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"um von deinem toten Körper etwas zu stibitzen"

Posted on 3. November 2006 by Michael Zgodzay
Der Dichter Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki ist in Polen ein Kultautor und gleichzeitig ein literarischer Einzelgänger. Er lässt sich keiner Gruppe oder Richtung zuordnen. Legendär sind seine Autorenlesungen, bei denen er in die Rolle eines alterslosen Greises schlüpft, um die Hörer in eine sehr dunkle Welt der Doppeldeutigkeit zu entführen.

Ein Portrait des Dichters Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki

 

Der Dichter Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki ist in Polen ein Kultautor und gleichzeitig ein literarischer Einzelgänger. Er lässt sich keiner Gruppe oder Richtung zuordnen. Legendär sind seine Autorenlesungen, bei denen er in die Rolle eines alterslosen Greises schlüpft, um die Hörer in eine sehr dunkle Welt der Doppeldeutigkeit zu entführen. In Deutschland sind bisher vereinzelt Übersetzungen seiner Gedichte in Zeitschriften, Periodika und im Internet erschienen. Er las auch auf dem Festival junger polnischer Kunst und Kultur TERrA POLSKA im April 2004 in Berlin aus seinem Werk. Eine umfangreichere Publikation seiner Gedichte in deutscher Sprache steht noch aus.

 

dycki4_autorenportraitIn Anknüpfung an die Tradition des Sonettgedichts und mit den häufig wiederkehrenden Motiven und Versen, wie z.B.: “schon Herbst Herr und ich habe kein Haus”, “im Zimmer nebenan stirbt meine Mutter” oder “mein Freund ist tot”, erfand er früh einen eigenen unverwechselbaren Stil. Kennzeichnend für die Dichtung von Tkaczyszyn-Dycki ist das sich selbst inszenierende Subjekt, das zwischen Archaismen und Kolloquialismen wie zwischen Geburt und Tod, Geist und Körper, Ordnung und Vernichtung, Sinn und Absurdität eingeklammert ist. Symptome dieser Einklammerung sind: der zerfallende Körper (die Lebenden), der abwesende Körper (die Toten), Krankheit und Wahnsinn, die den engen Raum füllen, in dem sich das Leben abspielt.

Zum großen Erfolg der Gedichte trägt ihre strenge und einzigartige Struktur bei, die durchweg auf Antinomien, paradoxer Semantik und subtilen intertextuellen Bezügen basiert. Die altertümliche Sprache, die Gegenüberstellung von noch blühendem Körper und Sensenmann (oder Skelett) und die mit römischen Ziffern durchnummerierten elegischen Sonette könnten vermuten lassen, dass es sich bei Tkaczyszyn-Dycki um einen Dichter handelt, der sich auf die barocke Tradition und Ikonographie der Vanitas bezieht. Bei genauem Hinsehen stellt sich heraus, dass die wenigen Motive einer obsessiven Beschäftigung mit dem Tod von Verwandten und Freunden, mit Särgen, Klageliedern und Trauerzügen, mit Krankheit und Zerfall einem überlegten poetologischen Programm folgen.
Ein Gedicht aus dem Debütband Nänie und andere Gedichte, das in späteren Anthologien des Autors nicht mehr aufgenommen wurde, verrät eine poetologische Absicht: „von der nacht bis zur dämmerung züchtigung des gedächtnisses (lies: Gedächtnisarbeit) damit der tote stets wie ein lebender/ damit der lebende wie ein toter sei“. Der Wunsch nach einer Verschmelzung des Lebendigen und des Todes (mit dem Toten), nach der Gegenwart der Toten mitten unter den Lebenden  hat jedoch nichts mit dem barocken Bedürfnis nach Maß zu tun. Bisherige Interpretationen konzentrierten sich vorwiegend auf den neobarocken Stil von Tkaczyszyn-Dycki, besonders die strenge Form der Gedichte, den Gebrauch von Archaismen und seine Anlehnung an die Sprache der Psalmübersetzungen von Kochanowski. Gern sieht man darin die Wiederaufnahme des memento mori. Tkaczyszyn-Dycki selbst distanziert sich von solchen Deutungen. Es scheint vielmehr, dass seine Gedichte performative Gebilde sind, in denen Gedächtnisarbeit und eine Art Totenwache geschieht, die die Grenze zwischen den Bereichen des Toten und des Lebendigen aufheben soll. Vor allem die Sprache wird dabei herausgefordert, die eigentlich in Anbetracht des Todes verstummen sollte. Daher könnte man im Verwischen der Grenze zwischen Jenseits und Diesseits eine Operation zugunsten der Sprache sehen.

