http://www.novinki.de

Felder und Schlachtfelder: Vladislav Vančuras Roman Pole orná a válečná

Posted on 5. Januar 2018 by Stefan Simonek
Mit Anklängen an die Bibel und den Expressionismus erzählt Vladislav Vančura in wortgewaltiger wie gedrängter, der avantgardistischen Ästhetik der Verfremdung verpflichteter Manier von den Schrecken des Ersten Weltkrieges und dem apokalyptischen Ende der alten Welt. Jetzt ist dieser 1925 veröffentlichte, in seiner komplexen Bildhaftigkeit immer noch herausfordernde Roman des tschechischen Autors erstmals in kongenialer deutscher Übersetzung erschienen.

Mit Anklängen an die Bibel und den Expressionismus erzählt Vladislav Vančura in wortge­wal­tiger wie gedrängter, der avantgardistischen Ästhetik der Verfremdung verpflichteter Ma­nier von den Schrecken des Ersten Weltkrieges und dem apokalyptischen Ende der alten Welt. Jetzt ist dieser 1925 veröffentlichte, in seiner komplexen Bildhaftigkeit immer noch heraus­for­dernde Ro­man des tschechischen Autors erstmals in kongenialer deutscher Übersetzung er­schie­nen.

 

Die tschechische literarische Avantgarde der 1920er Jahre mit der Vereinigung „Devětsil“ (Pestwurz) im Zentrum steht über Lyriker wie Jaroslav Seifert oder Vítězslav Nezval für einen spielerisch-heiteren, der zeitgenössischen Wirk­lich­keit der Großstadt und der Technik zugewandten Blick auf die Welt. Mit einigen dieser Autoren ist Vladislav Vančura auf den dem Band beigefügten Photographien auch gemeinsam zu sehen.

 

vancura-Sonnendeck

Vančura und Nezval im Liegestuhl. © Arco Verlag

 

Über das vollständige Fehlen des Spielerischen freilich unterscheidet sich der 1925 in gleich zwei verschiedenen Prager Verlagen herausgebrachte Roman auffällig von der künst­le­ri­schen Praxis des tschechischen Poetismus. Gleichzeitig belegt er im Rückgriff auf Techni­ken des Ex­pres­sio­nismus auch die Bedingtheit literaturgeschichtlicher Zuschreibungen.

 

„Alle Straßen münden in schwarze Verwesung“

Der von Vančura bewusst gesetzte Rückgriff auf expressionistische Techniken (wie etwa eine verknappte Ausdrucksweise oder eine verdichtete Metaphorik) verleiht dem Roman zusammen mit einem deut­­­lichen, auf die Apokalypse rekurrierenden Intertext seine klar mar­kierte, historische Position in der europäischen Literatur der 1920er Jahre. Daneben liegt aber gerade hier auch jenes provokative Moment, das min­des­tens den kon­ser­vativeren Teil der zeitgenössischen tschechischen Kritik irritierte und das auch dank der ge­nauen und methodologisch reflektierten Übertragung von Kristina Kallert heute noch vi­ru­lent scheint. Beide Punkte, also die notwendige literaturhistorische Kon­tex­tua­li­­sierung wie auch die prinzipielle Übersetzbarkeit des Romans, werden in zwei auf­schluss­rei­chen, ein­an­der sinnvoll ergänzenden Nachbemerkungen der Übersetzerin und des Heraus­ge­bers Jiří Holý er­läutert (Ho­lýs Nachwort wurde von Gertraude Zand ins Deutsche übertragen). Auch die dem Band bei­­ge­fügten militärgeschichtlichen Anmerkungen zu den verschiedenen von Van­­čura er­wähnten Schlachten im Raum Galizien bieten eine willkommene Zu­satz­in­for­ma­ti­on, wenn auch lei­der die auf den Haupttext verweisenden Seitenzahlen dieses Kommentars durch­ge­hend falsch angeführt sind.

