzbewegung erklärt, weil er aus Papiermangel immer jedes Blatt so eng voll geschrieben hat: „Weil er immerzu an die heimatlichen Wälder dachte, an die, die im 21. Jahrhundert atmen müssen.“ Das hat natürlich etwas Aberwitziges. Man stelle sich Lenin vor, der sich so was anhören muss: „Was sollen diese Schweinereien?“

 

n: Vor ein paar Monaten wart Ihr auf einer Recherchereise in Moskau. War das der erste Russlandaufenthalt? Was habt Ihr recherchiert? Und was macht Ihr aus dem gesammelten Material?

 

&Co: Wir waren zum ersten Mal in Russland – außer Vettka natürlich, die die Reise für uns vorbereitet hat. Die erste Überraschung war, wie nah zwei unsrer Ziele nebeneinander lagen: das Majakovskij-Museum und die Lubjanka. Das Wohnhaus, in dem Majakovskij gewohnt hat, liegt direkt gegenüber dem berüchtigten Headquarter des Geheimdienstes. Im ersteren hatten wir eine Führung, im zweiten natürlich nicht – es wird ja noch benutzt. Zwar hängen ein paar Tafeln an der Außenseite – aber keine Gedenktafel für die Opfer. Ein Milizionär hat uns dann auch das Fotografieren verbieten wollen. Wir haben einen Blog angelegt, in dem wir unsre Eindrücke dokumentiert haben. Das ist fast ein eigenständiges Projekt, denn die Erlebnisse tauchen nur vermittelt im Stück auf. Im Mittelpunkt stand der Besuch des Roten Platzes und des Mausoleums. Gleichzeitig waren wir auf der Suche nach den Spuren der deutschen Antifaschisten, die nach Moskau ins Exil gegangen und dort verschwunden sind. Oder abgeschoben wurden, zurück nach NS-Deutschland. (Über diese niederschmetternden Geschichte hat Bini ihr zweites Buch, Gestern Morgen, geschrieben).

 

n: Habt Ihr Spuren gefunden?

 

&Co: Die Führung durchs ‚deutsche Moskau‘ war wenig ergiebig. Dafür haben wir eine Frau getroffen, die als Kind im Hotel Lux aufgewachsen ist und heute in Tver’ auf ihrer Datscha lebt: Waltraut Schälike, eine wirklich beeindruckende Frau, mit der wir sehr intensive Gespräche geführt haben. Sie hat ihre Erinnerungen aufgeschrieben: Ich wollte keine Deutsche sein. Und ein kleines Büchlein zur marxistischen Theorie. (Sie findet, dass man in Russland Marx immer falsch interpretiert hat. Marx ginge es gar nicht in erster Linie um die Produktion, sondern um den menschlichen Verkehr.) Wir haben in Petersburg dank der Vermittlung von Memorial weitere Zeitzeugen gesprochen, die als Dissidenten verfolgt worden sind, u.a. den einzigen noch lebenden Zeugen des Großen Terrors der 30er. Er war damals ein glühender Kommunist, sagt er, der sich selbst an der Entkulakisierungs-Kampagne beteiligt hat: Die Täter-Opfer-Spirale ist typisch für den Stalinismus.

 

n: Was wolltet Ihr genau herausfinden?

 

&Co: Wir wollten wissen, wie man heute mit dieser Geschichte umgeht, ob um die Opfer – und den Kommunismus – getrauert wird. Wir haben dabei sehr resignierte Antworten bekommen. Man hat uns von einer nostalgischen Renaissance des Stalin-Kults erzählt, der Abstimmung im Internet, „Name of Russia“, in der Stalin den dritten Platz belegt hat, die Sicht auf ihn als ‚Top-Manager‘ in einem neueren Schulbuch und die Initiative, Wolgograd in Stalingrad zurück zu benennen, usw. Wir haben couragierte alte Leute getroffen, die sehr unzufrieden sind mit den jetzigen Zuständen.

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERAn: Memorial, 1988 von Andreij Sacharov gegründet, ist einige der wenigen Menschenrechts-organisationen, die sich um die Aufarbeitung des Stalinismus und der totalitären Gesellschaft kümmert. Leider müssen sie unter immer komplizierter werdenden Bedingungen arbeiten.

 