Eine besondere Art von Mythographie verleiht den Gedichten von Tkaczyszyn-Dycki die Geschlossenheit eines Oeuvres, wobei er auf die eigene Biographie zurückgreift, genauer auf die erschütternde Schizophrenie-Erkrankung der Mutter. Die Mutter wird vom ersten Band an als die Mutter des Dichters (Stefania Dycka) eingeführt und ist gleichzeitig Grund und Impuls für die Poetik der “Gemeinschaft mit den Toten”. In vielen Gedichten wird sie direkt angesprochen. In anderen wird der Zusammenhang indirekt hergestellt. Die Person und Krankheit der Mutter ist nicht nur der Ausgangspunkt, die Initiierung des Schreibprozesses, sondern auch seine Legitimierung und damit – nicht mehr und nicht weniger – eine dramatische Bühne für die Selbstinszenierung des quasi-authentischen Subjekts. Schizophrenie ist für das zur Sprache kommende Subjekt die Urkrankheit, denn durch die leibliche Verbindung zur Mutter steht sie, autobiographisch gesehen, ganz am Anfang und “infiziert” gewissermaßen alles Lebendige mit dem Gedanken des Todes: („nie war ich dem sterben eines menschen/ so nah während ich in mein eigenes/ sterben einwilligte das ich selber bin/ seit mich die mutter gestillt hat“ ). Die Schizophrenie schließt nicht nur die Mutter („warst du denn eingeschlossen wie Dycka/ im blendenden licht der schizophrenie” ), sondern auch deren Sohn in einen Bannkreis ein, der für ihn verschiedene Namen trägt: Einsamkeit, Heimatlosigkeit, Krankheit, Sterben, Homosexualität, Unmöglichkeit der Fortpflanzung u.a. Die Gefangenschaft in diesem Bannkreis ist der Preis für Identität. Damit gelingt Dycki der Versuch, seit der Moderne ein Subjekt im emphatischen Sinne wieder zur Grundlage (Quelle) einer lyrischen Aussage zu machen.

Die Mutter wird in den frühen Gedichten als Leitstern apostrophiert (stern nicht ganz bei irdischem verstand , erlauchtester stern nicht ganz bei verstand, ). Sie wird wie eine jenseitige Gestalt überhöht. Erst allmählich wird in den folgenden Gedichtbänden ihre Anwesenheit stärker mit dem Schreibprozess und der Sprache verbunden. Sie wird zum Sinnbild für die Dichtung schlechthin, eine Art Urmetapher, die durch die Konvention der Autobiographie (den aubiographischen Pakt) wie ein dunkles authentisches Geheimnis den Leser in den mythischen Kreis des lyrischen Ichs (des Sohnes) hineinzieht und die erst durch sein Schreiben zum sprachlichen Ereignis wird. Sie symbolisiert eine große Zweideutigkeit, Übertretung der Norm, Verrücktheit, Licht und Zwielicht, Sprachhunger und Schweigen zugleich und – das ist sicher nicht ohne Bedeutung für Dycki – die Verbindung zu einer Welt “über die wir nicht viel wissen”, zur Unterwelt oder zur “anderen Seite” der Sprache, die gewissermaßen die Eindeutigkeit der Sprache zerstört, auf die wir uns tagtäglich stützen. Schließlich ist die Schizophrenie für den Heimatlosen (programmatische Titel zweier Gedichtbände lauten Peregrinarium und Ein Leitfaden für Heimatlose) ein Zuhause, das natürlich kein echtes Zuhause sein kann: „schizophrenie ist ein gotteshaus/ seit ich krank geworden bin” (Peregrinarium, II, 9). Die Übersetzung der Krankheit der Mutter und ihres Sterbens in die Metapher von Sprache und Sprachlosigkeit wird in einigen Gedichten deutlich angesprochen und trägt Züge einer eigenen Poetik: „ich höre dich durch die geschlossene tür aus der anderen/ welt du bist schon krank und bist wie/ eine neue heilige die nach vielen wörtern verlangt doch ich gebe sie dir nicht/ heute ging ich zum ersten mal in eine polnische/ schule seitdem bin ich krank bin wie/ ein neuer heiliger der sich vieler wörter entledig hat” (Ein Leitfaden für Heimatlose, XVII, 21); „mutter wäscht ihre kranken sehr kranken beine/ und redet unsinn”(Ein Leitfaden für Heimatlose, XLIV, 48); „kauf mir weiße schuhe mein söhnchen und weiße/ handschuhe und mach mir dann aus dem mund einen knoten”  (Ein Leitfaden für Heimatlose, XXVIII, 32). Immer weist Dycki auf den Zusammenhang zwischen Textentstehen und Tod hin. Als eines der zentralen gilt das Gedicht Tumor linguae aus dem Band Ein Leitfaden für Heimatlose:

VI. Tumor linguae

im zimmer nebenan stirbt meine mutter
so weit ich zurückdenke stirbt sie immer mal wieder im kleinen
zimmer unten ein andermal im größeren
oben dort fängt eben mein dienst an

worin besteht mein amt ich schreibe gedichte
meine herrschaften beuge mich über ein fiktives blatt
papier so wie über mich selbst es fließt
eingebung in mich hinein flackerndes licht ich mache es

immer mal wieder an im dunklen zimmer unten oder oben
je nach entwicklung der lage so weit ich zurückdenken kann
meine herrschaften habe ich kein verhältnis zum geschriebenen
und fertigen gedicht auf wiedersehen meine liebste