Neben der spezifischen Bildsprache des Romans stellt auch dessen signifikant reduzierte Su­jetführung, ganz der Poetik der historischen Avantgarde ge­schul­det, einen weiteren Faktor dar, der eine problemlose und rasche Lektüre des Textes erschwert. Vančuras Aus­gangs­punkt ist un­ge­achtet der Produktion eines narrativen Textes nicht die Verknüpfung von Er­zähl­­linien, die sich an kontrastierenden Figuren orientiert, sondern das poetische Wort in sei­ner se­man­ti­schen Va­lenz. Konsequenterweise erscheinen dann auch die insgesamt zwölf Ka­pitel, in die der Autor sei­nen Roman gliedert, weniger als Einheiten einer sich sukzessive ent­fal­tenden Er­zähl­hand­lung, sondern eher als nur lose miteinander verknüpfte Tableaus. Diese werden über bestimmte sich wie­der­holende Motive wie Sterne, Erde oder Wasser sowie über die psy­cho­logisch kaum ve­r­tief­ten Zentralfiguren zusammengehalten

 

„Der Schmerz presste die zahllosen blutigen Glieder“

Die fehlende Innenschau der Figuren versteht sich freilich nicht als künstlerisches Defizit des Romanes, sondern ist dessen expressionistisch grundierter Poetik der Groteske geschuldet, die eine solche a priori nicht zulässt. Folgerichtig betrifft sie auch jene beiden sozialen Grup­pie­rungen, die Vančura in den ersten beiden Kapiteln des Romans gegenüberstellt – die zwei antagonistisch konzipierten Knechte František Hora (= Berg) und František Řeka (= Fluss) und die Mägde im fiktiven Dorf Ouhrov (mitsamt der traditionellen Figur des jüdischen Schank­wirts) sowie die adelige Herrschaft in Gestalt von Baron Maximilian Danowitz und sei­­n­en beiden Söhnen, dem Offizier Erwin und dem schwächlichen, ins Kloster ab­ge­scho­be­nen Josef. Sie alle, Adelige wie Knechte, Frauen wie Männer, Juden, Tschechen und Deut­sche, erscheinen als Marionetten, die primär von ihren Trieben gesteuert sind und im Ver­lauf der nur lose skizzierten Romanhandlung an den verschiedenen Schauplätzen der Hand­­lung – dem Gut in Ouhrov, der Großstadt mit ihren Bordellen und Kasernen, an der Front in Galizien und in den Spitälern in Krakau – zu­ein­ander in Re­la­tion gebracht werden.

 

Als die existenziellen Klammern, mit denen Vančura seine Handlung zusammenhält, er­weisen sich ein konsequent ins Negative gewendeter Eros und ein in der Regel als mi­li­tä­rische oder individuelle Gewalt erlebter Thanatos. Der halb wahnsinnige Ochsenknecht Řeka erhängt nach einem gescheiterten Versuch, den Schankwirt zu ermorden, zunächst Hora, ehe er einrücken und die Grauen eines technisierten Krieges in Galizien am eigenen Leib erleben muss. Dem standesbewussten Erwin bleibt der ersehnte Heldentod in der Schlacht versagt, er stirbt im Lazarett an der Ruhr. In den Spitälern von Krakau kommen schließlich die Zen­tral­fi­guren wieder zusammen. Baron Maximilian trifft auf seine zwei Söhne. Eben­so tauchen die Dir­ne Theresia, die nunmehr als Pflegerin tätig ist und Erwin noch­mals sehen möchte, sowie die fran­zösische Mätresse Maximilians wieder auf. Řeka erduldet auf dras­ti­sche Weise die Ge­sichtslosigkeit des modernen Krieges, da ihm selbst ein Teil des Ge­­sichtes weggeschos­sen wurde, und erlebt in einer abschließenden hal­lu­zi­nato­ri­schen Szene sein eigenes Begräb­nis mit allen dazugehörigen militärischen Ehren.