&Co: Genau, seit unsrem Aufenthalt wurde sowohl die Memorial-Zweigstelle in Petersburg von der Polizei durchsucht (und die Computer mit den Zeugnissen über die Verfolgungen beschlagnahmt), als auch Dmitry Vilensky verhaftet, ein Aktivist der Künstlergruppe Čto delat’?, den wir in Petersburg getroffen haben. Die September-Ausgabe ihrer Zeitung wurde konfisziert wegen eines Flugblatts, das sich kritisch mit dem Krieg im Kaukasus auseinander gesetzt hat. Wir sind ja genau pünktlich zum Kriegsausbruch in Moskau eingetroffen: am Abend des 7. Augusts 2008. Das war natürlich ein intensives Erlebnis. Gespenstisch fanden wir aber auch die Kalte-Kriegs-Rhetorik, die schlagartig wieder auftauchte im Westen (McCain & Palin). Als ich auf dem Roten Platz stand, musste ich unwillkürlich an all die Atomwaffen denken, die gerade auf mich gerichtet sind. Wie tragikomisch: Da hat man als Kind immer Angst gemacht bekommen vor den russischen Atomwaffen, nur um dann beim Moskau-Besuch von der NATO genuked zu werden… Spaß beiseite: Was uns wirklich beschäftigt hat, war die Frage, was eigentlich aus der Perestroika geworden ist. Immer wieder wurde diese Frage Thema, in allen Gesprächen, die wir geführt haben, ob mit Ex-Dissidenten, liberalen Journalisten oder linksradikalen Künstlern. Was ist schief gelaufen damals? Lag es nicht auch am Westen, der Russland nicht willkommen heißen wollte in der ‚freien Welt‘? Braucht der Westen diesen Spiegel? Heiner Müller hat am Ende seines Lebens von dem Moment geschrieben, in dem das Feindbild im Spiegel erscheint. Heute wäre es das Bild der dekadenten Oligarchen, der russischen Neureichen. Wenig schmeichelhaft…

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERAn: MAUSOLEUM BUFFO heißt Euer neuestes Stück. Offensichtlich handelt es sich um eine Anspielung auf Majakovskijs berühmtes Revolutionsstück Mysterium Buffo? Was hat es mit dem Verweis auf sich?

 

&Co: Von Majakovskij ist auch die Beschwörungsformel: „Lenin lebte, Lenin lebt, Lenin wird leben“, die wir im letzten Stück benutzt haben – und im Mausoleum vor uns hingemurmelt haben: Der Besuch bei Lenins Leiche war der Höhepunkt unsrer Reise! Uns interessiert dieser Totenkult – und die Frage, wo das „Gespenst des Kommunismus“ heute spukt, im Mausoleum oder in Lenins Holzhütte in Sibirien? (Laut Brecht ist das Gespenst ja freundlich zu Kindern…) Majakovskijs Suizid 1930 markiert einen radikalen Einschnitt und steht für die ungeheure Verschwendung an Talenten in dieser Zeit. Nach Heiner Müller ist das Scheitern des Kommunismus die große Tragödie des 20. Jahrhunderts – aber diese Tragödie hat natürlich auch eine komische Seite: Das ist der Buffo der Neo-Bourgeoisie, die ja von Majakovskij schon in den 20ern nach der Einführung der NEP (Neue Ökonomische Politik) aufs Korn genommen wurde. Dieser Spott ist natürlich für die heutigen Zustände mehr als aktuell. Die ‚rote Flut‘, jener revolutionäre Tsunami, den Majakovskij in seinem Stück beschreibt, hat in unsrer Lebenszeit eher als ‚Flut der Konterrevolution‘ stattgefunden, wenn man so will, als globale Ausbreitung des Marktes nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Diese Phase ist jetzt angeblich schon wieder vorbei… Aber wer weiß.

 

n: Dann wäre es doch an der Zeit für eine neue Revolution…

 

&Co: Laut Karl Marx ist ja der Weltmarkt die Voraussetzung des Kommunismus. Das hat Trotzki ja auch verkündet mit seinem Beharren auf der „Weltrevolution“. Insofern war Stalins Programm des „Aufbaus des Sozialismus in einem Lande“ wohl der paradoxe letzte Versuch, eben das zu verhindern! Die Stalin-Nostalgie ist natürlich ein Symptom der Globalisierungskrise. Interessanterweise ist Trotzki bis heute nicht rehabilitiert worden in Russland. Žižek hat ihn deswegen als Symptom all dessen bezeichnet, was am Leninschen Erbe verteidigenswert sei. Er ist wirklich der große Untote in dieser ganzen Geschichte, das Hauptgespenst. All diese ungerufnen Geister werden in unserm Stück auftauchen, ausgespuckt vom Mausoleum, in dem Lenin seit nun bald 85 Jahren liegt wie „Schneewittchen“. Wer weiß, vielleicht wird auch er eines Tages wach geküsst…

 

 

Zum Blog der Recherche-Reise in Russland: http://andcompany.livejournal.com

Homepage von andcompany&Co: http://www.andco.de

Kein Lenin ohne Lennon! - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Kein Lenin ohne Lennon!

Ein Inter­view mit andcompany&Co

 

andcompany&Co, gegründet 2003 von Alex­ander Kar­schnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma, bezeichnen sich selbst als Per­for­mance-Kol­lektiv, das nach dem Prinzip des Re-Mix und der Re-Ani­ma­tion arbeitet. Wie­der­auf­ge­legt werden ästhe­ti­sche, phi­lo­so­phi­sche und poli­ti­sche Ent­würfe und Phan­tasmen des 20. Jahr­hun­derts: Kom­mu­nismus, Kos­mo­nauten, Kalter Krieg – in eigener Abmi­schung. Die Per­for­mances bewegen sich zwi­schen Theater und Theorie, Politik und Praxis. Das Kol­lektiv arbeitet immer wieder mit wech­selnden Part­ne­rInnen zusammen. Zu sehen waren die Arbeiten von andcompany&Co u.a. auf dem Kunst­en­FES­TI­VAL­des­Arts in Brüssel, beim stei­ri­schen herbst, den Wiener Fest­wo­chen, in den Sophien­sälen sowie im HAU in Berlin. Novinki führte mit dem Kol­lektiv ein E‑Mail-Inter­view anläss­lich der jüngsten Pro­duk­tion, MAUSOLEUM BUFFO, die am 6. Januar 2009 am HAU 2 Pre­miere hat.