Hier wird (parallel zur mythischen Beziehung Mutter – Sohn) die “kranke” und “sterbende” Sprache (tumor linguae) zur Bedingung für die Entstehung des Textes und bedeutet gleichzeitig seine eigene Hinfälligkeit. Er wird zu etwas Unerreichbarem und wird verabschiedet wie die nicht mehr erreichbare Sterbende: „so weit ich zurückdenken kann/ meine herrschaften habe ich kein verhältnis zum geschriebenen/ und fertigen gedicht auf wiedersehen meine liebste.“
Das Schreiben von Gedichten wird zu einer Amtstätigkeit, was vor allem auf die zwanghafte Notwendigkeit des Schreibens und ständige Wiederholung dieses Vorgangs hindeutet: „worin besteht mein amt ich schreibe gedichte/ meine herrschaften beuge mich über ein fiktives blatt/ papier so wie über mich selbst es fließt/ eingebung in mich hinein flackerndes licht ich mache es/ immer mal wieder an im dunklen zimmer unten oder oben.“ Das Schreiben wird schließlich seiner Schriftlichkeit und seines materiellen Trägers beraubt („fiktives blatt papier“) und wird so zum Analogon für das Sterben selbst. Dieser Topos ist nicht unbekannt in der Literaturgeschichte, gilt aber mehr für Prosatexte als für die Lyrik. Hier bekommt er eine eigene Qualität. Die Texte sind für Dycki gewissermaßen parallele Gebilde zu den anwesend-abwesenden Verstorbenen, die man verabschieden muss und doch nie endgültig verabschieden kann. Auch das Verhältnis des lyrischen Subjekts zu sich selbst ist gekennzeichnet von dieser Absurdität („beuge mich über ein fiktives blatt/ papier so wie über mich selbst“). Das Dichten wird als ein Versuch angedeutet, die eigene “Fiktionalität” und Leere (Abwesenheit) mit einem Text zu füllen, was nicht gelingen kann, wenn der Text diese Leere und das Sterben wiederholt. Das Gedicht gerät letztendlich zum Versuch eines liebevollen Abschieds („auf wiedersehen meine liebste“). Dieser Abschied gilt nicht nur den Verstorbenen sondern “mir selbst, der ich sterben werde”, bzw. “sterbe”.

Bei gleichzeitiger Beschränkung auf wenige Motive entwickelt sich der Mythos einer weitverzweigten und mit Tod und Wahnsinn belasteten Familie von Band zu Band zu einer eigenständigen Sprache des Umgangs mit dem Vergehen. Von anfänglicher Überhöhung der Mutter entwickelt sich die Lyrik von Tkaczyszyn-Dycki zu einer reich instrumentierten, vielstimmigen Komposition aus Pseudozitaten lebender und toter Verwandter, Topographie der Provinz, religiösem Vokabular und damit kontrastierenden sexuellen Anspielungen. Das Sexuelle ist der Punkt, an dem sich bei Dycki das sacrum und profanum, Leben und Tod treffen: die einzige gegenwärtig verbleibende Möglichkeit der Transzendenz. Das lyrische Subjekt ist in dieser Komposition als die Stimme hörbar, die sich ständig beobachtet, kommentiert und selbst entlarvt. Doch das Spiel des offenen Bekenntnisses dient dabei eher der Verhüllung als einer Enthüllung eines authentischen Subjekts.

Namen und Stimmen von Verwandten oder verstorbenen Freunden führen ein Leben nach dem Tod im Konditional, im Gedächtnis des lyrischen Subjekts („bestimmt hätte Leszek den Abschluss in Polonistik gemacht“). Leszek („der es liebte sich selbst zu verschenken“ ) ist dabei ein Pendant zur Mutter auf der Seite der sexuellen Transgression. Er repräsentiert den Topos des mit dem Tod identifizierten schwulen Begehrens und ist schon seit dem ersten Gedichtband als ein verstorbener Freund des lyrischen Ichs in den Gedichten anzutreffen. Seine Zweideutigkeit ist nicht, wie die der Mutter, die Schizophrenie, sondern die Andersartigkeit des Begehrens, die Zweideutigkeiten produziert. Mit ihr verbinden sich auch alle Motive, die Dycki umtreiben: metaphysische Leere und Angst vor dem Nicht-Sein (eine Art ewige Verdammnis), der sexuelle Akt als Ausdruck der sinnlosen Suche nach Transzendenz und Erfüllung (Sex zwischen Männern fällt aus dem Zeugungskreislauf heraus), Heimatlosigkeit und Pilgerschaft (symbolisiert durch das unstete Leben eines Strichers), Schönheit und Jugend als bloßes Phantasma des todgeweihten Körpers. Der Dichter geht in das Haus der Trauer, in dem der verstorbene Leszek aufgebahrt liegt. Von ihm möchte er etwas stibitzen, doch was, ist ungewiss. Der tote Körper, so einfach zu berühren, schenkt ihm jedoch nichts außer der Sprache, außer der Explosion der polnischen Sprache in ihrer Hilflosigkeit: „um etwas zu stibitzen bevor wir in die luft gehen mit der polnischen sprache/ und ihren flüchen bevor die polnische sprache in uns hochgeht/ die sich auch in dir anschickt die schlaue die schlimmsten sachen zu tun“(Peregrinarium, LXXXVII, 23).