 

„Es fing die höllische Qual an“

Korrespondierend dazu und in signifikantem Kon­trast zu den Texten des tschechischen Po­etis­mus inklusive von Vančuras anderen Ro­ma­nen und Erzählungen, in denen Erotik und Se­xu­a­li­tät zu­­meist positiv funktionalisiert sind, werden sie hier immer mit einem Merkmal des Schmut­zi­gen und Ekelhaften versehen, das sich je nach so­­zialer Schicht in jeweils un­ter­schied­licher Weise manifestiert. Die einzige Figur, die dieser all­um­fas­senden Degradation ent­­­hoben ist – die Magd Anna – stirbt bezeichnenderweise bereits im ersten Kapitel zu­sam­men mit ihrem noch ungeborenen Kind. Als indirekten Kontrapunkt dazu evo­zie­ren die Schluss­passagen in adventistischer Manier das Her­auf­kom­men ei­nes neuen Zeit­alters, das anders als das untergegangene auch von sozialer Ge­rech­tig­keit ge­prägt sein wird.

Vielleicht vermag abschließend ein Blick auf den komplexen Titel des Romans dessen präzi­se­re literaturgeschichtliche Positionierung zu umreißen. Die Titel gebenden Felder sind so­wohl solche, auf denen gepflügt und geerntet wird („pole orná“), als auch die im Beschuss um­­gepflügten Schlacht­felder des Ersten Weltkrieges („pole válečná“). Über die expressionis­ti­sche Darstellung dieser Schlacht­felder selbst und der damit verbundenen Zurichtung der Re­kru­­ten kor­­res­pondiert Vančuras Roman etwa mit Georg Trakls berühmtem Gedicht Gro­dek, mit Mi­ro­slav Krležas Erzählung Baraka pet be (Baracke 5 b) oder auch mit Józef Wittlins pa­zifis­ti­schem Roman Sól ziemi (Das Salz der Erde); die­sen Texten sind auch die drei vorange­gan­ge­nen Zwischenüberschriften ent­nom­­men.

Gleichzeitig geht der Roman über die Dar­stel­lung bäuerlicher Lebenswelten aber auch von einer literarischen Tradition der Böhmischen Länder im 19. Jahrhundert aus, nur um diese im Zeichen der his­to­rischen Avantgarde der 1920er Jahre radikal zu ver­ab­schieden: Die kontrastierende Dar­stel­lung von tschechischem Dorf und deutschem Schloss gleich in den ersten beiden Kapiteln lässt als Hintergrundfolie die Dorf- und Schloss­ge­schicht­e durchscheinen, die in unterschied­li­cher Form etwa von Božena Němcová und Marie von Ebner-Eschenbach realisiert wurde. Vielleicht mag diese literarische Genealo­gie spekula­tiv erscheinen, Vančuras Sensorium für Probleme der Literaturtheorie ist in dem Band jeden­falls nachdrücklich dokumentiert: Einige der von Kristina Kallert aus dem Nach­lass des Au­tors zitierten Passagen lesen sich wie Auszüge aus den strukturalistischen Aufsätzen von Jan Mu­kařovský und belegen so nachdrücklich die für die Avantgarde insgesamt kenn­zeichnende Engführung von theoretischer Modellbildung und künstlerischer Praxis. Der Um­stand, dass man über diese wichtige Facette von Vančuras Schaffen gewissermaßen en pas­sant in Kennt­nis gesetzt wird, kann abschließend als ein weiterer Pluspunkt dieser insge­samt höchst gelungenen wie beein­dru­ckenden Ausgabe vermerkt werden.

 

Vančura, Vladislav: Felder und Schlachtfelder. Aus dem Tschechischen von Kristina Kallert. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Jiří Holý (= Bibliothek der Böhmischen Länder Bd. XI). Wuppertal: Arco, 2017.

Vančura, Vladislav: Pole orná a válečná. Praha: Družstevní práce, 1925..

Felder und Schlachtfelder: Vladislav Vančuras Roman Pole orná a válečná - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Felder und Schlacht­felder: Vla­dislav Vančuras Roman Pole orná a válečná

Mit Anklängen an die Bibel und den Expres­sio­nismus erzählt Vla­dislav Vančura in wortge­wal­tiger wie gedrängter, der avant­gar­dis­ti­schen Ästhetik der Ver­frem­dung ver­pflich­teter Ma­nier von den Schre­cken des Ersten Welt­krieges und dem apo­ka­lyp­ti­schen Ende der alten Welt. Jetzt ist dieser 1925 ver­öf­fent­lichte, in seiner kom­plexen Bild­haf­tig­keit immer noch heraus­for­dernde Ro­man des tsche­chi­schen Autors erst­mals in kon­ge­nialer deut­scher Über­set­zung erschienen.