 

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novinki: In Eurer Tri­logie, die nun nach little red (play): ‚her­story‘ (2006) und TIME REPUBLIC (2007) mit MAUSOLEUM BUFFO (2009) zu einem Abschluss kommt, beschäf­tigt Ihr Euch mit dem Ende des Kom­mu­nismus, der Utopie des 20. Jahr­hun­derts. Woher kommt diese Obsession?

 

andcompany&Co: Am Anfang war der Wunsch, Nicolas Geschichte zu erzählen, die als ‚red diaper baby‘, also als Kind von Kom­mu­nisten in West-Deutsch­land geboren wurde. Die Vor­stel­lung, dass jedes Jahr ein Son­derzug der DKP vom Gleis 7 1/2 in Rich­tung DDR abge­fahren ist, um eine Horde Kinder ins Feri­en­lager zu bringen, klingt heute wie die Geschichte von Alice, die durch die Spiegel geht… Und tat­säch­lich hatte die DDR etwas von jenem Land hinter dem Spiegel, in dem zwei Weg­weiser auf der Straße stehen, die beide nach vorne zeigen in Rich­tung Fort­schritt, wäh­rend BRD & DDR sich wie Zwid­deldum & Zwid­deldei zur Schlacht rüsten: „Dass wir uns rüsten müssen, siehst Du wohl ein!“ – „Nein, umge­kehrt!“ Für die nächste Gene­ra­tion, die gerade voll­jährig geworden ist, ist diese Geschichte nun wirk­lich Geschichte im Sinne einer abge­schlos­senen Periode. Uns wurde klar, dass durch den Epo­chen­wechsel von 1989 das 21. Jahr­hun­dert schon längst begonnen hatte und wir also tat­säch­lich die letzte Gene­ra­tion des 20. Jahr­hun­derts gewesen sind – folgt man der Defi­ni­tion von Eric Hobs­bawm vom „kurzen Jahr­hun­dert“, das mit der Okto­ber­re­vo­lu­tion 1917 begonnen und mit der Auf­lö­sung der Sowjet­union 1991 geendet hat.

 

n: Was habt Ihr aus Nicolas Geschichte gemacht?

 

&Co: Wir haben meh­rere Jahre über diesem Mate­rial gebrütet, aber weil wir keine ‚authen­ti­sche Lebens­ge­schichte‘ prä­sen­tieren, son­dern kon­kret his­to­risch arbeiten wollten, brauchte es noch ein paar Begeg­nungen, bevor wir unsre Form gefunden haben. Eine davon war mit dem bil­denden Künstler Noah Fischer, mit dem wir meh­rere &Co.LABs gemacht haben, u.a. revo­lu­tio­nary timing in Man­hattan. Die Her­aus­for­de­rung, dieses Mate­rial im US-Kon­text zu aktua­li­sieren, hat uns ein gutes Stück wei­ter­ge­bracht. Uns wurde klar, dass man diese Geschichte nur als Geschichte zweier Anti­poden erzählen kann und dass gerade der Anti-Kom­mu­nismus unglaub­lich büh­nen­taug­li­ches Mate­rial zu bieten hat, wie die McCarthy Hea­rings, z.B. von Walt Disney. And­rer­seits war ja auch die Pro­test­be­we­gung, die in den USA begonnen hat, eine Aktua­li­sie­rung jenes Begeh­rens, das 1917 in Russ­land zur Been­di­gung des Ersten Welt­krieges durch die Bol­sche­wiki geführt hat. Daher galt für uns: Kein Lenin ohne Lennon!

 

PENTAX Image

n: In Euren Pro­duk­tionen arbeitet Ihr immer wieder in neuen Kon­stel­la­tionen, erprobt unter­schied­liche Koope­ra­tions-formen, des­halb wohl auch der Name andcompany&Co. Wie kam es zur Koope­ra­tion mit Bini Adamczak, der Autorin der beiden Bücher Kom­mu­nismus: Eine kleine Geschichte, wie end­lich alles anders wird (2006) und Ges­tern – Morgen: Über die Ein­sam­keit kom­mu­nis­ti­scher Gespenster und die Rekon­struk­tion der Zukunft (2007)?