Eine große Rolle in den Gedichten von Dycki spielt die Topographie, in der die Verstorbenen ständig präsent sind. Es ist der Landkreis Przemyskie, eine nicht mehr existierende und also ins Mythische entrückte Verwaltungseinheit (Wojewodschaft) mit ihren Provinzstädten, Dörfern und Friedhöfen. Es sind die östlichen Gebiete Polens, an der Grenze zur Ukraine, wo zwischen den Kriegen, und insbesondere nach der Beendigung des II. Weltkriegs sowohl Polen wie Ukrainer von der jeweils anderen Seite gemordet, verschleppt und vertrieben wurden. Die Dycki-Familie stand, teilweise konfessionell bedingt, auf beiden Seiten (Gente Ruthenus, natione Polonus – so ein Gedichttitel aus dem Band Ein Jüngling von untadeligen Sitten, 1994). Auch diese Zerrissenheit wird immer wieder in den Gedichten thematisiert und der “Urmetapher”, nämlich der gespaltenen Persönlichkeit der Mutter untergeordnet: halb Ukrainerin, halb Polin; halb Mutter, halb Hexe; halb anwesend, halb abwesend; halb leibhaftige Mutter, halb Mutter aus dem Jenseits. Die Mutter bildet das Zentrum einer geisterhaften Welt, in der alles in zwei Teile zerfällt. Dies geschieht bis hinein in die Form der Gedichte selbst. Antinomien, Oppositionen, paradoxe Sinnkonstruktionen, Ansätze einer seltsamen Dialektik demonstrieren eine nicht fassbare Realität und realisieren das poetologische Programm, in dem das Textgebilde ein Analogon zum Sterben bzw. Nicht-Existieren ist. Metaphern und Chiffren sind erst in ihrer antinomischen Ergänzung in der Makrostruktur, im ganzen Werk ablesbar. Der Leser kann sicher sein, dass er jedes Motiv irgendwo im Werk in seinen Gegensatz verkehrt findet. Ein charakteristisches Beispiel ist das Motiv des Steins, der neben vielen Variationen sowohl als „Stein des Hungers“ (Liber mortuorum, 39) wie auch als ein „Stein voller Nahrung“ (Ein Leitfaden für Heimatlose, 25) im Text realisiert wird. Die Aufhebung der beiden Elemente ist also erst die eigentliche Chiffre. Tkaczyszyn-Dycki gelingt es somit, der Sprache ihre Uneindeutigkeit wiederzugeben, ohne in die Lexik und Morphologie einzugreifen, ohne Manipulationen am Sprachmaterial selbst. Der Kern seiner Dichtung ist im Ungesagten zu suchen.

 

Gedichtbände:

Nenia i inne wiersze (Nänie und andere Gedichte). Związek Literatów Polskich. Lublin 1990.

Peregrynarz (Peregrinarium). Przedświt. Warszawa 1992.

Młodzieniec o wzorowych obyczajach (Ein Jüngling von untadeligen Sitten). Przedświt. Warszawa 1994.

Liber mortuorum. Stowarzyszenie Literackie Kresy. Lublin 1997.

Kamień pełen pokarmu. Księga wierszy z lat 1987-1999 (Ein Stein voller Nahrung. Gedichte aus den Jahren 1987-1999). świat Literacki. Izabelin 1999.

Przewodnik dla bezdomnych niezależnie od miejsca zamieszkania (Ein Leitfaden für Heimatlose unabhängig vom Wohnsitz). Biuro Literackie. Legnica 2000 u. 2003.

Przyczynek do nauki o nieistnieniu (Ein Beitrag zur Wissenschaft vom Nicht-Sein). Biuro Literackie. Legnica 2003.

Daleko stąd zostawiłem swoje dawne i niedawne ciałov (Fernab von hier ließ ich meinen alt- und jüngstvergangenen Körper zurück). Wydawnictwo Zielona Sowa. Kraków 2003.

Dzieje rodzin polskich (Polnische Familienschicksale). Sic!. Warszawa 2005.

Poezja jako miejsce na ziemi. 1988-2003 (Poesie als ein Ort auf Erden. 1988-2003), . Biuro Literackie. Wrocław 2006.

 

Gedichte auf deutsch unter anderem erschienen in:

Lauter Niemand. Jahrgang 2004, S. 4-5.

Ostragehege. Zeitschrift für Literatur und Kunst IV/2003, Nr. 32, S. 19.

Orpheus - Gespräch im Wort. Orfeusz - Rozmowa w słowie. Dresden 2001, S. 82-86.

Die Horen 2000, Nr. 18 (“Irgendwo bei Kattowitz” Stimmen aus dem Nachbarhaus. Polnische Gegenwart im Spiegel der Literatur), S. 15.

Manuskripte, Zeitschrift für Literatur 172/2006, 64-72.
Weiterführende Links:

www.satt.org/lyrik-log/93.html
www.wordswithoutborders.org/article.php?lab=Towardsascience
http://jacketmagazine.com/29/p-tkacz.htm
www.biuroliterackie.pl

 

"um von deinem toten Körper etwas zu stibitzen" - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

“um von deinem toten Körper etwas zu stibitzen”

Ein Por­trait des Dich­ters Euge­niusz Tkaczyszyn-Dycki

 

Der Dichter Euge­niusz Tka­c­zyszyn-Dycki ist in Polen ein Kult­autor und gleich­zeitig ein lite­ra­ri­scher Ein­zel­gänger. Er lässt sich keiner Gruppe oder Rich­tung zuordnen. Legendär sind seine Autoren­le­sungen, bei denen er in die Rolle eines alters­losen Greises schlüpft, um die Hörer in eine sehr dunkle Welt der Dop­pel­deu­tig­keit zu ent­führen. In Deutsch­land sind bisher ver­ein­zelt Über­set­zungen seiner Gedichte in Zeit­schriften, Peri­odika und im Internet erschienen. Er las auch auf dem Fes­tival junger pol­ni­scher Kunst und Kultur TERrA POLSKA im April 2004 in Berlin aus seinem Werk. Eine umfang­rei­chere Publi­ka­tion seiner Gedichte in deut­scher Sprache steht noch aus.

 

dycki4_autorenportrait

In Anknüp­fung an die Tra­di­tion des Sonett­ge­dichts und mit den häufig wie­der­keh­renden Motiven und Versen, wie z.B.: “schon Herbst Herr und ich habe kein Haus”, “im Zimmer nebenan stirbt meine Mutter” oder “mein Freund ist tot”, erfand er früh einen eigenen unver­wech­sel­baren Stil. Kenn­zeich­nend für die Dich­tung von Tka­c­zyszyn-Dycki ist das sich selbst insze­nie­rende Sub­jekt, das zwi­schen Archaismen und Kol­lo­quia­lismen wie zwi­schen Geburt und Tod, Geist und Körper, Ord­nung und Ver­nich­tung, Sinn und Absur­dität ein­ge­klam­mert ist. Sym­ptome dieser Ein­klam­me­rung sind: der zer­fal­lende Körper (die Lebenden), der abwe­sende Körper (die Toten), Krank­heit und Wahn­sinn, die den engen Raum füllen, in dem sich das Leben abspielt.