 

Die tsche­chi­sche lite­ra­ri­sche Avant­garde der 1920er Jahre mit der Ver­ei­ni­gung „Devětsil“ (Pest­wurz) im Zen­trum steht über Lyriker wie Jaroslav Sei­fert oder Vítěz­slav Nezval für einen spie­le­risch-hei­teren, der zeit­ge­nös­si­schen Wirk­lich­keit der Groß­stadt und der Technik zuge­wandten Blick auf die Welt. Mit einigen dieser Autoren ist Vla­dislav Vančura auf den dem Band bei­gefügten Pho­to­gra­phien auch gemeinsam zu sehen.

 

vancura-Sonnendeck

Vančura und Nezval im Lie­ge­stuhl. © Arco Verlag

 

Über das voll­stän­dige Fehlen des Spie­le­ri­schen frei­lich unter­scheidet sich der 1925 in gleich zwei ver­schie­denen Prager Ver­lagen her­aus­ge­brachte Roman auf­fällig von der künst­le­ri­schen Praxis des tsche­chi­schen Poe­tismus. Gleich­zeitig belegt er im Rück­griff auf Techni­ken des Ex­pres­sio­nismus auch die Bedingt­heit lite­ra­tur­ge­schicht­li­cher Zuschreibungen.

 

„Alle Straßen münden in schwarze Verwesung“

Der von Vančura bewusst gesetzte Rück­griff auf expres­sio­nis­ti­sche Tech­niken (wie etwa eine ver­knappte Aus­drucks­weise oder eine ver­dich­tete Meta­phorik) ver­leiht dem Roman zusammen mit einem deut­­­lichen, auf die Apo­ka­lypse rekur­rie­renden Inter­text seine klar mar­kierte, his­to­ri­sche Posi­tion in der euro­päi­schen Lite­ratur der 1920er Jahre. Daneben liegt aber gerade hier auch jenes pro­vo­ka­tive Moment, das min­des­tens den kon­ser­vativeren Teil der zeit­ge­nös­si­schen tsche­chi­schen Kritik irri­tierte und das auch dank der ge­nauen und metho­do­lo­gisch reflek­tierten Über­tra­gung von Kris­tina Kal­lert heute noch vi­ru­lent scheint. Beide Punkte, also die not­wen­dige lite­ra­tur­his­to­ri­sche Kon­tex­tua­li­­sierung wie auch die prin­zi­pi­elle Über­setz­bar­keit des Romans, werden in zwei auf­schluss­rei­chen, ein­an­der sinn­voll ergän­zenden Nach­be­mer­kungen der Über­set­zerin und des Heraus­ge­bers Jiří Holý er­läutert (Ho­lýs Nach­wort wurde von Ger­traude Zand ins Deut­sche über­tragen). Auch die dem Band bei­­ge­fügten mili­tär­ge­schicht­li­chen Anmer­kungen zu den ver­schie­denen von Van­­čura er­wähnten Schlachten im Raum Gali­zien bieten eine will­kom­mene Zu­satz­in­for­ma­ti­on, wenn auch lei­der die auf den Haupt­text ver­wei­senden Sei­ten­zahlen dieses Kom­men­tars durch­ge­hend falsch ange­führt sind.

Neben der spe­zi­fi­schen Bild­sprache des Romans stellt auch dessen signi­fi­kant redu­zierte Su­jetführung, ganz der Poetik der his­to­ri­schen Avant­garde ge­schul­det, einen wei­teren Faktor dar, der eine pro­blem­lose und rasche Lek­türe des Textes erschwert. Vančuras Aus­gangs­punkt ist un­ge­achtet der Pro­duk­tion eines nar­ra­tiven Textes nicht die Ver­knüp­fung von Er­zähl­­linien, die sich an kon­tras­tie­renden Figuren ori­en­tiert, son­dern das poe­ti­sche Wort in sei­ner se­man­ti­schen Va­lenz. Kon­se­quen­ter­weise erscheinen dann auch die ins­ge­samt zwölf Ka­pitel, in die der Autor sei­nen Roman glie­dert, weniger als Ein­heiten einer sich suk­zes­sive ent­fal­tenden Er­zähl­hand­lung, son­dern eher als nur lose mit­ein­ander ver­knüpfte Tableaus. Diese werden über bestimmte sich wie­der­holende Motive wie Sterne, Erde oder Wasser sowie über die psy­cho­logisch kaum ve­r­tief­ten Zen­tral­fi­guren zusammengehalten