 

&Co: Das Zusam­men­treffen mit Bini war unver­hofft. An einer mit­ter­nächt­li­chen lec­ture per­for­mance wäh­rend der inter­na­tio­nalen Kul­tur­kon­fe­renz Inde­ter­mi­nate! Kom­mu­nismus an der Uni Frank­furt stellte sie ihr Pro­jekt mit dem Titel „Kom­mu­nismus für Kinder“ vor. Ihr Ansatz, die mar­xis­ti­sche Theorie mensch­li­cher Eman­zi­pa­tion in einer kind­li­chen Sprache zu erklären (samt der Geschichte sämt­li­cher Ver­suche ihrer Rea­li­sa­tion, inklu­sive des Staats­so­zia­lismus als großen ‚Topf‘), war für uns wie eine Bestä­ti­gung des ein­ge­schla­genen Weges. Dar­über hinaus hat sich Bini auch noch als echtes Büh­nen­ta­lent erwiesen und war eine inspi­rie­rende Ko-Autorin. Mit ihr haben wir little red ent­wi­ckelt – eine kon­spi­ra­tive Kol­la­bo­ra­tion, die davon aus­geht, dass das Gespenst des Kom­mu­nismus noch unterm Büh­nen­boden rum­pelt und „Schwört!“ ruft… Dann kam Vettka Kiril­lova hinzu, die als ‚little blue‘ in der ehe­ma­ligen Sowjet­union auf­ge­wachsen ist. Ihr ver­danken wir u.a. die Geschichten vom ‚kleinen Lenin‘, die wir in TIME REPUBLIC wei­ter­ge­sponnen haben. Sie gehört zur ‚Gene­ra­tion Gor­bat­schow‘, über die Alexei Yurchak sein Buch geschrieben hat: „Ever­y­thing was Forever, Until it was No More: The Last Soviet Generation“.

 

n: Das sind ziem­lich hete­ro­gene Erfahrungen…

 

&Co: Wir haben zwar alle ganz unter­schied­liche Erfah­rungen, aber einig sind wir uns darin, dass bis­lang nie­mand das zen­trale Ereignis der fried­li­chen Selbst-Auf­lö­sung der Sowjet­union ver­standen hat. Diese Rat­lo­sig­keit wird dadurch ver­län­gert, dass sich die gegen­wär­tige Welt vom ‚ideo­lo­gi­schen Bal­last‘ des 20. Jahr­hun­derts befreit zu haben glaubt und somit jeg­li­ches Gewicht ver­loren hat und unge­bremst in die kom­menden Kata­stro­phen des 21. Jahr­hun­dert rast…

 

n: Für unsere Gene­ra­tion – egal ob vor oder hinter dem Spiegel – sind Kom­mu­nismus und Kind­heit für immer mit­ein­ander ver­bunden: Der Kalte Krieg bil­dete den Hin­ter­grund unserer frühen poli­ti­schen Sozia­li­sa­tion. Doch wir waren eben alle noch Kinder. Als Erwach­sene haben wir den Kom­mu­nismus als real­po­li­ti­sches System nie erlebt. Steckt in der Beto­nung des Kind­li­chen, die ja auch die Sprache Eurer Stücke stark mit­be­stimmt, die Hoff­nung, dass der Kom­mu­nismus anders erwachsen werden könnte, als er es in der Real­po­litik geworden ist? Ist der Rück­gang zur Kind­heit der Ver­such, eine Utopie wieder wirk­lich werden zu lassen, und sei es nur auf der Bühne? Oder ist die Kind­heit eine Art Maske, die es Euch gegen­wärtig erlaubt, Dinge anzu­spre­chen, die schon ange­schim­melt zu sein scheinen?

 

&Co: Bekannt­lich hat die bür­ger­liche Gesell­schaft in ihren päd­ago­gi­schen Insti­tu­tionen die Kind­heit aller­erst erfunden – und damit leider auch das Erwach­sen­sein. Seit Rous­seaus kleinem Émile ist des­halb das ver­all­ge­mei­nerte Bür­gertum mit einem tief nost­al­gi­schen Gemüt beseelt: Alle wollen eine glück­liche Kind­heit gehabt haben und trotz aller Liebe zur Lohn­ar­beit soll die Schul­zeit doch die schönste gewesen sein – die nie mehr wieder kommt. Den Kin­dern aber werden die wütenden Tränen wegen der zuge­fügten Erzie­hungs­schmerzen mit Bau­spar­ver­trägen getrocknet, mit dem Ver­spre­chen also, es werde A) alles gut und sie würden B) später ver­stehen, warum ihnen so viel Schlechtes angetan werden musste. A war natür­lich gelogen und an B scheiden sich die Gespenster. Wer noch Jahre später nicht ein­sehen will, wozu all die Ohr­feigen, Schuld­ge­fühle und Klein­fa­mi­lien nötig gewesen sein sollen, ist wohl Kom­mu­nistin geworden – oder geblieben. Für nichts hat der Kapi­ta­lismus (etwa vom Dop­pel­pär­chen Felix Marx & Gilles Engels) mehr Lob bekommen als für die Begehr­lich­keiten, die er weckt und trotz einer Armee von Nar­ko­ti­sisten doch nie ganz wieder zum Ein­pennen kriegt. Das Kind, das um nichts mehr bemüht ist als darum, mög­lichst schnell erwachsen zu werden, darf end­lich ange­kommen fest­stellen: Von Mün­dig­keit keine Spur, das Ziel heißt ab jetzt Rente, und so kuschlig wie in der Rück­pro­jek­tion wird’s auch nimmer. Ab hier hängen die einen ihre Träume, die ja doch nur Tränen bringen, an den Nagel (… in der Jugend kein Herz … im Alter keinen Ver­stand …) und werden erwachsen, also Antikommunistinnen

 

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n: …und haben dann keine Träume mehr?