Zum großen Erfolg der Gedichte trägt ihre strenge und ein­zig­ar­tige Struktur bei, die durchweg auf Anti­no­mien, para­doxer Semantik und sub­tilen inter­tex­tu­ellen Bezügen basiert. Die alter­tüm­liche Sprache, die Gegen­über­stel­lung von noch blü­hendem Körper und Sen­sen­mann (oder Ske­lett) und die mit römi­schen Zif­fern durch­num­me­rierten ele­gi­schen Sonette könnten ver­muten lassen, dass es sich bei Tka­c­zyszyn-Dycki um einen Dichter han­delt, der sich auf die barocke Tra­di­tion und Iko­no­gra­phie der Vanitas bezieht. Bei genauem Hin­sehen stellt sich heraus, dass die wenigen Motive einer obses­siven Beschäf­ti­gung mit dem Tod von Ver­wandten und Freunden, mit Särgen, Kla­ge­lie­dern und Trau­er­zügen, mit Krank­heit und Zer­fall einem über­legten poe­to­lo­gi­schen Pro­gramm folgen.
Ein Gedicht aus dem Debüt­band Nänie und andere Gedichte, das in spä­teren Antho­lo­gien des Autors nicht mehr auf­ge­nommen wurde, verrät eine poe­to­lo­gi­sche Absicht: „von der nacht bis zur däm­me­rung züch­ti­gung des gedächt­nisses (lies: Gedächt­nis­ar­beit) […] damit der tote stets wie ein lebender/ damit der lebende wie ein toter sei“[Nänie, 32]. Der Wunsch nach einer Ver­schmel­zung des Leben­digen und des Todes (mit dem Toten), nach der Gegen­wart der Toten mitten unter den Lebenden  hat jedoch nichts mit dem baro­cken Bedürfnis nach Maß zu tun. Bis­he­rige Inter­pre­ta­tionen kon­zen­trierten sich vor­wie­gend auf den neo­ba­ro­cken Stil von Tka­c­zyszyn-Dycki, beson­ders die strenge Form der Gedichte, den Gebrauch von Archaismen und seine Anleh­nung an die Sprache der Psalm­über­set­zungen von Kocha­nowski. Gern sieht man darin die Wie­der­auf­nahme des memento mori. Tka­c­zyszyn-Dycki selbst distan­ziert sich von sol­chen Deu­tungen. Es scheint viel­mehr, dass seine Gedichte per­for­ma­tive Gebilde sind, in denen Gedächt­nis­ar­beit und eine Art Toten­wache geschieht, die die Grenze zwi­schen den Berei­chen des Toten und des Leben­digen auf­heben soll. Vor allem die Sprache wird dabei her­aus­ge­for­dert, die eigent­lich in Anbe­tracht des Todes ver­stummen sollte. Daher könnte man im Ver­wi­schen der Grenze zwi­schen Jen­seits und Dies­seits eine Ope­ra­tion zugunsten der Sprache sehen.

Eine beson­dere Art von Mytho­gra­phie ver­leiht den Gedichten von Tka­c­zyszyn-Dycki die Geschlos­sen­heit eines Oeu­vres, wobei er auf die eigene Bio­gra­phie zurück­greift, genauer auf die erschüt­ternde Schi­zo­phrenie-Erkran­kung der Mutter. Die Mutter wird vom ersten Band an als die Mutter des Dich­ters (Ste­fania Dycka) ein­ge­führt und ist gleich­zeitig Grund und Impuls für die Poetik der “Gemein­schaft mit den Toten”. In vielen Gedichten wird sie direkt ange­spro­chen. In anderen wird der Zusam­men­hang indi­rekt her­ge­stellt. Die Person und Krank­heit der Mutter ist nicht nur der Aus­gangs­punkt, die Initi­ie­rung des Schreib­pro­zesses, son­dern auch seine Legi­ti­mie­rung und damit – nicht mehr und nicht weniger – eine dra­ma­ti­sche Bühne für die Selbst­in­sze­nie­rung des quasi-authen­ti­schen Sub­jekts. Schi­zo­phrenie ist für das zur Sprache kom­mende Sub­jekt die Urkrank­heit, denn durch die leib­liche Ver­bin­dung zur Mutter steht sie, auto­bio­gra­phisch gesehen, ganz am Anfang und “infi­ziert” gewis­ser­maßen alles Leben­dige mit dem Gedanken des Todes: („nie war ich dem sterben eines menschen/ so nah wäh­rend ich in mein eigenes/ sterben ein­wil­ligte das ich selber bin/ seit mich die mutter gestillt hat“ [Ein Leit­faden für Hei­mat­lose,XXV, 29]). Die Schi­zo­phrenie schließt nicht nur die Mutter („warst du denn ein­ge­schlossen wie Dycka/ im blen­denden licht der schi­zo­phrenie” [Nänie IX, 11]), son­dern auch deren Sohn in einen Bann­kreis ein, der für ihn ver­schie­dene Namen trägt: Ein­sam­keit, Hei­mat­lo­sig­keit, Krank­heit, Sterben, Homo­se­xua­lität, Unmög­lich­keit der Fort­pflan­zung u.a. Die Gefan­gen­schaft in diesem Bann­kreis ist der Preis für Iden­tität. Damit gelingt Dycki der Ver­such, seit der Moderne ein Sub­jekt im empha­ti­schen Sinne wieder zur Grund­lage (Quelle) einer lyri­schen Aus­sage zu machen.

