Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
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10099 Berlin

„Smashed to Pieces“ von La belle Meu­nière – La poé­tique des Signes

Das fran­zö­si­sche Thea­ter­kol­lektiv La belle Meu­nière bot dem MESS-Publikum eine 75-minü­tige, wort­lose und ein­drucks­volle Dekon­struk­tion einer mas­siven Kom­mode. 2014 wurde die Pro­duk­tion im Rahmen des Thea­ter­fes­ti­vals in Avi­gnon unter dem fran­zö­si­schen Ori­gi­nal­titel Buffet à vif urauf­ge­führt. Seither wurde sie in Frank­reich, Tsche­chien, Ser­bien und Bul­ga­rien gezeigt. Im Rahmen des 59. MESS Thea­ter­fes­ti­vals in Sara­jevo war Smashed to Pieces erst­mals in Bos­nien-Her­ze­go­wina zu erleben. 

 

Wäh­rend der fran­zö­si­sche Ori­gi­nal­titel auf die Dynamik und Leben­dig­keit des titel­ge­benden Objekts hin­weist (Buffet à vif – rohes, ent­blößtes Möbel), setzt die eng­li­sche Über­set­zung Smashed to pieces den Fokus auf dessen Zer­stö­rung. Beides sind zen­trale Ele­mente dieser Pro­duk­tion – das Publikum wird Zeuge eines rohen, bra­chialen Gewalt­akts an einem Möbel­stück und abschlie­ßend auf­ge­for­dert, mit den losen Holz­frag­menten gemeinsam etwas Neues zu schaffen. Obwohl es sich im ersten Teil der Per­for­mance um eine sys­te­ma­ti­sche Zer­stö­rung han­delt, stiftet dieses Attentat an einem anti­quierten, sper­rigen Holz­buffet kei­nerlei Trau­rig­keit, son­dern weckt die Lebensgeister.

 

Die Prot­ago­nisten des Stücks werden von Pierre Meu­nier und Raphael Cottin gespielt, der eine Schau­spieler und der andere Tänzer. Dieses dyna­mi­sche und zugleich ungleiche Duo hievt mühe­voll ein schweres, sper­riges Holz­buffet auf die Bühne. Es ist sorg­fältig in einer weißen Schutz­folie ver­packt, als Zuschauer_in beob­achtet man das ungleiche Möbel­pa­cker-Paar etwas skep­tisch und ver­wun­dert; man ist unschlüssig, was einen erwartet.

 

Mit großer Sorg­falt und Mühe wird die Schutz­folie abge­löst. Das klot­zige Möbel­stück steht nun auf der kahlen Bühne, die beiden Prot­ago­nisten gehen gemäch­lich hin und her, stellen ein kleines, schwarzes Radio ab und spielen fran­zö­si­sche Chan­sons. Dann zückt einer der beiden plötz­lich einen Hammer und schlägt eupho­risch auf das Möbel­stück ein, wäh­rend im Hin­ter­grund immer noch die Musik aus dem kleinen Radio träl­lert. Das Holz birst, es ent­stehen große Löcher. Die Prot­ago­nisten krie­chen in das immer klein­tei­liger wer­dende Holz­buffet und führen einen vir­tuosen und wilden Toten­tanz auf. Sie stellen sich mal hinter, mal vor das demo­lierte Möbel­stück, heben und senken es in Zeit­lupe, mimen die letzten Atem­züge, bevor sie es Stück für Stück aus­ein­an­der­bre­chen und nur noch lose Holz­frag­mente auf der Bühne liegen.

 

Dies bildet einen Schlüs­sel­mo­ment der Dar­bie­tung – doch nun tritt über­ra­schen­der­weise eine dritte Figur in Erschei­nung. Eine Frau betritt die Bühne und lädt die Zuschauer_innen ein, aus ihrer pas­siven Rolle zu treten und kol­lektiv etwas Neues aus den her­um­lie­genden Holz­stü­cken zu kre­ieren. Zuerst zöger­lich, doch dann mit wach­sender Begeis­te­rung, ent­scheidet sich ein großer Teil des Publi­kums, die Initia­tive zu ergreifen und gemeinsam eine neue Ord­nung zu schaffen. Dies geschieht jedoch in kom­pletter Stille, die fran­zö­si­schen Chan­sons sind nun ver­stummt und man arbeitet ruhig und respekt­voll zusammen. Die Stim­mung auf der Bühne ist hoch kon­zen­triert – man rea­li­siert, wo man sich befindet und was man gerade tut. Dadurch, dass das Stück im “Sara­jevski Ratni Teatar” (SARTR; dt. Sara­je­voer Kriegs­theater) gezeigt wird, gewinnt die Meta­pher der Zer­stö­rung und des Neu­auf­baus eine zusätz­liche Intensität.

 

La Belle Meu­nière sieht in dieser poe­ti­schen Cho­reo­grafie der Zer­stö­rung und des Neu­auf­baus eine Mög­lich­keit, zu zeigen, dass es sich lohnt, Dinge anzu­fassen, auf­zu­bre­chen, kom­plett zu zer­stören, um Raum für Klar­heit und Inno­va­tion zu schaffen. Die zer­stö­re­ri­schen Gewalt­akte der namen­losen Möbel­pa­cker ermög­li­chen einen kol­lek­tiven Neu­an­fang für die pas­siven Zusehenden.

 

Smashed to Pieces war eine impo­sante Meta­pher für das Leit­motiv des dies­jäh­rigen MESS Fes­ti­vals – fluid life. Es illus­trierte die eph­emere Natur des Lebens, ohne dabei pathe­tisch oder kli­schee­haft zu werden. Die Pro­duk­tion bietet eine ein­fache, nie kaschierte Lesart an, über­zeugt jedoch gerade in ihrer kon­se­quenten kon­zep­tu­ellen Schlicht­heit. Durch das mini­ma­lis­ti­sche Büh­nen­bild und den feh­lenden Dialog wird der Blick auf das wilde, bru­tale, absurde und eben auch schöne Geschehen geschärft, das sich auf der Bühne abspielt.

 

Durch die Mit­ein­be­zie­hung des Publi­kums wird der Thea­ter­abend gegen Ende zur Impro­vi­sa­tion – und bewegt sich weg von einer vor­ge­ge­benen Cho­reo­grafie zu einer flie­ßenden, kol­lek­tiven Per­for­mance, die jedes Mal anders und ein­zig­artig ausfällt.

 

Smashed to pieces, La Belle Meu­nière – La Poé­tique des Signes, Cast: Mar­gue­rite Bordat, Raphael Cottin, Pierre Meu­nier; Vor­stel­lung vom 1. Oktober 2019, 22 Uhr, 59. MESS Inter­na­tional Theater Fes­tival, Sara­jevo War Theater SARTR.

 

Wei­ter­füh­rende Links

Smashed to pieces auf dem MESS Inter­na­tional Theater Festival.
Buffet à vif von La Belle Meunière.