 

&Co: Gemeint sind resi­gnierte Rea­lis­tinnen, wie Bini sie in ihrem zweiten Buch Ges­tern Morgen nennt, neid­voll Daheim­ge­blie­bene, die scha­den­freudig auf die Nach­richt von der auf hoher See ersof­fenen Schwester warten. Die zweiten drehen das bür­ger­liche Bild um und behaupten mit Pablo Picasso, es dauere lange bis mensch jung werde. Die kom­mu­nis­ti­sche Kind­heit liege in ferner Zukunft und je erwach­sener und kälter wir jetzt würden, um so schneller kämen wir (wieder) ins Warme. Das sind die Leni­nis­tinnen, die so reden. Von ihnen werden alle, die noch ein biss­chen mehr wollen, im Namen Lenins der ‚Kin­der­krank­heit des Links­ra­di­ka­lismus‘ bezich­tigt. Dieser Krank­heit bezich­tigen wir uns gern. Und obwohl wir uns uneinig sind, wie viel von Lenins ewig jugend­li­cher Leiche eigent­lich zu kon­ser­vieren bleibt, betrachten wir den Umstand, dass es noch Spuren leni­nis­ti­scher Dis­zi­plin in der Pro­duk­tion gibt, um den kin­di­schen Wahn­sinn auf die Bühne zu bringen, als das Elend der Kunst im Kapi­ta­lismus. Der Kom­mu­nismus muss also nicht anders erwachsen werden, son­dern gar nicht. Die Erwach­senen müssen Kinder werden, also Kom­mu­nis­tinnen. Kom­mu­nismus für Kinder eben.

 

n: Das klingt reich­lich pro­gram­ma­tisch. Eigent­lich wollten wir nur wissen, warum und wie Ihr in Euren Stü­cken mit der Per­spek­tive des Kindes arbeitet? Wenn in den acht­ziger Jahren eine Horde Kinder mit einem Son­derzug der west­deut­schen DKP in Rich­tung DDR fährt, dann kommen die ja nicht im Kom­mu­nismus, son­dern im Real­so­zia­lismus an, der in Form der DDR spieß­bür­ger­lich und klein­ka­riert war. Von kin­di­schem Wahn­sinn dürfte da wenig zu spüren gewesen sein. Wie also geht das Erfah­rungs­ma­te­rial, das zu einem guten Teil aus Eurer Kind­heit stammt, in die Pro­duk­tion ein, wie wird es ver­ar­beitet, aktualisiert?

 

&Co: Ver­lo­ckend ist es, mit Knarf Rellöm zu ant­worten: „Das war kein Sozia­lismus. Das war Spie­ßer­kram. Wir sind nicht am Ende. Wir fangen an.“ Aber womit? Eigent­lich geht es uns gar nicht in erster Linie um die real-exis­tie­rende His­torie, son­dern um die vir­tu­elle – nicht um das, was war, son­dern das, was nicht war und des­wegen immer noch mög­lich zu sein scheint: „Was gewesen ist, west an, was werden wird, wissen wir nicht, wir wissen nur, wie es nicht gewesen ist, denn so wie es gewesen ist, war es nie im Leben, ist nicht wahr, was war, wird es nie gewesen sein.“

 

n: Hört sich an wie Ernst Bloch.

 

&Co: Kann gut sein – ist aber von uns: aus­nahms­weise, möchte man fast dazu sagen, wo wir doch alles durch die Remix-Mühle drehen. Aber Bloch ist gebongt, der gehört natür­lich zu den ganz Großen – oder eben: ganz Kleinen!

 

n: Kann man Real­so­zia­lismus und Utopie wirk­lich so deut­lich trennen? Schließ­lich war die kom­mu­nis­ti­sche Utopie bzw. das Uto­pi­sche kon­sti­tu­ie­render Bestand­teil des Real­so­zia­lismus, so wie das Para­dies zur Reli­gion christ­li­chen Zuschnitts gehört. Ist nicht das zur Utopie gehö­rende Ver­spre­chen das eigent­lich Dilemma sol­cher Gesellschaftsentwürfe?