Die Mutter wird in den frühen Gedichten als Leit­stern apo­stro­phiert (stern nicht ganz bei irdi­schem ver­stand […], erlauch­tester stern nicht ganz bei ver­stand[…], [Nänie, 11]). Sie wird wie eine jen­sei­tige Gestalt über­höht. Erst all­mäh­lich wird in den fol­genden Gedicht­bänden ihre Anwe­sen­heit stärker mit dem Schreib­pro­zess und der Sprache ver­bunden. Sie wird zum Sinn­bild für die Dich­tung schlechthin, eine Art Urme­ta­pher, die durch die Kon­ven­tion der Auto­bio­gra­phie (den aubio­gra­phi­schen Pakt) wie ein dunkles authen­ti­sches Geheimnis den Leser in den mythi­schen Kreis des lyri­schen Ichs (des Sohnes) hin­ein­zieht und die erst durch sein Schreiben zum sprach­li­chen Ereignis wird. Sie sym­bo­li­siert eine große Zwei­deu­tig­keit, Über­tre­tung der Norm, Ver­rückt­heit, Licht und Zwie­licht, Sprach­hunger und Schweigen zugleich und – das ist sicher nicht ohne Bedeu­tung für Dycki – die Ver­bin­dung zu einer Welt “über die wir nicht viel wissen”, zur Unter­welt oder zur “anderen Seite” der Sprache, die gewis­ser­maßen die Ein­deu­tig­keit der Sprache zer­stört, auf die wir uns tag­täg­lich stützen. Schließ­lich ist die Schi­zo­phrenie für den Hei­mat­losen (pro­gram­ma­ti­sche Titel zweier Gedicht­bände lauten Pere­gri­na­rium und Ein Leit­faden für Hei­mat­lose) ein Zuhause, das natür­lich kein echtes Zuhause sein kann: „schi­zo­phrenie ist ein gotteshaus/ seit ich krank geworden bin” (Pere­gri­na­rium, II, 9). Die Über­set­zung der Krank­heit der Mutter und ihres Ster­bens in die Meta­pher von Sprache und Sprach­lo­sig­keit wird in einigen Gedichten deut­lich ange­spro­chen und trägt Züge einer eigenen Poetik: „ich höre dich durch die geschlos­sene tür aus der anderen/ welt du bist schon krank und bist wie/ eine neue hei­lige die nach vielen wör­tern ver­langt […] doch ich gebe sie dir nicht/ heute ging ich zum ersten mal in eine polnische/ schule seitdem bin ich krank bin wie/ ein neuer hei­liger der sich vieler wörter ent­ledig hat” (Ein Leit­faden für Hei­mat­lose, XVII, 21); „mutter wäscht ihre kranken sehr kranken beine/ und redet unsinn”(Ein Leit­faden für Hei­mat­lose, XLIV, 48); „kauf mir weiße schuhe mein söhn­chen und weiße/ hand­schuhe und mach mir dann aus dem mund einen knoten” […] (Ein Leit­faden für Hei­mat­lose, XXVIII, 32). Immer weist Dycki auf den Zusam­men­hang zwi­schen Text­ent­stehen und Tod hin. Als eines der zen­tralen gilt das Gedicht Tumor lin­guae aus dem Band Ein Leit­faden für Hei­mat­lose:

VI. Tumor linguae

im zimmer nebenan stirbt meine mutter
so weit ich zurück­denke stirbt sie immer mal wieder im kleinen
zimmer unten ein andermal im größeren
oben dort fängt eben mein dienst an

worin besteht mein amt ich schreibe gedichte
meine herr­schaften beuge mich über ein fik­tives blatt
papier so wie über mich selbst es fließt
ein­ge­bung in mich hinein fla­ckerndes licht ich mache es

immer mal wieder an im dunklen zimmer unten oder oben
je nach ent­wick­lung der lage so weit ich zurück­denken kann
meine herr­schaften habe ich kein ver­hältnis zum geschriebenen
und fer­tigen gedicht auf wie­der­sehen meine liebste