 

„Der Schmerz presste die zahl­losen blu­tigen Glieder“

Die feh­lende Innen­schau der Figuren ver­steht sich frei­lich nicht als künst­le­ri­sches Defizit des Romanes, son­dern ist dessen expres­sio­nis­tisch grun­dierter Poetik der Gro­teske geschuldet, die eine solche a priori nicht zulässt. Fol­ge­richtig betrifft sie auch jene beiden sozialen Grup­pie­rungen, die Vančura in den ersten beiden Kapi­teln des Romans gegen­über­stellt – die zwei ant­ago­nis­tisch kon­zi­pierten Knechte Fran­tišek Hora (= Berg) und Fran­tišek Řeka (= Fluss) und die Mägde im fik­tiven Dorf Ouhrov (mit­samt der tra­di­tio­nellen Figur des jüdi­schen Schank­wirts) sowie die ade­lige Herr­schaft in Gestalt von Baron Maxi­mi­lian Dano­witz und sei­­n­en beiden Söhnen, dem Offi­zier Erwin und dem schwäch­li­chen, ins Kloster ab­ge­scho­be­nen Josef. Sie alle, Ade­lige wie Knechte, Frauen wie Männer, Juden, Tsche­chen und Deut­sche, erscheinen als Mario­netten, die primär von ihren Trieben gesteuert sind und im Ver­lauf der nur lose skiz­zierten Roman­hand­lung an den ver­schie­denen Schau­plätzen der Hand­­lung – dem Gut in Ouhrov, der Groß­stadt mit ihren Bor­dellen und Kasernen, an der Front in Gali­zien und in den Spi­tä­lern in Krakau – zu­ein­ander in Re­la­tion gebracht werden.

 

Als die exis­ten­zi­ellen Klam­mern, mit denen Vančura seine Hand­lung zusam­men­hält, er­weisen sich ein kon­se­quent ins Nega­tive gewen­deter Eros und ein in der Regel als mi­li­tä­rische oder indi­vi­du­elle Gewalt erlebter Tha­natos. Der halb wahn­sin­nige Och­sen­knecht Řeka erhängt nach einem geschei­terten Ver­such, den Schank­wirt zu ermorden, zunächst Hora, ehe er ein­rü­cken und die Grauen eines tech­ni­sierten Krieges in Gali­zien am eigenen Leib erleben muss. Dem stan­des­be­wussten Erwin bleibt der ersehnte Hel­dentod in der Schlacht ver­sagt, er stirbt im Laza­rett an der Ruhr. In den Spi­tä­lern von Krakau kommen schließ­lich die Zen­tral­fi­guren wieder zusammen. Baron Maxi­mi­lian trifft auf seine zwei Söhne. Eben­so tau­chen die Dir­ne The­resia, die nun­mehr als Pfle­gerin tätig ist und Erwin noch­mals sehen möchte, sowie die fran­zösische Mätresse Maxi­mi­lians wieder auf. Řeka erduldet auf dras­ti­sche Weise die Ge­sichtslosigkeit des modernen Krieges, da ihm selbst ein Teil des Ge­­sichtes weggeschos­sen wurde, und erlebt in einer abschlie­ßenden hal­lu­zi­nato­ri­schen Szene sein eigenes Begräb­nis mit allen dazu­ge­hö­rigen mili­tä­ri­schen Ehren.