 

&Co: Bleiben wir bei Bloch, ganz am Ende von Prinzip Hoff­nung schreibt er von der Heimat, die keiner kennt, weil noch keiner je da war. Das trifft’s doch ziem­lich genau: Eine Sehn­sucht nach etwas, das noch nie da war, aber was zutiefst bekannt zu sein scheint – daher kommt wahr­schein­lich die bibli­sche Geschichte von der Ver­trei­bung aus dem Para­dies, Ur-Kom­mu­nismus, Hippie-Horde oder wha­tever… Keine Karte der Welt ist voll­ständig, in der Utopia nicht ein­ge­zeichnet ist, sagt Oscar Wilde. Mehr als hun­dert Jahre nach der Ver­voll­stän­di­gung der Kar­to­gra­phie, geht es viel­leicht wieder darum, Zonen her­aus­zu­ra­dieren, Spuren zu ver­wi­schen, z.B. die Umrisse der ehe­ma­ligen Sowjet­union. Das Uto­pi­sche an der UdSSR war ja – laut Der­rida – der Name, der eben nicht auf irgendein real-exis­tie­rendes Ter­ri­to­rium ver­wiesen hat. Heimat also eben nicht als Hei­mat­erde, son­dern fremde Räume, ferne Planeten…

 

n: Lasst uns zur Bühne zurück­kommen. Wie habt Ihr das, was nicht war, das Uto­pi­sche, gezeigt?

 

&Co: Das liest sich alles schwerer, als es sich auf der Bühne anhört. Trotzdem spielen wir natür­lich mit einer realen Geschichte: Nicolas Ver­ab­re­dung mit ihren Pio­nier-Freun­dinnen aus dem Kin­der­fe­ri­en­lager, sich im Jahr 2000 an der Welt­zeituhr auf dem Alex zu treffen. Nicola ist nicht hin­ge­gangen, und es ist zwei­fel­haft, ob irgend­je­mand von damals dort war – aber die Vor­stel­lungen, die man sich damals vom Jahr 2000 gemacht hat, die inter­es­sieren uns! Der Jahr­tau­send­wechsel war ja ein völlig leeres Ereignis. Dabei haben sich mit diesem Datum viele Hoff­nungen und Ängste ver­bunden – gerade auch im Sozia­lismus. Es gibt einen schönes Buch über den „Tag X“ in der Geschichte, darin: „Wie der DDR das Jahr 2000 abhanden gekommen ist“. Darin wird auf­ge­zeigt, wie stark der Bezug auf diesen Zeit­punkt zunächst war (Johannes R. Bechers letztes Gedicht endet mit dem Aus­blick auf die Mill­en­ni­ums­nacht), doch je näher er rückte, desto mehr hat sich das ver­flüch­tigt: Als nix mehr übrig war von der uto­pi­schen Sub­stanz ist dieser Staat ein­fach in sich zusam­men­ge­bro­chen: „Ohne Uff zu sagen“, wie Trotzki das über die pro­vi­so­ri­sche Regie­rung im Oktober 1917 gesagt hat. Nie­mand scheint bis heute so recht kapiert zu haben, wie’s dazu kam – so wie wir damals als Kinder! Wahr­schein­lich scheint uns des­wegen diese Per­spek­tive so ver­lo­ckend. Aber viel­leicht geht es gar nicht so sehr darum, sich wieder ein­zu­fühlen in einen naiven Zustand vor dem Sün­den­fall der poli­ti­schen Sozia­li­sa­tion, son­dern um ein ‚Kind-Werden‘ im deleu­zia­ni­schen Sinne, eine ‚Ver­klei­ne­rung‘ oder ‚Mino­ri­sie­rung‘ der Geschichte der Großen. Des­wegen gefielen uns auch die Erzäh­lungen vom „kleinen Lenin“, die in der SU ja völlig ernst gemeint waren. Bei uns hört sich das dann so an: „Als Lenin klein war, hatte er eine drei­bei­nige Hündin mit dem Namen Laika. Lenin liebte diese Hündin sehr, denn sie beherrschte die Schwe­re­lo­sig­keit. Wenn Lenin mit ihr spa­zieren ging, dann schwebte sie wie ein Ballon an ihrer Leine über ihm, und wenn sie bellte dann klang das wie Sternengesang.“

 

n: Ihr spielt auf Michail Zoščenkos Geschichten über Lenin (Rass­kazy o Lenine, 1940) an, die Zoščenko mit der Bemer­kung „geschrieben für Kinder im Vor­schul­alter“ ver­sehen hatte? Zoščenko war aller­dings in der Sowjet­union vor allem als Sati­riker bekannt…

 

&Co: Das ist wirk­lich Real-Satire. Für das neue Stück haben wir auch Michail Šatrovs Stück Dik­tatur des Gewis­sens gelesen (Ori­gi­nal­titel: Dik­ta­tura sovesti, abge­druckt in Theater Heute 2/88), in der es zu einer „Gerichts­ver­hand­lung über Lenin“ kommt im Stile der alten Agit­prop-Schau­pro­zesse, und da gibt es genau so einen Moment: „Als Lenin klein war mit Locken so lang, schlit­terte auch er auf der Eis­bahn am Hang.“ Und dann wird Lenin zum Vor­reiter der Umwelt­schutz­be­we­gung erklärt, weil er aus Papier­mangel immer jedes Blatt so eng voll geschrieben hat: „Weil er immerzu an die hei­mat­li­chen Wälder dachte, an die, die im 21. Jahr­hun­dert atmen müssen.“ Das hat natür­lich etwas Aber­wit­ziges. Man stelle sich Lenin vor, der sich so was anhören muss: „Was sollen diese Schweinereien?“

 

n: Vor ein paar Monaten wart Ihr auf einer Recher­che­reise in Moskau. War das der erste Russ­land­auf­ent­halt? Was habt Ihr recher­chiert? Und was macht Ihr aus dem gesam­melten Material?