Hier wird (par­allel zur mythi­schen Bezie­hung Mutter – Sohn) die “kranke” und “ster­bende” Sprache (tumor lin­guae) zur Bedin­gung für die Ent­ste­hung des Textes und bedeutet gleich­zeitig seine eigene Hin­fäl­lig­keit. Er wird zu etwas Uner­reich­barem und wird ver­ab­schiedet wie die nicht mehr erreich­bare Ster­bende: „so weit ich zurück­denken kann/ meine herr­schaften habe ich kein ver­hältnis zum geschriebenen/ und fer­tigen gedicht auf wie­der­sehen meine liebste.“
Das Schreiben von Gedichten wird zu einer Amts­tä­tig­keit, was vor allem auf die zwang­hafte Not­wen­dig­keit des Schrei­bens und stän­dige Wie­der­ho­lung dieses Vor­gangs hin­deutet: „worin besteht mein amt ich schreibe gedichte/ meine herr­schaften beuge mich über ein fik­tives blatt/ papier so wie über mich selbst es fließt/ ein­ge­bung in mich hinein fla­ckerndes licht ich mache es/ immer mal wieder an im dunklen zimmer unten oder oben.“ Das Schreiben wird schließ­lich seiner Schrift­lich­keit und seines mate­ri­ellen Trä­gers beraubt („fik­tives blatt papier“) und wird so zum Ana­logon für das Sterben selbst. Dieser Topos ist nicht unbe­kannt in der Lite­ra­tur­ge­schichte, gilt aber mehr für Pro­sa­texte als für die Lyrik. Hier bekommt er eine eigene Qua­lität. Die Texte sind für Dycki gewis­ser­maßen par­al­lele Gebilde zu den anwe­send-abwe­senden Ver­stor­benen, die man ver­ab­schieden muss und doch nie end­gültig ver­ab­schieden kann. Auch das Ver­hältnis des lyri­schen Sub­jekts zu sich selbst ist gekenn­zeichnet von dieser Absur­dität („beuge mich über ein fik­tives blatt/ papier so wie über mich selbst“). Das Dichten wird als ein Ver­such ange­deutet, die eigene “Fik­tio­na­lität” und Leere (Abwe­sen­heit) mit einem Text zu füllen, was nicht gelingen kann, wenn der Text diese Leere und das Sterben wie­der­holt. Das Gedicht gerät letzt­end­lich zum Ver­such eines lie­be­vollen Abschieds („auf wie­der­sehen meine liebste“). Dieser Abschied gilt nicht nur den Ver­stor­benen son­dern “mir selbst, der ich sterben werde”, bzw. “sterbe”.

Bei gleich­zei­tiger Beschrän­kung auf wenige Motive ent­wi­ckelt sich der Mythos einer weit­ver­zweigten und mit Tod und Wahn­sinn belas­teten Familie von Band zu Band zu einer eigen­stän­digen Sprache des Umgangs mit dem Ver­gehen. Von anfäng­li­cher Über­hö­hung der Mutter ent­wi­ckelt sich die Lyrik von Tka­c­zyszyn-Dycki zu einer reich instru­men­tierten, viel­stim­migen Kom­po­si­tion aus Pseu­do­zi­taten lebender und toter Ver­wandter, Topo­gra­phie der Pro­vinz, reli­giösem Voka­bular und damit kon­tras­tie­renden sexu­ellen Anspie­lungen. Das Sexu­elle ist der Punkt, an dem sich bei Dycki das sacrum und pro­fanum, Leben und Tod treffen: die ein­zige gegen­wärtig ver­blei­bende Mög­lich­keit der Tran­szen­denz. Das lyri­sche Sub­jekt ist in dieser Kom­po­si­tion als die Stimme hörbar, die sich ständig beob­achtet, kom­men­tiert und selbst ent­larvt. Doch das Spiel des offenen Bekennt­nisses dient dabei eher der Ver­hül­lung als einer Ent­hül­lung eines authen­ti­schen Subjekts.

Namen und Stimmen von Ver­wandten oder ver­stor­benen Freunden führen ein Leben nach dem Tod im Kon­di­tional, im Gedächtnis des lyri­schen Sub­jekts („bestimmt hätte Leszek den Abschluss in Polo­nistik gemacht“[Pol­ni­sche Fami­li­en­schick­sale, 31]). Leszek („der es liebte sich selbst zu ver­schenken“ [Ein Leit­faden für Hei­mat­lose, XLVI, 50]) ist dabei ein Pen­dant zur Mutter auf der Seite der sexu­ellen Trans­gres­sion. Er reprä­sen­tiert den Topos des mit dem Tod iden­ti­fi­zierten schwulen Begeh­rens und ist schon seit dem ersten Gedicht­band als ein ver­stor­bener Freund des lyri­schen Ichs in den Gedichten anzu­treffen. Seine Zwei­deu­tig­keit ist nicht, wie die der Mutter, die Schi­zo­phrenie, son­dern die Anders­ar­tig­keit des Begeh­rens, die Zwei­deu­tig­keiten pro­du­ziert. Mit ihr ver­binden sich auch alle Motive, die Dycki umtreiben: meta­phy­si­sche Leere und Angst vor dem Nicht-Sein (eine Art ewige Ver­dammnis), der sexu­elle Akt als Aus­druck der sinn­losen Suche nach Tran­szen­denz und Erfül­lung (Sex zwi­schen Män­nern fällt aus dem Zeu­gungs­kreis­lauf heraus), Hei­mat­lo­sig­keit und Pil­ger­schaft (sym­bo­li­siert durch das unstete Leben eines Stri­chers), Schön­heit und Jugend als bloßes Phan­tasma des tod­ge­weihten Kör­pers. Der Dichter geht in das Haus der Trauer, in dem der ver­stor­bene Leszek auf­ge­bahrt liegt. Von ihm möchte er etwas sti­bitzen, doch was, ist unge­wiss. Der tote Körper, so ein­fach zu berühren, schenkt ihm jedoch nichts außer der Sprache, außer der Explo­sion der pol­ni­schen Sprache in ihrer Hilf­lo­sig­keit: „um etwas zu sti­bitzen bevor wir in die luft gehen mit der pol­ni­schen sprache/ und ihren flü­chen bevor die pol­ni­sche sprache in uns hochgeht/ die sich auch in dir anschickt die schlaue die schlimmsten sachen zu tun“(Pere­gri­na­rium, LXXXVII, 23).