 

„Es fing die höl­li­sche Qual an“

Kor­re­spon­die­rend dazu und in signi­fi­kantem Kon­trast zu den Texten des tsche­chi­schen Po­etis­mus inklu­sive von Vančuras anderen Ro­ma­nen und Erzäh­lungen, in denen Erotik und Se­xu­a­li­tät zu­­meist positiv funk­tio­na­li­siert sind, werden sie hier immer mit einem Merkmal des Schmut­zi­gen und Ekel­haften ver­sehen, das sich je nach so­­zialer Schicht in jeweils un­ter­schied­licher Weise mani­fes­tiert. Die ein­zige Figur, die dieser all­um­fas­senden Degra­da­tion ent­­­hoben ist – die Magd Anna – stirbt bezeich­nen­der­weise bereits im ersten Kapitel zu­sam­men mit ihrem noch unge­bo­renen Kind. Als indi­rekten Kon­tra­punkt dazu evo­zie­ren die Schluss­passagen in adven­tis­ti­scher Manier das Her­auf­kom­men ei­nes neuen Zeit­alters, das anders als das unter­ge­gan­gene auch von sozialer Ge­rech­tig­keit ge­prägt sein wird.

Viel­leicht vermag abschlie­ßend ein Blick auf den kom­plexen Titel des Romans dessen präzi­se­re lite­ra­tur­ge­schicht­liche Posi­tio­nie­rung zu umreißen. Die Titel gebenden Felder sind so­wohl solche, auf denen gepflügt und geerntet wird („pole orná“), als auch die im Beschuss um­­gepflügten Schlacht­felder des Ersten Welt­krieges („pole válečná“). Über die expressionis­ti­sche Dar­stel­lung dieser Schlacht­felder selbst und der damit ver­bun­denen Zurich­tung der Re­kru­­ten kor­­res­pondiert Vančuras Roman etwa mit Georg Trakls berühmtem Gedicht Gro­dek, mit Mi­ro­slav Krležas Erzäh­lung Baraka pet be (Baracke 5 b) oder auch mit Józef Witt­lins pa­zifis­ti­schem Roman Sól ziemi (Das Salz der Erde); die­sen Texten sind auch die drei vorange­gan­ge­nen Zwi­schen­über­schriften entnommen.

Gleich­zeitig geht der Roman über die Dar­stel­lung bäu­er­li­cher Lebens­welten aber auch von einer lite­ra­ri­schen Tra­di­tion der Böh­mi­schen Länder im 19. Jahr­hun­dert aus, nur um diese im Zei­chen der his­to­rischen Avant­garde der 1920er Jahre radikal zu ver­ab­schieden: Die kon­tras­tie­rende Dar­stel­lung von tsche­chi­schem Dorf und deut­schem Schloss gleich in den ersten beiden Kapi­teln lässt als Hin­ter­grund­folie die Dorf- und Schloss­ge­schicht­e durch­scheinen, die in unterschied­li­cher Form etwa von Božena Něm­cová und Marie von Ebner-Eschen­bach rea­li­siert wurde. Viel­leicht mag diese lite­ra­ri­sche Genealo­gie spekula­tiv erscheinen, Vančuras Sen­so­rium für Pro­bleme der Lite­ra­tur­theorie ist in dem Band jeden­falls nach­drück­lich doku­men­tiert: Einige der von Kris­tina Kal­lert aus dem Nach­lass des Au­tors zitierten Pas­sagen lesen sich wie Aus­züge aus den struk­tu­ra­lis­ti­schen Auf­sätzen von Jan Mu­kařovský und belegen so nach­drück­lich die für die Avant­garde ins­ge­samt kenn­zeichnende Eng­füh­rung von theo­re­ti­scher Modell­bil­dung und künst­le­ri­scher Praxis. Der Um­stand, dass man über diese wich­tige Facette von Vančuras Schaffen gewis­ser­maßen en pas­sant in Kennt­nis gesetzt wird, kann abschlie­ßend als ein wei­terer Plus­punkt dieser insge­samt höchst gelun­genen wie beein­dru­ckenden Aus­gabe ver­merkt werden.

 

Vančura, Vla­dislav: Felder und Schlacht­felder. Aus dem Tsche­chi­schen von Kris­tina Kal­lert. Her­aus­ge­geben und mit einem Nach­wort von Jiří Holý (= Biblio­thek der Böh­mi­schen Länder Bd. XI). Wup­pertal: Arco, 2017.

Vančura, Vla­dislav: Pole orná a válečná. Praha: Družs­tevní práce, 1925..