 

&Co: Wir waren zum ersten Mal in Russ­land – außer Vettka natür­lich, die die Reise für uns vor­be­reitet hat. Die erste Über­ra­schung war, wie nah zwei unsrer Ziele neben­ein­ander lagen: das Maja­kovskij-Museum und die Lub­janka. Das Wohn­haus, in dem Maja­kovskij gewohnt hat, liegt direkt gegen­über dem berüch­tigten Head­quarter des Geheim­dienstes. Im ers­teren hatten wir eine Füh­rung, im zweiten natür­lich nicht – es wird ja noch benutzt. Zwar hängen ein paar Tafeln an der Außen­seite – aber keine Gedenk­tafel für die Opfer. Ein Mili­zionär hat uns dann auch das Foto­gra­fieren ver­bieten wollen. Wir haben einen Blog ange­legt, in dem wir unsre Ein­drücke doku­men­tiert haben. Das ist fast ein eigen­stän­diges Pro­jekt, denn die Erleb­nisse tau­chen nur ver­mit­telt im Stück auf. Im Mit­tel­punkt stand der Besuch des Roten Platzes und des Mau­so­leums. Gleich­zeitig waren wir auf der Suche nach den Spuren der deut­schen Anti­fa­schisten, die nach Moskau ins Exil gegangen und dort ver­schwunden sind. Oder abge­schoben wurden, zurück nach NS-Deutsch­land. (Über diese nie­der­schmet­ternden Geschichte hat Bini ihr zweites Buch, Ges­tern Morgen, geschrieben).

 

n: Habt Ihr Spuren gefunden?

 

&Co: Die Füh­rung durchs ‚deut­sche Moskau‘ war wenig ergiebig. Dafür haben wir eine Frau getroffen, die als Kind im Hotel Lux auf­ge­wachsen ist und heute in Tver’ auf ihrer Dat­scha lebt: Wal­traut Schä­like, eine wirk­lich beein­dru­ckende Frau, mit der wir sehr inten­sive Gespräche geführt haben. Sie hat ihre Erin­ne­rungen auf­ge­schrieben: Ich wollte keine Deut­sche sein. Und ein kleines Büch­lein zur mar­xis­ti­schen Theorie. (Sie findet, dass man in Russ­land Marx immer falsch inter­pre­tiert hat. Marx ginge es gar nicht in erster Linie um die Pro­duk­tion, son­dern um den mensch­li­chen Ver­kehr.) Wir haben in Peters­burg dank der Ver­mitt­lung von Memo­rial wei­tere Zeit­zeugen gespro­chen, die als Dis­si­denten ver­folgt worden sind, u.a. den ein­zigen noch lebenden Zeugen des Großen Ter­rors der 30er. Er war damals ein glü­hender Kom­mu­nist, sagt er, der sich selbst an der Ent­ku­la­ki­sie­rungs-Kam­pagne betei­ligt hat: Die Täter-Opfer-Spi­rale ist typisch für den Stalinismus.

 

n: Was wolltet Ihr genau herausfinden?

 

&Co: Wir wollten wissen, wie man heute mit dieser Geschichte umgeht, ob um die Opfer – und den Kom­mu­nismus – getrauert wird. Wir haben dabei sehr resi­gnierte Ant­worten bekommen. Man hat uns von einer nost­al­gi­schen Renais­sance des Stalin-Kults erzählt, der Abstim­mung im Internet, „Name of Russia“, in der Stalin den dritten Platz belegt hat, die Sicht auf ihn als ‚Top-Manager‘ in einem neueren Schul­buch und die Initia­tive, Wol­go­grad in Sta­lin­grad zurück zu benennen, usw. Wir haben cou­ra­gierte alte Leute getroffen, die sehr unzu­frieden sind mit den jet­zigen Zuständen.

 

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n: Memo­rial, 1988 von And­reij Sacharov gegründet, ist einige der wenigen Men­schen­rechts-orga­ni­sa­tionen, die sich um die Auf­ar­bei­tung des Sta­li­nismus und der tota­li­tären Gesell­schaft küm­mert. Leider müssen sie unter immer kom­pli­zierter wer­denden Bedin­gungen arbeiten.