Eine große Rolle in den Gedichten von Dycki spielt die Topo­gra­phie, in der die Ver­stor­benen ständig prä­sent sind. Es ist der Land­kreis Prze­myskie, eine nicht mehr exis­tie­rende und also ins Mythi­sche ent­rückte Ver­wal­tungs­ein­heit (Woje­wod­schaft) mit ihren Pro­vinz­städten, Dör­fern und Fried­höfen. Es sind die öst­li­chen Gebiete Polens, an der Grenze zur Ukraine, wo zwi­schen den Kriegen, und ins­be­son­dere nach der Been­di­gung des II. Welt­kriegs sowohl Polen wie Ukrainer von der jeweils anderen Seite gemordet, ver­schleppt und ver­trieben wurden. Die Dycki-Familie stand, teil­weise kon­fes­sio­nell bedingt, auf beiden Seiten (Gente Ruthenus, natione Polonus – so ein Gedicht­titel aus dem Band Ein Jüng­ling von unta­de­ligen Sitten, 1994). Auch diese Zer­ris­sen­heit wird immer wieder in den Gedichten the­ma­ti­siert und der “Urme­ta­pher”, näm­lich der gespal­tenen Per­sön­lich­keit der Mutter unter­ge­ordnet: halb Ukrai­nerin, halb Polin; halb Mutter, halb Hexe; halb anwe­send, halb abwe­send; halb leib­haf­tige Mutter, halb Mutter aus dem Jen­seits. Die Mutter bildet das Zen­trum einer geis­ter­haften Welt, in der alles in zwei Teile zer­fällt. Dies geschieht bis hinein in die Form der Gedichte selbst. Anti­no­mien, Oppo­si­tionen, para­doxe Sinn­kon­struk­tionen, Ansätze einer selt­samen Dia­lektik demons­trieren eine nicht fass­bare Rea­lität und rea­li­sieren das poe­to­lo­gi­sche Pro­gramm, in dem das Text­ge­bilde ein Ana­logon zum Sterben bzw. Nicht-Exis­tieren ist. Meta­phern und Chif­fren sind erst in ihrer anti­no­mi­schen Ergän­zung in der Makro­struktur, im ganzen Werk ablesbar. Der Leser kann sicher sein, dass er jedes Motiv irgendwo im Werk in seinen Gegen­satz ver­kehrt findet. Ein cha­rak­te­ris­ti­sches Bei­spiel ist das Motiv des Steins, der neben vielen Varia­tionen sowohl als „Stein des Hun­gers“ (Liber mor­tuorum, 39) wie auch als ein „Stein voller Nah­rung“ (Ein Leit­faden für Hei­mat­lose, 25) im Text rea­li­siert wird. Die Auf­he­bung der beiden Ele­mente ist also erst die eigent­liche Chiffre. Tka­c­zyszyn-Dycki gelingt es somit, der Sprache ihre Unein­deu­tig­keit wie­der­zu­geben, ohne in die Lexik und Mor­pho­logie ein­zu­greifen, ohne Mani­pu­la­tionen am Sprach­ma­te­rial selbst. Der Kern seiner Dich­tung ist im Unge­sagten zu suchen.

 

Gedicht­bände:

Nenia i inne wiersze (Nänie und andere Gedichte). Związek Lite­ratów Pol­skich. Lublin 1990.

Pere­gry­narz (Pere­gri­na­rium). Prze­dświt. Wars­zawa 1992.

Młod­zi­e­niec o wzo­ro­wych oby­c­za­jach (Ein Jüng­ling von unta­de­ligen Sitten). Prze­dświt. Wars­zawa 1994.

Liber mor­tuorum. Sto­war­zy­szenie Liter­ackie Kresy. Lublin 1997.

Kamień pełen pok­armu. Księga wierszy z lat 1987–1999 (Ein Stein voller Nah­rung. Gedichte aus den Jahren 1987–1999). świat Liter­acki. Iza­belin 1999.

Prze­wodnik dla bezdom­nych nie­za­leżnie od mie­jsca zamieszkania (Ein Leit­faden für Hei­mat­lose unab­hängig vom Wohn­sitz). Biuro Liter­ackie. Leg­nica 2000 u. 2003.

Przy­c­zynek do nauki o nie­ist­ni­eniu (Ein Bei­trag zur Wis­sen­schaft vom Nicht-Sein). Biuro Liter­ackie. Leg­nica 2003.

Daleko stąd zosta­wiłem swoje dawne i nie­dawne ciałov (Fernab von hier ließ ich meinen alt- und jüngst­ver­gan­genen Körper zurück). Wydaw­nictwo Zie­lona Sowa. Kraków 2003.

Dzieje rodzin pol­skich (Pol­ni­sche Fami­li­en­schick­sale). Sic!. Wars­zawa 2005.

Poezja jako mie­jsce na ziemi. 1988–2003 (Poesie als ein Ort auf Erden. 1988–2003), [Gesamt­aus­gabe in einem Band]. Biuro Liter­ackie. Wro­cław 2006.

 

Gedichte auf deutsch unter anderem erschienen in:

Lauter Nie­mand. Jahr­gang 2004, S. 4–5.

Ost­ra­ge­hege. Zeit­schrift für Lite­ratur und Kunst IV/2003, Nr. 32, S. 19.

Orpheus – Gespräch im Wort. Orfeusz – Roz­mowa w słowie. Dresden 2001, S. 82–86.

Die Horen 2000, Nr. 18 (“Irgendwo bei Kat­to­witz” Stimmen aus dem Nach­bar­haus. Pol­ni­sche Gegen­wart im Spiegel der Lite­ratur), S. 15.

Manu­skripte, Zeit­schrift für Lite­ratur 172/2006, 64–72.
Wei­ter­füh­rende Links:

www.satt.org/lyrik-log/93.html
www.wordswithoutborders.org/article.php?lab=Towardsascience
http://jacketmagazine.com/29/p‑tkacz.htm
www.biuroliterackie.pl