 

&Co: Genau, seit unsrem Auf­ent­halt wurde sowohl die Memo­rial-Zweig­stelle in Peters­burg von der Polizei durch­sucht (und die Com­puter mit den Zeug­nissen über die Ver­fol­gungen beschlag­nahmt), als auch Dmitry Vilensky ver­haftet, ein Akti­vist der Künst­ler­gruppe Čto delat’?, den wir in Peters­burg getroffen haben. Die Sep­tember-Aus­gabe ihrer Zei­tung wurde kon­fis­ziert wegen eines Flug­blatts, das sich kri­tisch mit dem Krieg im Kau­kasus aus­ein­ander gesetzt hat. Wir sind ja genau pünkt­lich zum Kriegs­aus­bruch in Moskau ein­ge­troffen: am Abend des 7. Augusts 2008. Das war natür­lich ein inten­sives Erlebnis. Gespens­tisch fanden wir aber auch die Kalte-Kriegs-Rhe­torik, die schlag­artig wieder auf­tauchte im Westen (McCain & Palin). Als ich auf dem Roten Platz stand, musste ich unwill­kür­lich an all die Atom­waffen denken, die gerade auf mich gerichtet sind. Wie tra­gi­ko­misch: Da hat man als Kind immer Angst gemacht bekommen vor den rus­si­schen Atom­waffen, nur um dann beim Moskau-Besuch von der NATO genuked zu werden… Spaß bei­seite: Was uns wirk­lich beschäf­tigt hat, war die Frage, was eigent­lich aus der Pere­stroika geworden ist. Immer wieder wurde diese Frage Thema, in allen Gesprä­chen, die wir geführt haben, ob mit Ex-Dis­si­denten, libe­ralen Jour­na­listen oder links­ra­di­kalen Künst­lern. Was ist schief gelaufen damals? Lag es nicht auch am Westen, der Russ­land nicht will­kommen heißen wollte in der ‚freien Welt‘? Braucht der Westen diesen Spiegel? Heiner Müller hat am Ende seines Lebens von dem Moment geschrieben, in dem das Feind­bild im Spiegel erscheint. Heute wäre es das Bild der deka­denten Olig­ar­chen, der rus­si­schen Neu­rei­chen. Wenig schmeichelhaft…

 

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n: MAUSOLEUM BUFFO heißt Euer neu­estes Stück. Offen­sicht­lich han­delt es sich um eine Anspie­lung auf Maja­kovs­kijs berühmtes Revo­lu­ti­ons­stück Mys­te­rium Buffo? Was hat es mit dem Ver­weis auf sich?

 

&Co: Von Maja­kovskij ist auch die Beschwö­rungs­formel: „Lenin lebte, Lenin lebt, Lenin wird leben“, die wir im letzten Stück benutzt haben – und im Mau­so­leum vor uns hin­ge­mur­melt haben: Der Besuch bei Lenins Leiche war der Höhe­punkt unsrer Reise! Uns inter­es­siert dieser Toten­kult – und die Frage, wo das „Gespenst des Kom­mu­nismus“ heute spukt, im Mau­so­leum oder in Lenins Holz­hütte in Sibi­rien? (Laut Brecht ist das Gespenst ja freund­lich zu Kin­dern…) Maja­kovs­kijs Suizid 1930 mar­kiert einen radi­kalen Ein­schnitt und steht für die unge­heure Ver­schwen­dung an Talenten in dieser Zeit. Nach Heiner Müller ist das Schei­tern des Kom­mu­nismus die große Tra­gödie des 20. Jahr­hun­derts – aber diese Tra­gödie hat natür­lich auch eine komi­sche Seite: Das ist der Buffo der Neo-Bour­geoisie, die ja von Maja­kovskij schon in den 20ern nach der Ein­füh­rung der NEP (Neue Öko­no­mi­sche Politik) aufs Korn genommen wurde. Dieser Spott ist natür­lich für die heu­tigen Zustände mehr als aktuell. Die ‚rote Flut‘, jener revo­lu­tio­näre Tsu­nami, den Maja­kovskij in seinem Stück beschreibt, hat in unsrer Lebens­zeit eher als ‚Flut der Kon­ter­re­vo­lu­tion‘ statt­ge­funden, wenn man so will, als glo­bale Aus­brei­tung des Marktes nach dem Fall des Eisernen Vor­hangs. Diese Phase ist jetzt angeb­lich schon wieder vorbei… Aber wer weiß.

 

n: Dann wäre es doch an der Zeit für eine neue Revolution…

 

&Co: Laut Karl Marx ist ja der Welt­markt die Vor­aus­set­zung des Kom­mu­nismus. Das hat Trotzki ja auch ver­kündet mit seinem Beharren auf der „Welt­re­vo­lu­tion“. Inso­fern war Sta­lins Pro­gramm des „Auf­baus des Sozia­lismus in einem Lande“ wohl der para­doxe letzte Ver­such, eben das zu ver­hin­dern! Die Stalin-Nost­algie ist natür­lich ein Sym­ptom der Glo­ba­li­sie­rungs­krise. Inter­es­san­ter­weise ist Trotzki bis heute nicht reha­bi­li­tiert worden in Russ­land. Žižek hat ihn des­wegen als Sym­ptom all dessen bezeichnet, was am Lenin­schen Erbe ver­tei­di­gens­wert sei. Er ist wirk­lich der große Untote in dieser ganzen Geschichte, das Haupt­ge­spenst. All diese unge­rufnen Geister werden in unserm Stück auf­tau­chen, aus­ge­spuckt vom Mau­so­leum, in dem Lenin seit nun bald 85 Jahren liegt wie „Schnee­witt­chen“. Wer weiß, viel­leicht wird auch er eines Tages wach geküsst…

 

 

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